Kaum etwas ist erstrebenswerter für einen Uhrenhersteller als eine unverwechselbare Designsprache. Allerdings muss sie immer wieder sorgfältig auf den Zeitgeschmack eingestellt werden. Geschieht das jedoch über einen längeren Zeitraum nicht, werden ruckartige Reformen nötig.
Als Guido Terreni Anfang 2021 neuer CEO von Parmigiani Fleurier wurde, war seine erste Aufgabe bereits klar definiert: Nichts weniger als eine neue Identität sollte er der feinen Marke mit neuen Produkten verschaffen; sie sollte frischer werden. „Die Auswahl eines neuen Chefs dauert Monate“, erklärt er. „Da hatte ich schon im Vorfeld ausreichend Zeit, mir über die Marke Gedanken zu machen und darüber, wie sie zeitgemäßer werden könnte. Sie war mit ihren Kunden gealtert.“
Und wenn die Covid-19-Krise überhaupt einen Vorteil gehabt habe, dann den, dass sie einen verpflichtete, in sich zu gehen, zu reflektieren. „Ich konnte präzise überlegen, was für ein neues Produkt ich wollte. Und wir fingen ganz von vorn an“, so Terreni.
Manchmal geht es schnell mit dem neuen Uhrendesign
Das Design der „Tonda PF“ etwa entstand in nur 20 Tagen. Für manch einen langjährigen Mitarbeitenden des Hauses vielleicht ein wenig zu schnell, räumt Terreni ein. Zugleich aber zeige sich in solch einer Rasanz auch die Stärke einer Marke: „Wissen Sie: Wenn Designer eine Idee immer noch einmal anschauen, drehen und wenden – dann ist es vielleicht besser, sie zu verwerfen.“
Die Grundüberlegung war, dass in Parmigianis Kollektionen viele markentypische Design-Codes versteckt waren und so nach Terrenis Befund keine gestalterische Protagonistenrolle übernehmen konnten. Die aber brauchte er für die neue Optik: Sie sollte klarer sein, aufs Wesentliche verschlankt. „Wir haben eine genaue Vorstellung von unseren Kunden: Sie sind Puristen, besitzen einen verfeinerten Geschmack.“
Historisches zeitgemäß interpretiert
Zuerst kümmerte man sich um die Zifferblätter der Zweizeigeruhr. Die größte Herausforderung für einen Designer sei es, überhaupt überzeugend einfach zu sein. Auch weil er dafür wissen müsse, was seine Marke ausmacht. „Wir wollten für den Kunden ein diskretes Design – und haben darum den Namen vom Zifferblatt entfernt. Der ist schließlich für den Träger nicht interessant, sondern nur für den, der wissen möchte, was denn das für eine Uhr ist.“
Die üppige Guillochierung der Blätter zum Beispiel, die auf die Wurzeln der Marke im Restaurieren historischer Zeitmesser verweist, setzte Terreni zeitgemäß um: mit einer Miniaturisierung der Muster bis zu einer fast unsichtbaren Textur.
Terreni weiß: „Parmigiani Fleurier ist eine Nischenmarke. Wenn man klein ist, sollte man nicht jedem gefallen wollen. Man muss umso genauer wissen, wer man sein will. Und dann wird man auch von denen gefunden, die dazu passen.“ Die Kundschaft sei mit 30, 40 Jahren heute jünger als noch vor wenigen Jahren. „Wobei das Alter gar kein wesentliches Kriterium darstellt“, ist sich Terreni sicher. „Es geht um Style und Authentizität. Nischenkunden wollen ja gerade nicht im Mainstream sein. Es geht ihnen nicht um sozialen Status, sondern um den Status der Kompetenz.“
Hauptsache, der Markenkern bleibt
Ähnliche Erfahrungen machte schon 2011 Oliver Ebstein, als er Chronoswiss erwarb. Allerdings war die Designreform nicht sein erstes Anliegen. „Mich hatte die Marke schon immer fasziniert, gerade auch mit der Beständigkeit ihrer Formensprache. Diese Handschrift wollte ich übernehmen“, erinnert er sich. „Wir nahmen zunächst nur sehr behutsame Änderungen vor, an den Winkeln der Stege zum Beispiel.“
Aber nach zwei, drei Jahren Arbeit an Organisation und Supply-Chain merkten die neuen Eigentümer, dass der Käufernachwuchs fehlte. Das beschleunigte die Neugestaltung. Der Chronoswiss-typische Regulator bekam dreidimensionale, fast architektonisch strukturierte Zifferblätter; farbenfrohe PVD-Beschichtungen nehmen den traditionellen Finissierungen die altväterliche Schwere. Nicht allen Mitarbeitenden gefiel diese Entwicklung, aber das Kernteam blieb.
