Unternehmensnachfolge

Vom Nachfolger zum Digitalisierer

Bis zu einer halben Million kleiner und mittlerer Unternehmen in Deutschland benötigt auf Sicht einen neuen Inhaber – und kann mit neuer Führung die Chancen der Digitalisierung nutzen. Was Altunternehmer und Käufer bei der Unternehmensnachfolge beachten sollten – und warum es auf allen Seiten Digital Readiness braucht.

22.10.2020

Wenn ein Inhaber-Generationenwechsel im Unternehmen einen Digitalisierungsschub bringen soll, bedarf „eines Wandels im Mindset, in der Unternehmenskultur“, sagt Jan Friedrich, Vice President Field Marketing Central Europe bei Sage, einem Business-Softwareanbieter, der solche Prozesse inklusive Change-Management begleitet, im DUB Digital Business Talk. Die digitale Transformation im Mittelstand darf aber nicht erst nach der Klärung der Unternehmensnachfolge beginnen – sie ist ein „zentraler Baustein“ der Vorbereitung, wie Wolfram Michallik ergänzt. „Digitale Grundlagen müssen gelegt sein, um das Potenzial eines Unternehmens für potenzielle Nachfolger sichtbar zu machen“, so der Geschäftsführer von Upshift Media.

Die Mitarbeiter mitnehmen, Impulse setzen und Gespräche auch in neuen Formaten führen, kurz: das Prinzip der kleinen Schritte. „Iterativ vorgehen, kleine Erfolge erzielen und damit positive Veränderung schaffen“, rät Friedrich – das Projekt Unternehmensnachfolge also nicht brachial angehen, sondern eine agile Kultur schaffen. Unternehmer müssen zudem zeitig an den Abschied denken, warnt Sebastian Karger, Gründer und CEO der Digitalisierungsberatung Liquam: „Umso leichter wird es, jemanden zu finden, der das Unternehmen so fortführt, wie man sich das selbst vorstellt.“ Michallek, der aus der Führung des Familienunternehmens ausgestiegen ist und eine Digitaltochter ausgegründet hat, rät: „Ab 55 sollte man sich wirklich umsehen.“ Fünf Jahre Vorlaufzeit sind seiner Einschätzung nach mindestens nötig, wenn es in der Familie oder dem Unternehmen selbst keinen Kandidaten gibt.

Unternehmensnachfolge als Chance für Digitalisierung

Praxiserfahrungen ähnlicher Art hat Tim-Alexander Karußeit gemacht, der Anfang 2020 einen Messebauer übernahm. Drei Jahre dauerte seine Suche nach einem geeigneten Unternehmen für einen Kauf. Er sprach zunächst mit 85-Jährigen, dann mit 75-Jährigen – und einigte sich schließlich mit einem 49-Jährigem: „Sie müssen jemanden finden, der keine Lust mehr hat“, weiß Karußeit zu berichten. Viele könnten nicht loslassen. Doch die alten Patriarchen würden weniger. Seiner Einschätzung nach ticken abgebende Unternehmer inzwischen anders – nach dem Motto: „Exit ist etwas Erstrebenswertes, etwas Cooles.“

Komplett digital aufstellen konnte er den Messebauer, dem kurz nach der Übernahme wegen Covid-19 das komplette Geschäft wegbrach, allerdings nicht. Das war unpassend zur vorgefundenen Basis. Und doch transformierte er sein Unternehmen, nutzte die Digitalisierung für effizientere Prozesse und vermarktet seine Handwerkerdienste jetzt online.

Anders als vielleicht erwartet hat die Corona-Krise einer Digitalisierung im Zuge der Nachfolge indes keinen besonderen Schub verliehen. Darin sind sich die Berater Friedrich und Karger einig – jedenfalls nicht jenseits von Tools wie Zoom oder Headsets. Karger spricht von Investitionen „auf Vorkrisenniveau“, Friedrich hat eine V-förmige Entwicklung beobachtet. Nach kurzer, harter Bremsung ging es schnell wieder voran: „Wer ein robustes Geschäftsmodell hat, hat auch investiert.“ Die Richtung stimmt also.

Doch wo es nicht um Prozessoptimierung, sondern um digitale Geschäftsmodelle und Plattformökonomie geht, sieht Michallek noch Nachholbedarf, gerade im B2B-Bereich. Daher braucht Deutschland die „Generation Made in Germany“ mit guten Produkten und Ingenieuren ebenso wie die Agilität jüngerer Leute: „Wir müssen beides verbinden, gerade als Mittelständler“, fordert er.

Mit Mut in die Zukunft

Fazit der Experten: Der Komplex Unternehmensnachfolge braucht keinen Katalysator namens Corona, denn in diesem Bereich ist die Dynamik notwendigerweise hoch. Friedrich stützt das mit Zahlen: So ist jeder zweite Inhaber in Deutschland 55 Jahre oder älter, der Anteil könnte bald 70 Prozent erreichen. Handlungsbedarf ist also gegeben.

Doch geht es nicht nur um die oft zeitintensive Suche nach einem neuen Chef. Für Upshift-Gründer Michallek ist die Trennung von Inhaberschaft und Management eine Möglichkeit, die Nachfolge zu regeln. Er sieht zudem erhebliches Potenzial dafür, dass Familienunternehmen andere Familienunternehmen aufkaufen und „so die Nachfolgefrage geschmeidiger lösen, als dies ein Equity-Fonds kann“. Seine Entwarnung: „Nicht alle wertvollen Unternehmen dieser Republik gehen mangels Nachfolge zugrunde.“

Käufer Karußeit berichtet aus eigener Erfahrung, dass die Finanzierungsbedingungen eigentlich kein Hindernis sind. Er verweist auf mittelständische Beteiligungsgesellschaften und Bürgschaftsbanken. Dagegen hätten Start-ups angesichts der Pandemie aktuell Schwierigkeiten, Wagniskapital anzuziehen, so Karger. „Diese zu gründen ist daher schwieriger als noch vor einem Jahr.“

Zugleich erkennt der Berater bei vielen die durch die Pandemie ausgelöste Bereitschaft, ihre Zukunft anders zu denken – das könnte eine Welle von „Kaufen statt Gründen“ auslösen. Auch Sage-Marketingexperte Friedrich macht einen Wertewandel bei Jüngeren aus. Vielleicht ein Grund dafür, dass sich das Thema Generationenwechsel aus seiner Sicht weiter dynamisch entwickelt: „Ich bin positiv gestimmt, 2020 macht Mut. Trotz Corona!“

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