Nachhaltige Wirtschaft

Klimaneutralität: innovativ, dezentral und zirkulär agieren

Das Bundesverfassungsgericht hat gerügt, der Gesetzgeber nachgebessert: Die deutsche Wirtschaft soll bis 2045 Klimaneutralität erlangen. Doch was bedeutet die „Mission Zero“ für Unternehmen? Drohen horrende Belastungen oder locken enorme Möglichkeiten? Die Fachleute im DUP Digital Business Talk setzen auf das Potenzial wahren Wandels – sowie auf die Kombination aus smarten Technologien und erneuerbaren Energien.

27.05.2021

In Kürze:

  • Deutsche Unternehmen müssen sich dem Klimawandel stellen, benötigen aber vernünftige Rahmenbedingungen und Strategiepläne von der Politik. 
  • Innovationen kombiniert mit dezentraler, lokal gewonnener Energie sind für Unternehmen die Eckpfeiler eines klimaneutralen System, das ewige Produktzyklen statt Abfall erzeugt. 
  • Der Klimawandel betrifft alle Menschen, sodass keine elitäre Bewegung entstehen soll, sondern eine offene und transparente Diskussionskultur, die alle Unternehmen miteinbeziehen.

Das Bild, das Dr. Katharina Reuter nutzt, ist ungewohnt, aber eindringlich: „Wir müssen die Dekarbonisierung mit noch größeren Siebenmeilenstiefeln voranbringen als bislang“, fordert die Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft. Denn die „Herausforderungen der Mission Zero“ seien für Unternehmen nur dann zu meistern, wenn sie die Dynamik in Nachhaltigkeit und Innovation deutlich steigern würden.

Eine Ansicht, die Dr. Ralph Hintemann, Senior Researcher beim Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit, teilt: „Beides sind Megatrends, haben disruptiven Charakter und müssen in allen Lebensbereichen endlich zusammengedacht werden. Wenn wir das nicht umsetzen, werden wir in der Zukunft Probleme bekommen.“

Notwendige Klimatransformation

Das Borderstep-Institut untersucht, wie Innovationen eine nachhaltige Wirtschaft unterstützen können. Daraus erarbeiten Hintemann und sein Team Handlungsstrategien für Verbände, Politik und die Wirtschaft. Für den Forscher ist klar: Deutsche Unternehmen, darunter gerade auch viele  kleinere und mittelständische (KMU), müssen sich jetzt verstärkt einer Umstrukturierung widmen – erst dann könne Deutschland europaweit zu einem Leuchtturm in Sachen Nachhaltigkeit werden. Lara Obst betitelt diesen „notwendigen Schritt“ als „Klimatransformation“.

Obst ist Mitgründerin von The Climate Choice und unterstützt Firmen bei ebendiesem Wandel. Sie setzt ebenso auf Innovation, aber auch ganz pragmatisch auf bereits vorhandene Lösungsansätze: „Forschungen zeigen, dass die größten CO2-Reduktionspotenziale von Technologien kommen, die wir in den vergangenen Jahren entwickelt haben.“ Es ist also nicht nötig, noch auf den Durchbruch zu warten. Obst zitiert die Energieökonomin Claudia Kemfert, die Deutschland in der Sache kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem diagnostiziert.

Energieeffizienz statt Überschüsse

Statt radikalen Verzicht zu fordern, gelte es, Unternehmen den lohnenden Einsatz von „smarter Technologie und Systemveränderungen“ aufzuzeigen, sagt Obst. Sie verweist in diesem Zusammenhang auch auf den Ansatz des „zirkulären Wirtschaftens“: Dieses Modell sehe vor, dass Produkte in einem geschlossenen Kreislauf so hergestellt würden, dass sie am Ende wiederverwertbar seien. So gebe es zum Beispiel keinen Abfall mehr, sondern ewige Produktzyklen. Egal ob auf Ebene von Rohstoffen oder Energie, erklärt Obst weiter: „Wir müssen Energiezyklen so nutzen und Systeme miteinander verbinden, dass kein Überschuss und keine Unterversorgung entsteht.“

