Gastbeitrag von Siobhan Brewster, Amplifier Ventures

Die klimaneutrale Lieferkette

Die globale Lieferkette ist ineffizient. Von der ersten bis zur letzten Meile arbeiten viele mit veralteten Systemen, die nicht nur die Wirtschaftlichkeit reduzieren, sondern auch die Umwelt enorm gefährden. Es ist allerhöchste Eisenbahn, neue, agile Prozesse zu implementieren und so sowohl die Lieferkette zu straffen, als auch Emissionen deutlich zu reduzieren.

02.11.2020

Seien wir doch mal ehrlich: Wenn wir über Lieferketten oder die Logistik reden, dann heben wir meist nur die negativen Aspekte hervor. Verstopfte Straßen durch Lkw, Kurierdienste, die in der zweiten Reihe parken, Schlagzeilen über die miserablen Arbeitsbedingungen in den Lagerhäusern. Tatsächlich steht und fällt jedoch alles mit der Lieferkette – im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Logistik ist einer der größten und wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Genauer gesagt: der drittgrößte Wirtschaftsbereich direkt nach der Automobilwirtschaft und dem Handel. Rund 279 Milliarden Euro Umsatz wurden 2019 branchenübergreifend erwirtschaftet. In Relation dazu: Der europäische Logistikmarkt belief sich 2018 auf 1,120 Milliarden Euro, Deutschlands Anteil daran beträgt 25 Prozent. Dies zeigen Statistiken der Bundesvereinigung Logistik.

Das große Problem: Transportwesen und Logistik sind gleichzeitig mit die größten Klimakiller und zudem unglaublich ineffizient. Aber immerhin ist der Fortschritt auf unserer Seite. Neue Technologien tragen bereits zur Lösung bei. Wie?

Emissionen und Ressourcenverschwendung in der Schifffahrt

Eine der großen Problemzonen ist die Schifffahrt. Ein Beispiel: Schiffe werden seit knapp vier Jahrzehnten fast ausschließlich mit Schweröl betrieben. Ein billiger Treibstoff, dessen Schwefelemissionen unsere Umwelt allerdings drastisch belasten. Wie im „Economist“ beschrieben, emittieren die 15 größten Schiffe dieser Welt durch die Verbrennung von Schweröl mehr schädliche Stick- und Schwefeloxide als alle Autos dieser Welt zusammen.

Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz wirken dem entgegen. Eine KI berechnet etwa in Echtzeit die ideale Route für Ozeanriesen und die jeweils passende Geschwindigkeit. Für die Kalkulation werden die technischen Spezifikationen des Schiffs und die aktuellen Umweltbedingungen hinzugezogen. Der Algorithmus optimiert so die Überfahrt und reduziert den Kraftstoffverbrauch – und zwar um bis zu fünf Prozent. Angesichts der 150 bis 200 Milliarden Dollar, die jedes Jahr für den Schiffstreibstoff ausgegeben werden, ist dies ein gewaltiger Betrag. Da die Software zur Kraftstoffoptimierung sowohl unserer Wirtschaft als auch unserer Umwelt zugutekommt, wird sie aller Voraussicht nach immer mehr Anwender finden.

Innovationen in der Intralogistik und Produktion

Als wichtiges Bindeglied in der Lieferkette ist die Intralogistik einer der großen Innovationstreiber der gesamten Branche. Warenhäuser und Terminals profitieren von enormen Fortschritten in der Robotik und bei Künstlicher Intelligenz. Unternehmen konnten Roboter bislang kaum integrieren, weil die Anwendungsgebiete zu komplex waren und die Umsetzung hohe Kosten mit sich brachte. Durch günstigere Hardware und Rechenleistung – gepaart mit immensen Verbesserungen in den Bereichen Neural Technology und Computer Vision – sinken die Implementierungskosten, die Anwendungsfelder nehmen zu.

Da nun Umschulungen ohne teure Systemintegratoren möglich sind, beobachten wir einen Demokratisierungsprozess in der Robotik. Ergo: Immer mehr Unternehmen erhalten Zugang zu dieser ehemals unerreichbaren Technologie. Künftig übernehmen Roboter durch diese Entwicklung nicht mehr nur repetitive Aufgaben, sondern arbeiten Seite an Seite mit den menschlichen Kollegen an vielfältigeren, komplexeren Aufgaben. Zudem gibt der einfachere und günstigere Zugang zur Robotik Unternehmen die Möglichkeit, unabhängig vom Personal Versand und Lieferkette näher an den Endkunden zu verlagern. Durch kürzere Transportwege wird der Kohlenstoff-Fußabdruck der Waren minimiert.

Mehr Transparenz in der Lieferkette

Die erste und die letzte Meile, sprich: der durch Kundenbestellung ausgelöste Prozess bis zur Übergabe der Ware an den Kunden, sind die wichtigsten Phasen des Vertriebsprozesses. Doch das sich auch die kompliziertesten. Für das Überleben von Handelsunternehmen ist entscheidend, wie effizient und reibungslos sie diese beiden Abschnitte ihrer Lieferkette logistisch bewältigen.

Hier ergeben sich folgende Herausforderungen: Die begrenzte Transparenz der gesamten Lieferkette, mangelnde Zusammenarbeit zwischen beteiligten Unternehmen, Schwierigkeiten bei der Digitalisierung der ersten und der letzten Meile sowie unvorhersehbare Ereignisse, die über das Schicksal von Lagerbeständen im Wert von Milliarden von Dollar entscheiden. Dazu kommt ein rasantes Wachstum im E-Commerce, welcher die Steuerung der Nachfrage immer schwieriger macht.

Nicht erst seit der Coronakrise wissen kleine und mittelständische Unternehmen sowie Corporates, dass sie ihre gesamte Lieferkette digitalisieren müssen. Die globale Pandemie ist ein erneuter Weckruf für die Dringlichkeit, in eine stärker vernetzte Lieferkette zu investieren. Viele Unternehmen haben gelernt, dass Transparenz der Schlüssel für betriebliche Belastbarkeit ist. Auch hier helfen Software-Angebote, die Parteien verbinden, Informationen in Echtzeit liefern, alternative Anbieter aufzeigen, manuelle Prozesse automatisieren und transformative Produkte bieten.

Es wird immer deutlicher: Je effizienter die Lieferkette, desto weniger Müll produziert sie und umso weniger beeinträchtigt sie unser Klima.

Siobhan Brewster

hat Anthropologie am University College London studiert und ist heute Partner bei Amplifier Ventures, einem Frühphaseninvestor in den Bereichen Logistik, Maritim und Mobilität