Porträt von Gerhard Schröder
05.05.2021    Kai Makus
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Als Bundeskanzler setzte Gerhard Schröder seine Positionen machtbewusst durch. Auch Europa müsse sich der eigenen Macht bewusst werden – und seine Interessen deutlicher machen, um zwischen den Blöcken USA und China bestehen zu können, sagt Schröder im Interview in der Sendung „19 – die Chefvisite“. Globale Probleme wie der Klimawandel könnten nicht im Konflikt gelöst werden. Schröder spricht sich für mehr internationale Dialogbereitschaft aus – auch gegenüber problematischen Partnern wie Russland.

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Zur Person

Gerhard Schröder

war von 1998 bis 2005 deutscher Bundeskanzler. Der SPD-Politiker galt als Macher und „Genosse der Bosse“. Er ist Vorsitzender des Boards der Ostseepipeline Nord Stream
sowie Aufsichtsrat beim russischen Ölkonzern Rosneft

Wie erklären Sie sich die offenbar wachsende Russlandfeindlichkeit in Deutschland?

Gerhard Schröder: Ich habe den Eindruck, dass man Sehnsucht nach einem neuen Kalten Krieg hat. Daraus kann nichts Gutes entstehen – weder wirtschaftlich noch politisch. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Dialog. Die aktuelle Situation zeigt, dass kein Land der Welt diese Pandemie allein bekämpfen kann. Nötig ist ein Mehr an internationaler Zusammenarbeit.

Ist das nicht problematisch mit Staaten wie Russland?

Schröder: Natürlich hat Russland seine Schwierigkeiten. Das bestreitet selbst dort in der Regierung niemand. Wenn man allerdings bei Themen wie Rechtssicherheit für Unternehmen oder Korruptionsbekämpfung weiterkommen will, geht das nur, wenn man dialogbereit ist.

Wird es unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden mehr Dialogbereitschaft geben?

Schröder: Die Amerikaner sind zurück in der Weltgesundheitsorganisation und im Klimaabkommen von Paris. Das ist positiv, aber nicht genug. Der Klimawandel ist ohne Russland und China nicht in den Griff zu bekommen. Auch die Migrationsfrage ist nicht isoliert lösbar. Bei allen Unterschieden in den Werten ist es vernünftig zu fragen: Wo können, wo müssen wir trotzdem zusammenarbeiten? Man muss die Unterschiede deutlich machen. Aber sie zum Maßstab der Politik zu machen ist irrational.

Was wird mit Biden anders, zum Beispiel im Handelskrieg mit China?

Schröder: Niemand hat an einer Eskalation des Handelskriegs mit China Interesse. Bisher kann ich aber noch keine Überwindung von „America first“ durch Biden erkennen – weder beim Handel, beim Exportverbot für Impfstoffe oder in der Energie­politik. Das Problem ist nicht der Unwille der neuen US-Admi­nistration. Sie ist aber abhängiger von innen­politischen Debatten, als sie es sein sollte, etwa wegen der Migra­tion über die mexikanische Grenze. Deutschland hat als Exportnation andere Interessen. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, brauchen wir Dialog. Wir können uns den USA nicht einfach anschließen, sondern müssen widersprechen, wenn man uns in einen Handelskrieg hineinzieht.

China ist die kommende Weltmacht. Welche Rolle kann Europa in einer neuen Weltordnung zwischen den beiden Machtpolen spielen?

Schröder: Kein europäisches Land kann ökonomisch und politisch allein auf dem gleichen Niveau wie China oder die USA spielen. Auch Deutschland nicht. Die EU kann es. Dazu muss sie aber einheitlicher werden, wirtschaftlich wie militärisch. Nur die Geldpolitik zu koordinieren reicht nicht aus. Wir brauchen mehr Inte­gration in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und wir brauchen eine europäische Verteidigungsgemeinschaft, die innerhalb der Nato, aber eigenständig agieren kann.

Welche zentralen politischen Aufgaben sehen Sie in den nächsten Jahren – global und in Deutschland?

Schröder: Die Klimafrage muss eingebettet werden in eine internationale Strategie, die den Frieden sichert. Es gibt kriegerische Konflikte in zu vielen Teilen der Welt. In Deutschland müssen wir die Bildung in den Mittelpunkt stellen – von den Grundschulen bis zu den Universitäten. Wir sind angewiesen auf die Köpfe der Menschen. Andere Rohstoffe haben wir nicht. Damit hängt das dritte Problem zusammen, das wir angehen müssen: der Arbeitskräftemangel. Deshalb sollten wir die Leute, die zu uns geflüchtet sind, schnell und gut ausbilden. Sie müssen gerüstet sein für die Arbeit, die in Zukunft anders organisiert wird. Scheitert diese Integration, werden wir nicht nur wirtschaftlich Schwierigkeiten bekommen.

05.05.2021    Kai Makus
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