Geschlechtergerechte Sprache

Gender-Debatte: „Es ist keine Option, keine Haltung zu haben“

Gender-Sternchen, Doppelpunkt oder Neutralisierung – welche orthographische Variante ist die richtige beim Gendern? Und was gilt es sonst zu beachten, wenn sich ein Unternehmen für die geschlechtergerechte Sprache entschieden hat? Ein Beispiel aus der unternehmerischen Praxis.

13.05.2021

In Kürze:

  • Gendergerechte Sprache sollte im Unternehmen auf Freiwilligkeit beruhen.
  • Unternehmen können durch gendergerechte Sprache ihre Marke im Markt weiterentwickeln und sich innovativ zeigen.
  • Gendergerechte Sprache kann helfen, neue Zielgruppen zu erschließen sowie die Chancen im War for Talents verbessern.

„Es wäre schön, wenn alle Unternehmen beim Thema gendergerechte Sprache so progressiv wären wie Otto, Audi oder Zalando“, sagt Dr. Simone Burel. Als Gründerin der Linguistischen Unternehmensberatung LUB weiß sie um die Bedeutung von Sprache in der Markenkommunikation – und um die Herausforderungen, die auf Unternehmen dabei zukommen. „Viele haben hier noch eine zurückhaltende Position. Damit tun sie sich keinen Gefallen“, mahnt sie. Der Sprachwandel sei schon längst im Gange; keine Haltung zu haben sei deshalb keine Option. Die Entscheidung, zu gendern oder nicht zu gendern, sei auch schon ein Statement.

Gendergerechte Sprache bei Otto

Bereits 2019 holte sich Otto eine externe Agentur ins Boot, die den Bereichen Marketing, Service und Human Resources dabei half, zu lernen, wie man alle Geschlechter anspricht. Heute fungiert das Unternehmen als Paradebeispiel, wenn es um gendergerechte Sprache in der Markenkommunikation geht.

„Eigentlich sprechen wir von fairer Sprache. Wir wollen alle Menschen berücksichtigen und niemanden diskriminieren“, erklärt Marc Opelt, Bereichsvorstand Marketing. In der internen Kommunikation beruht die Nutzung von fairer Sprache auf Freiwilligkeit. „Bei uns gibt es keine Gender-Polizei“, sagt Opelt. Fehler seien ohnehin in so einem Prozess nicht zu vermeiden. „Auch ich bin mir manchmal unsicher, ob ich jetzt Arbeitgeber*innen oder Arbeitgeberin im Singular gesagt habe.“ Als Vorstandsmitglied von Otto ist es Opelt jedoch wichtig, eine Vorbildfunktion für die gesamte Organisation einzunehmen.

Stellenanzeigen, Jobbeschreibungen, schriftliche Kommunikation, Markensprache, Marketing – all das wird bei dem E-Commerce-Unternehmen in gendergerechter Sprache verfasst. Auch der nächste Geschäftsbericht soll niemanden mehr ausschließen. „Im Kern geht es um die Haltung eines Unternehmens, um Kulturwandel und Transformationsfähigkeit“, erklärt Opelt. Neben dem Beitrag zur Entwicklung einer diskriminierungsfreien Gesellschaft hat das auch Vorteile an anderer Stelle. Arbeitgeber zeigen so nicht nur, dass sie großen Wert auf Diversität legen, sondern können auch junge Zielgruppen erschließen und sich im War for Talents behaupten.

Geschlechtergerechte Sprache bisher ohne Regulierung

„Sprache ist ein Medium, um sich auszudrücken, und das die Wahrnehmung unserer Welt widerspiegelt. Da darf das Thema Diversität nicht fehlen“, erklärt Brigitte Zypries, Bundeswirtschaftsministerin a.D. und DUP-Herausgeberin.

„Es gibt sozialpsychologische Studien, die ganz klar zeigen, dass Unternehmen, die gendern, innovativer eingeschätzt werden“, sagt Burel. Eine festgeschriebene orthografische Variante – ob Gender-Sternchen, Doppelpunkt oder Neutralisierung – gebe es noch nicht.

Es werde auch noch einige Zeit dauern, bis die Gesellschaft für deutsche Sprache eine Empfehlung ausspricht. Die bisher am meisten verwendete Form ist das Gender-Sternchen.

Dennoch erkennt Burel auch klare Unterschiede in den Branchen: „IT-Unternehmen entscheiden sich eher für einen Doppelpunkt oder das Gender-Sternchen, konservativere Branchen nutzen bevorzugt Doppelformen wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kommunen oder Institutionen des öffentlichen Rechts setzen eher auf Neutralisierungen.“ Am Ende wird sich laut Burel das durchsetzen, was die Gesellschaft sich selbst im täglichen Sprachgebrauch als Standard macht – oder eben das, was die Unternehmen machen, die hier besonders weit vorn liegen.

Authentisch bleiben

Eine Karriere-Seite mit gendergerechte Sprache macht ein Unternehmen noch nicht zum Vorreiter, sagt Dr. Simone Burel.

Dr. Simone Burel

Dr. Simone Burel

ist Gründerin und Geschäftsführerin der linguistischen Unternehmensberatung LUB. In ihrer Dissertation hat sie über die Sprache der Dax-30-Unternehmen geschrieben

Wie können Unternehmen das Gendern für sich nutzen?

Dr. Simone Burel: Gleichberechtigung ist längst in der Wirtschaft angekommen. Das zeigt auch die Frauenquote in den Aufsichtsräten. Den Sprachwandel wird es sowieso geben. Jetzt ist die Chance, sich als Vorreiter zu positionieren und seine Marke im Sinne von Gleichberechtigung, Fairness und Antidiskriminierung aufzubauen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Auseinandersetzung mit dem Gendern oft zu ganz grundsätzlichen Fragen führt: Wie wollen wir eigentlich als Unternehmen sprechen? Wie spiegelt die Sprache unsere Marke wider? Wer sich auf den Prozess einlässt, kann auch seine Marke besser kennenlernen. Und: Unternehmen können – vor allem jüngeren Zielgruppen – zeigen, dass man auf ihre Bedürfnisse eingeht und sie kennt. Die Strategie heißt auch soziales Mimikry.

Doch es gibt viele Menschen, die sich gegen gendergerechte Sprache aussprechen.

Burel: Es ist ein emotionales Thema und setzt einen Kulturwandel voraus. Das heißt aber nicht, das man diesen scheuen sollte. Deshalb sollten die Belegschaft integriert und Ängste reduziert werden – etwa bei der Entscheidung über die orthografische Variante. Ein Unternehmen sollte sich für die Schreibweise entscheiden, die auf möglichst wenig Widerstand stößt.

Eine Umfrage der „FAZ“ und der Hochschule Darmstadt hat gezeigt: Zehn von 30 Dax-Konzernen verwenden schon geschlechtergerechte Sprache, sechs weitere planen es. Würden Sie das als Meilenstein bezeichnen?

Burel: Die Frage ist: Was wurde hier untersucht? Wenn ein Unternehmen die Karriere-Seite anpasst oder die Stellenausschreibungen, dann ist das noch kein Meilenstein. Die Königsdisziplin der Unternehmenskommunikation ist der Geschäftsbericht – und hier sehe ich nur selten gendergerechte Sprache. Unternehmen sollten sich dem Thema authentisch nähern, damit sie auch ernst genommen werden.