Heute entscheiden die Vertreter aller Abteilungen gemeinsam über die neuen Modelle. Mit denen hat man nicht nur neue Kunden überzeugt, sondern Kenner und Liebhaber der Marke zurückgewonnen: „Da ist uns mit den Reformen ein Spagat gelungen.“ Die gestalterische Modernität sei natürlich nicht nur eine wirtschaftliche Entscheidung gewesen, beteuert Ebstein. „Mein Herz hing stets an den für Chronoswiss typischen Komplikationen und Zifferblättern. Und wenn wir diese Traditionen heute mit neuen Technologien verbinden, führt das den gestalterischen Charakter der Marke fort.“
Dennoch muss Ebstein heute hier und da die Experimentierfreude seines Teams auch mal bremsen: „Wichtig ist, den roten Faden nicht zu verlieren. Das progressive, farbstarke Design ist zu einer bedeutenden Ergänzung geworden. Der Markenkern jedoch ist nach wie vor derselbe.“
Zeitloses Uhrendesign heißt nicht langweilig
Als Fan traditionsreicher Zeitmesser kam auch Jupp Philipp zu seiner Marke. 2018 kaufte er Fortis, deren Fliegeruhren er schon als Jugendlicher für die ideale Pilotenausrüstung hielt. Neben der zu hohen Zahl an Modellen erkannte er bald ein Kernproblem: „Fortis verkaufte zu günstig. Wir hätten Produktionskosten senken und in den Massenmarkt gehen können. Aber wir sahen klar den Weg nach oben, wollten uns neu definieren und mehr bieten – für einen höheren Preis.“
Die gesteigerte Qualität sollte den Uhren deutlich anzusehen sein. Dafür engagierte Philipp den profilierten Uhrendesigner Xavier Perrenoud aus La Chaux-de-Fonds. Er entwarf mit der „Marinemaster“ und der „Flieger“ Uhren, die weniger wie die Kinder, eher wie die Enkel der klassischen Fortis-Instrumente aussehen, aber eben doch sofort als Familienmitglieder erkennbar sind. „Aufgeräumt“ wollte Philipp die Gestaltung, „kein Design ohne Funktion, keine Funktion ohne Design“, Zeitlosigkeit, aber keine Langeweile.
Marketing, Verkaufsleiter, Technischer Leiter und Designer entscheiden gemeinsam über die Markteinführung eines Entwurfs. Nicht alle Konzessionäre, die sich immerfort Innovationen bei den Marken wünschten, seien wirklich bereit, die neuen Konzepte wirklich mitzutragen, ist Philipp aufgefallen. Aber bei den Endkunden funktionieren sie bestens: „Die echten Fans haben gleich angebissen.“
Alt und Neu geht auch gleichzeitig
Felix Wallner hingegen, seit 2014 Geschäftsführer der Gütenbacher Marke Hanhart, fand bei Dienstantritt neben den althergebrachten Stopp- und Fliegeruhren bereits ein entschieden modernes Design vor – und zwar die „Primus“, die ein wenig wirkt wie aus einem Action-Comic. 2008 hatte man dafür alles Historische über Bord werfen wollen und die treuen Kunden verschreckt; Wallners Vorgänger hingegen holte 2012 die Klassiker zurück und wollte die „Primus“ einstellen.
Wallner aber mochte beide Linien und stellte auf Endverbrauchermessen und im Gespräch mit Juwelieren fest: „Die Kollektionen polarisieren beide, sind sehr eigenständig. Sie tragen beide die typischen Merkmale der Marke: die kannelierte Lünette, den roten Chrono-Drücker, die markante Krone. Aber sie erreichen zwei ganz unterschiedliche Kundengruppen.“
Die steigende Nachfrage machte Hanhart auch Mut zu einem bemerkenswerten Schritt: der Versteigerung des ersten hybriden Uhren-NFT. Die futuristische „CXD“ ließ Wallner vom Münchner Designer Marcus Wiedemann entwickeln. „Die Prämisse war Baubarkeit“, erklärt er. „Natürlich bleibt die ‚CXD‘ ein Einzelstück, aber uns gefällt der Gedanke, etwas in ähnlichem Design in Serie zu bauen. Anfragen gibt es genug – auch von Menschen, die vorher mit Hanhart nichts zu tun hatten. Aber das macht ja nichts.“
Bei Parmigiani Fleurier soll die Idee hinter der „Tonda PF“ das neue Rückgrat der Marke werden. Die Reformation der gesamten Kollektion aber brauche Zeit, sagt Guido Terreni, „und die Gewissheit, wer wir sein wollen“.