Auf und ab: Ein grüner und ein roter Pfeil überschneiden sich.
04.11.2021    Gerhard Michel
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Der Fundamentalinvestor wendet, bei der Beurteilung eines Aktieninvestments die gleichen Parameter an, die auch eine Geschäftsleitung bei einer Firmenübernahme in der Realwirtschaft beachtet. Der  Aktieninvestor hat jedoch den Vorteil, dass Börsenkurse kurzfristig volatiler sind als die Unternehmenspreise in der Realwirtschaft und er von stärkeren Marktdivergenzen zwischen Preis und Wert profitieren kann, denn Börsenkurse sind kurzfristig getrieben von Angst und Gier. Langfristig (bei diesem Begriff darf man ruhig in Jahrzehnten denken) spiegeln die Märkte jedoch den Wert einer Unternehmung wieder.

Kolumnenkasten von Gerhard Michel

Die Börse bewertet kurzfristig emotional und langfristig rational

Die Schere zwischen Börsenkurs (Preis) und Unternehmenswert (Wert) kann sich kurzfristig sowohl in Richtung Unterbewertung als auch in Richtung Überbewertung öffnen. Die Zeitspanne, die zwischen der kurzfristigen Fehlbewertung am Markt und der langfristigen Werterkennung liegt, spielt dabei für fundamental Investierende keine Rolle. Sie wissen auf der Basis der Unternehmenszahlen, dass sie Recht haben, wissen jedoch nicht, wann sie Recht bekommen. Aktienspekulanten, die keine Geschäftsberichte analysieren, sind hingegen einer für immer währenden Ungewissheit ausgesetzt.

Spekulierende hoffen, dass sie Recht bekommen

Es ist die Mathematik, die intelligent Investierende vor ihrer Gefühlswelt schützt und Emotionen durch Wissen ersetzt. Die mit Abstand wichtigste Rolle spielt dabei die Prozentrechnung. Investierende müssen unter anderem in der Lage sein, ihre prozentuale Rendite auf das eingesetzte Kapital zu berechnen. Die Formel zur Berechnung lautet:

Gewinn je Aktie geteilt durch den Börsenkurs = x mal 100 = Rendite auf das eingesetzte Kapital (in Prozent)

Illustration von Gerhard Michel

Gerhard Michel ist Investor und Finanzcoach. In Einzelcoachings, Seminaren und als Gastdozent vermittelt er die quantitative, fundamentale Aktien- / Unternehmensanalyse

Diese Formel wird leider von Aktieninvestoren zu selten angewendet. Öffentlich stärker propagiert – und daher auch von vielen Aktionären stark beachtet – wird das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Das KGV ist jedoch eine eher abstrakte Zahl, die aussagt, wann ein Investment amortisiert ist. In einem inflationären Umfeld hat das KGV somit klare Schwächen.

Die Rendite muss ins Verhältnis zur Inflationsrate gesetzt werden

Bei der Betrachtung der Inflationsrate sollte zumindest die von der Europäischen Zentralbank gewünschte jährliche Inflation von zwei Prozent angesetzt werden. Natürlich kann auch die aktuell höhere Inflationsrate als Maßstab gewählt werden. Wichtig ist allein, dass der Aktionär überhaupt einen Vergleich zwischen der eigenen Rendite und der Inflationsrate anstellt, um die Sinnhaftigkeit seines Investments zu überprüfen, denn eine Rendite auf oder unter der Inflationsrate ist nicht erstrebenswert.

Wenn Aktienpreise und -indizes Allzeithochs erklimmen, sinken die Renditen bei Neuinvestitionen

Sogar Aktionäre, die ihrem Investment zahlenbasierte Kriterien zugrunde legen, sind häufig bereit, trotz einer offensichtlichen Überbewertung des Wertpapiers ein Investment einzugehen. Ihr Argument lautet häufig: Die Gewinne des Unternehmens werden in der Zukunft stark wachsen und dann wird eines Tages meine Rendite über der Inflationsrate liegen. Wenn man jedoch die Gewinnsteigerungen selbst in Wachstumsbranchen realistisch betrachtet, ist das „in den Kaufkurs hineinwachsen lassen“ ein müßiges Unterfangen, vor allem, wenn zur gleichen Zeit günstig bewertete Unternehmen in einem heterogenen Aktienmarkt angeboten werden.

Für lebenslange Netto-Aktienkäufer sind Allzeithochs kein reiner Grund zur Freude

Auch wenn noch nicht klar ist, ob die gestiegene Inflationsrate im Bereich der Güter und Dienstleistungen zu einem Dauerzustand wird, so hatte sich in den letzten Jahren doch bereits eine Vermögenspreisinflation bei den Vermögenswerten Anleihen, Immobilien und Aktien verfestigt. Während erfahrene Immobilieninvestoren über geringere Mietrenditen aufgrund  gestiegener Immobilienpreise klagen, lassen sich viele Aktieninvestoren von neuen Allzeithochs im Aktienmarkt blenden. Die Rendite auf das eingesetzte Kapital sollte bereits beim Aktienkauf deutlich über der Inflationsrate liegen und mit den Jahren durch die anschließend steigenden Unternehmensgewinne weiter ansteigen. Radikal formuliert lautet das Mindset eines lebenslangen Aktieninvestors:

Für den langfristig agierenden Netto-Aktienkäufer sind fallende Aktienkurse bei steigenden Unternehmensgewinnen der Optimalfall.

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04.11.2021    Gerhard Michel
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