Anlagestrategie

„Ich warne vor Investments in Oldtimer oder Kunst“

Null- oder gar Strafzinsen und die Rückkehr der Inflation machen Sparern das Leben schwer. Sie sollten auf Sachwerte setzen, sagen Dr. Helge Lach und René Schlichting von der DVAG. Doch nicht alle sind empfehlenswert.

09.12.2021

Angst kann bei der Geldanlage hinderlich sein, Wissenslücken gefährlich. Wie private Investoren die richtige Anlagestrategie finden, erklären Dr. Helge Lach und René Schlichting von der Deutschen Vermögensberatung (DVAG). Lach ist Vorstandsmitglied, Schlichting Vermögensberater.

Dr. Helge Lach

ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Vermögensberatung (DVAG), Deutschlands größter Finanzberatung.

René Schlichting

 ist seit 1992 als selbst­ ständiger Vermögensberater unter dem Dach der DVAG tätig.

Immer mehr Banken erheben Strafzinsen auf Tagesgeld- und Girokonten. Wie reagieren Sparerinnen und Sparer darauf?

René Schlichting: Wenn sie die Strafzinsen auf ihrem Kontoauszug sehen, fragen sie sich, wie sie das verhindern können. Zumal jetzt noch die gestiegene Inflation hinzukommt. Mit ihr war es lange wie mit zu hohem Blutdruck: Sie war kaum spürbar. Das ändert sich jetzt, zum Beispiel beim Betanken des Autos. Helge Lach: Bei den aktuell hohen Inflationsraten und 0,5 Prozent Verwahrentgelt erreichen die Realzinsverluste auf Giro- und Tagesgeldkonten bereits fünf Prozent im Jahr. Jetzt nicht zu handeln wäre ökonomisch nicht nachvollziehbar.

Ihr Lösungsansatz: Wie lasst sich das Ersparte vor der Entwertung schützen?

Schlichting: Mit Sachwerten. Ich würde allerdings vor Investments in Oldtimer oder Kunst warnen. Das sind Märkte, in denen Profis mit hohem Sachverstand investieren. Für unerfahrene Anleger erweist sich ein Kauf schnell als böse Überraschung. Immobilien, Gold, aber vor allem Aktien sind deutlich einfacher zu handeln. So kann jeder unabhängig vom Einkommen schon mit kleinen Beträgen in Aktienfonds einsteigen.

Laut dem Deutschen Aktien-Institut sind so viele Menschen am Aktienmarkt aktiv wie zuletzt vor 20 Jahren. Sind diese Anleger zu spät auf den Zug aufgesprungen?

Lach: Den richtigen Zeitpunkt für Kauf oder Verkauf zu treffen grenzt an pures Glück. Wichtiger ist es, bestimmte Regeln zu beachten. Wir raten nur bei einem langfristigen Anlagehorizont ab fünf Jahren zu Aktienfonds. Anleger, für die ständige Verfügbarkeit wichtig ist, sollten nicht in Aktien investieren. Die Verläufe der wichtigen Indizes zeigen langfristig einen Aufwärtstrend. Wer also über längere Zeit Vermögen bilden will, wird profitieren. Will ein Anleger größere Beträge von beispielsweise 100.000 Euro anlegen, raten wir zu Tranchen, also zum Beispiel vier Beträgen à 25.000 Euro. Bei einem Rücksetzer an der Börse kann dann außerdem schnell mit einem Kauf reagiert werden.

Auf der anderen Seite gibt es unter den Bundesbürgern noch viele Aktienmuffel ...

Schlichting: Es gelingt uns immer öfter, Sparer für aktienbasierte Anlagen zu öffnen. Bei der Geldanlage stehen oft Emotionen im Weg. Der Kunde wusste ja schon immer, dass er mit Aktienfonds langfristig sechs bis acht Prozent Rendite erzielen kann. Viele haben trotzdem nicht investiert, weil die Angst vor einem Verlust häufig schwerer wiegt als die Aussicht auf einen möglichen Gewinn. Wenn ich Kunden coache, erkennen sie, dass Emotionen sie hindern, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gier und Angst sind die schlechtesten Ratgeber, wenn es um Aktien geht.

Wie gut können Ihre Kundinnen und Kunden Chancen und Risiken einschätzen?