Als ein Lösungsmodell nennt die Klima-Unternehmerin dezentralisierte Formen der Energiegewinnung. Zum Beispiel in Form eines Rechenzentrums, das Klimaneutralität verspricht: Lokal gewonnene Windenergie gewährleistet den Betrieb, während die Energie aus der Abwärme der Rechner gleichzeitig eine aus Chlorella- und Spirulina-Algen bestehende Zuchtfarm betreibt, die CO2 bindet. Das Ergebnis ist eine in sich geschlossene, nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Ein Projekt dieser Form existiert bereits, wie Obst weiß: Zum Beispiel bietet das Unternehmen Windcloud einen derartigen umweltfreundlichen Service über ein digitales Ökosystem an. Dieser zirkuläre Ansatz könnte auch die Versorgung mit grünem Wasserstoff modifizieren, immerhin dominieren bei der Erzeugung dieser Zukunftstechnologie gegenwärtig noch fossile Brennstoffe. Erst durch den Einsatz von erneuerbaren Energien verdiene sich der Wasserstoff das Attribut grün, erklärt Reuter.

Pilotprojekt in Frankfurt

In Frankfurt gibt es ein weiteres Pilotprojekt: In der Mainmetropole stehen rund 40 Prozent aller deutschen Rechenzentren, die zusammen 1,6 Terrawattstunden verbrauchen – zum Vergleich: Zur Versorgung des gesamten Stadtgebiets in Frankfurt bedarf es laut Hintemann rund zwei Terrawattstunden. Im Rahmen des Projekts DC HEAT testet der Wissenschaftler nun, ob die Abwärme der Rechenzentren genutzt werden kann, um 15 Prozent der Gebäude im Stadtgebiet zu heizen und mit Warmwasser zu versorgen. Künstliche Intelligenz helfe zudem dabei, den optimalen Standort für Rechenzentren zu ermitteln, damit diese Energie effizient in Nah- und Fernwärmenetze integriert werden könne. Hintemann ist zuversichtlich: „Das System ließe sich ohne Probleme auf weitere Lebensbereiche oder Industriezweige ausweiten.“

Investoren bestrafen Greenwashing

Der verstärkte Fokus auf Nachhaltigkeit ist für unser aller Zukunft und für viele Unternehmen eine schiere Notwendigkeit geworden. Das betont auch Reuter. Neben gesetzgeberischen Vorgaben setzten auch internationale Investoren und Kreditgeber, die ein „fehlendes nachhaltiges Engagement mit Missachtung abstrafen“, einen klaren Rahmen. Ein wichtiger Aspekt für die Verbands-Chefin: Denn eine Symbiose aus smarter Technologie und Nachhaltigkeit bedeutet für Unternehmen gleichzeitig große Investitionen. Die seien unvermeidbar, werden sich langfristig aber lohnen: „Die Maßnahmen werden Geld kosten, aber wenn wir jetzt nicht investieren, wird es in der Zukunft noch mal deutlich teurer werden“, so Hintemann.

Politik in der Bringschuld

Am Ende würden die Gewinne aus nachhaltigem Wirtschaften höher ausfallen als jene aus fossilen Energieträgern, ergänzt Obst. Für diesen kolossalen Umbruch sehen große Unternehmen wie BASF oder Thyssen-Krupp, aber auch Umweltverbände wie die Stiftung 2 Grad eine Bringschuld bei der Politik: Diese müsse aktiv werden und ihren ambitionierten Gesetzesvorgaben praktische Umsetzungsstrategien folgen lassen – finanziell wie strukturell. Nur dann ließen sich energieintensive Industrien effizient umbauen. Ebenso entscheidend, so Obst, sei eine„transparente und offene“ Debatte. Die Climate-Community muss alle einbeziehen und die Vorteile, aber auch die Sorgen von Menschen und Wirtschaft berücksichtigen. Erst dann, so die Expertinnen und Experten im DUP Digital Business Talk, gelinge der Weg zur Klimaneutralität. Dann hieße es: Mission Zero accomplished.