Es ist ein bisschen unfair, jemanden ein Buch über Ambidextrie rezensieren zu lassen, der mit der linken Hand manchmal nicht einmal einen Stecker in die Steckdose stecken kann. Aber es geht ja auch nicht um die Handhabung von (gar gefährlichen!) Gerätschaften, sondern um Organisation und Ausrichtung von Unternehmensstrategien für die Zukunft. Dafür bietet dieses Bild der Beidhändigkeit in „Der Business-Spagat“ von Christian Schwedler spannende Denkansätze für die Neuausrichtung von Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt.
Leitmotiv: Sowohl als auch
Schwedler geht es um den Spagat zwischen Exploit und Explore. Wobei das Exploit die gute, alte deutsche Art des Wirtschaftens meint. Also die Autotür, die so dermaßen leise schließt, weil sie sich durch Exzellenz in der Produktion statt zu 99,2 jetzt zu 99,8 Prozent Genauigkeit in den Rahmen einschmiegt. Explore ist hier die aufregende neue Welt von Tesla: die Disruption ganzer Branchen. Diesen Konflikt im Sinne einer Transformation lösen, heißt für Schwedler: sowohl als auch, das eine tun, ohne das andere zu lassen – eben Beidhändigkeit, organisationale Ambidextrie.
Dieses komplexe Thema inhaltlich in den Griff zu bekommen – dabei hilft Schwedler seine Berufserfahrung: Er berät den Autobauer BMW in strategischen Fragen. Dass er alles leserfreundlich aufzubereiten versteht, dazu trägt sicher seine Tätigkeit als Speaker bei. Immer wieder versteht er es, Komplexität zu reduzieren und Botschaften zu platzieren, indem er eingängige Anekdoten erzählt. Dabei verwendet er gern Sprachbilder aus der Sport- und Populärkultur und erzeugt so einen hohen Wiedererkennungswert. Zusammen mit den (vielleicht ein bisschen zu häufigen) Wiederholungen seiner Kernaussagen ist seine Grundlinie daher leicht zu verstehen und zu merken. So entsteht mehr als ein trockenes Managementbuch – ein ebenso unterhaltendes wie motivierendes als auch überzeugendes Werk.
Der Business-Spagat: Prinzipien für zukünftige Erfolg
Dieser Eindruck entsteht, weil Schwedler selbst seine oft plakative Formulierungsweise einräumt – dabei aber stets betont, dass er aber eben nur über Grundstrukturen berichtet und dass seine Strategiebeispiele selbstverständlich an die jeweilige betriebliche Realität anzupassen sind: Er zeichnet immer Modellhaftes, dabei kann ein solches „reinrassiges“ Modell gar nicht existieren. Schwedler gibt mehr Inspiration, regt mehr zum Nachdenken an, als dass er konkrete Handlungsanleitungen vorgibt, die in einer hochdifferenzierten Unternehmenswelt ohnehin nicht eins zu eins umsetzbar wären. Sein Ziel ist die Sensibilisierung für die Thematik „Innovation und Transformation“ und keine blaupausenhaften Lösung. Statt einer konkreten Ausarbeitung von Führung oder Organisationsdesign will er die grundlegenden Prinzipien herausarbeiten, an denen sich diese ausrichten müssen, damit ein Unternehmen erfolgreich in die Zukunft gehen kann.
Schwedler kommt es also auf das Innovationsmanagement an. Das gilt sowohl organisatorisch wie im Portfolio – also: Wie ermögliche ich welche unterschiedlichen Innovationen innerhalb meine
r Organisation, so dass sie auch zu derer strategischer Ausrichtung passen? Mit dem Einblick in seine persönliche Toolbox richtet sich Schwedlers Studienbuch dazu an eine breite Gruppe von Verantwortlichen in mittelständischen Unternehmen ebenso wie im Großkonzern, vom Abteilungsleiter bis hin zur Chefin – auch wenn diese natürlich die Initialzündung für eine Transformation geben müsste (siehe Interview). Er sorgt dabei mit seinem lockeren Stil dafür, dass der Stoff nötigenfalls auch nebenher am Wochenende verinnerlicht werden kann.
Was KMU von Amazon lernen können
Alles in allem hat Schwedler eine knappe Darstellung der Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft vorgelegt und präsentiert vielfältige Lösungsansätze. Der Text ist knapp und eingängig, gespickt mit plastischen Beispielen und aufgelockert durch leicht verständliche Grafiken. Das lässt über einige kleinere Fehler hinwegsehen. Wer sich für Change-Prozesse interessiert und wissen will, wie auch kleinere und mittelgroße Unternehmen (KMU) von Arbeitsweisen des Megakonzerns Amazon profitieren können, liegt hier jedenfalls richtig. Denn Schwedlers Buch ist in gewissem Sinne selbst ambidextrös, beidhändig: Es verbindet alte Erkenntnisse neu und bereitet sie gut verständlich auf. Somit liefert Schwedler die Seekarten, auf denen etablierte Unternehmen jeder Größe ihren eigenen Kurs Richtung Zukunft abstecken können.