Schlichting: Ich stelle große Wissenslücken fest. Selbst bei denjenigen, die sich mit der Materie schon beschäftigt haben. Wer das sehr intensiv macht, trifft im Regelfall seine Investitionsentscheidungen selbst. Zu uns kommen aber hauptsächlich Kundinnen und Kunden, die keine Zeit dafür haben oder sich nicht auskennen. Sie suchen einen Finanzcoach, der sie aufklärt, vor falschen Entscheidungen schützt und über Jahre bei der Finanzplanung begleitet. Lach: Der eine oder andere glaubt, auf Beratung verzichten zu können, und sucht „auf eigene Faust“ im Internet. Nach unserer Auffassung birgt genau das die größten Risiken. Denn die ersten Suchmaschinen-Treffer zum Beispiel beim Suchbegriff Geldanlage sind voll von Werbung. Alle Anbieter versuchen, zum Zug zu kommen. Niemand fragt aber den User, welche Ziele er beziehungsweise sie verfolgt, welche Verträge schon existieren oder ob es vielleicht viel bessere Produktalternativen gäbe. Es wäre zum Beispiel ein großer Fehler, Aktien zu kaufen, wenn gleichzeitig regelmäßig das Konto überzogen wird. Für solche Gesamtzusammenhänge gibt es im Internet keine Lösung, bei Vermögensberaterinnen und Vermögenberatern schon.

Wie bewerten Sie das gesteigerte Interesse an Trading-Apps?

Lach: Trading-Apps werden in erster Linie von Menschen zwischen 20 und 30 genutzt. Positiv ist dabei, dass sich junge Menschen auf diesem Weg aktiv mit der Geldanlage beschäftigen und feststellen: Es ist gar nicht so kompliziert, in Aktien zu investieren. Sie werden aber auch sehen, dass es auf und ab gehen kann. Das sind wichtige Erfahrungen. Ich bin ziemlich sicher, dass junge Menschen nach und nach merken werden, dass sie das selbst verdiente Geld dringend für andere Dinge benötigen: Möbel für die erste eigene Wohnung, ein Auto, ein neues Smartphone, eine schöne Urlaubsreise.

Wie leben Sie den Finanzcoaching-Ansatz in der Praxis, Herr Schlichting?

Schlichting: Ähnlich wie ein Fußballtrainer, der die Leistungen seiner Spieler im Training so steigert, dass sie ihr Können im nächsten Spiel auf dem Platz zeigen können. Wir Vermögensberaterinnen und Vermögensberater verschaffen uns als Finanzcoaches einen Überblick über die individuelle Ist-Situation des Kunden und erarbeiten mit ihm beziehungsweise ihr gemeinsam ein Konzept, mit dem sich Ziele und Wünsche realisieren lassen. Finanzcoaching heißt aber auch, Vermögensaufbau mit der Vermögenssicherung zu kombinieren. Denn was nutzt die beste Geldanlage, wenn der Verlust der Arbeitskraft und Haftpflichtrisiken nicht abgesichert sind?

Wie können Anlegerinnen und Anleger Risiko und Rendite in Einklang bringen?

Schlichting: Das lässt sich nur im Einzelfall beantworten. Denn jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen und Emotionen, wenn es um Rendite und Risiko geht. Und genau darauf sind Investmentfonds ausgerichtet. Wer es sicherer haben will, nimmt Mischfonds mit geringerer Aktienbeimischung. Wer längerfristig investieren und von Aktien profitieren will, kann zum Beispiel weltweit investierende Dividendenfonds nutzen. Auch Nischen wie aussichtsreiche Branchenfonds, die etwa auf Digitalisierung, Künstliche Intelligenz oder Nachhaltigkeit setzen, können interessant sein. Es ist meine Aufgabe, mit dem Kunden auszuloten, was am besten passt. Lach: Neben Risiko und Rendite spielt bei vielen Anlegern auch die Liquidität eine Rolle, also die Möglichkeit, schnell an das Geld zu kommen, zum Beispiel für den Kauf eines Autos. Bei Immobilien oder Oldtimern ist eine Teilverfügung nahezu unmöglich, bei Investmentfonds hingegen eine Sache von 24 Stunden.