Eine grafische Darstellung von DNA-Strängen
23.12.2019    Alexander Steudel
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Wer Friedrich von Bohlen zuhört, den beschleicht das Gefühl: Digitaler Fortschritt ist in der Medizin nicht aufzuhalten. Der Chef des Bioinformatik-Unternehmens Molecular Health, an dem Milliardär Dietmar Hopp beteiligt ist, spricht von einem Tsunami, der auf uns zukommt. Künftig sollen Ärzte völlig anders arbeiten als heute. Es kommt weniger aufs Bauchgefühl, mehr auf Massen von Patienteninformationen in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz an. Diese Kombination soll Diagnosen und Therapien beeinflussen und Heilungschancen dramatisch erhöhen. Der Schlüssel: alle molekularen und klinischen Daten. Die sammelt, kuratiert und integriert Molecular Health seit 15 Jahren.

Zur Person

Portrait von Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach

Dr. Friedrich von Bohlen und Halbach

ist CEO von Molecular Health in Heidelberg, einem Bioinformatik-Unternehmen, das er vor 15 Jahren mit dem Ziel gründete, die Behandlung schwerster Erkrankungen auf der Erkenntnis ihrer molekularen Ursachen zu revolutionieren. Von Bohlen ist ein Erbe der Krupp-Dynastie

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Ihr Unternehmen ­Molecular Health versucht, molekulare Informationen für Ärzte und Patienten so verfügbar zu machen, dass darauf basierend eine deutlich bessere ­Prävention sowie präzisere Diagnosen und Behandlungen möglich werden. Wer aber heute zum Arzt geht und ein Faxgerät surren hört, tut sich schwer damit, daran zu glauben. Man hat eher das Gefühl, dass diese zwei Welten noch sehr weit voneinander entfernt sind.

Friedrich von Bohlen: Und trotzdem wird es so kommen. Die Therapien werden immer mehr dynamischen Leitlinien und Algorithmen folgen. Das Ver­stehen der molekularen Prädisposition, also zum ­Beispiel unserer erblichen Veranlagung, kommt wie ein Tsunami auf uns zu. Wir stecken in der Medizin am Anfang einer Revolution, die fast vergleichbar ist mit dem Zeitpunkt, als für die Physik die Zahlen entdeckt wurden.

Welche Chancen sehen Sie?

von Bohlen: Die Molekularbiologie eröffnet eine völlig neue Erkenntnisdimension. Sie ist entscheidend für das Verstehen von „gesund“ und „krank“ und für präzise Diagnosen und Behandlungsunterstützung. Nutznießer sind zum einen Gesunde, weil sie über das Verstehen von „gesund“ sowie individuelle Vorsorge und ihr Verhalten lange nicht krank werden, vor allem aber Patienten, weil sie in Zukunft viel höhere Heilungschancen haben, wenn Ärzte in der Lage sind, alle Informationen und damit auch molekulargene­tische Information präzise im jeweils individuellen Kontext einer Erkrankung zu verstehen.

Heute hakt es ja schon daran, die richtige Diagnose zu stellen.

von Bohlen: Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Onkologie. Wir haben in Deutschland 600.000 neue Krebsfälle pro Jahr. Die Hälfte kann gut geheilt werden, aber die anderen 300.000 sind problematisch. Der Erstbehandlungserfolg liegt hier bei nur 25 Prozent, weil meistens das präzise molekulare Verständnis der Erkrankung fehlt. Erschwerend kommt der Zeitfaktor hinzu, denn eine falsche Behandlung verschlimmert ja die Situation des Patienten. Oder anders: Die gleiche Therapie bei zwei Patienten, die vermeintlich dieselbe Krankheit haben, kann völlig unterschiedlich anschlagen. Der eine wird geheilt, dem anderen schadet es, weil sein Bio-Marker-Muster nicht bekannt war und man deshalb nicht erkennen konnte, welches Medikament wie wirkt. Bio-Marker-Muster kann ich aber nur über molekulare Analysen erkennen. Das ist der wohl entscheidendste Baustein für eine anschließende erfolgreiche Behandlung.

Wie häufig passiert das aktuell in Deutschland, zum Beispiel im Vergleich mit den USA?

von Bohlen: Aktuell werden in Deutschland etwa zwei Prozent der Krebspatienten so profiliert, in den USA sind es rund zehn Prozent.

Wird der Arzt irgendwann überflüssig, weil der datengespeiste Superdoktor-Roboter dann alles besser kann?

von Bohlen: Nein, aber es werden viele Ärzte wegfallen, die diese Methoden nicht anwenden. Ärzte müssen sich diesem Fortschritt öffnen, weil an der Kombination molekularer Daten und Künstlicher Intelligenz kein Weg vorbeiführt. Und weil kein Arzt 12.000 Krankheitsbilder im Kopf haben kann. Ich finde es fahrlässig, wenn in der Onkologie heute ein Arzt keine molekulare Profilierung anordnet.

Spürt man den Fortschritt schon an den Universitäten? Wie wichtig ist das Thema aktuell im Medizinstudium?

von Bohlen: Ich fürchte, das steckt noch in den Anfängen. Es gibt zwar Universitäten, die sich im Medizinstudium an Computing oder Künstliche Intelligenz herantasten. Aber die meisten haben das überhaupt nicht im Angebot.

Das Ziel Ihres Unternehmens Molecular Health ist es, diese Entwicklung zu beschleunigen. Wie kommen Sie an die Informationen heran, und wie schaffen Sie dann die Qualität für Ihr Referenz-Datenbanksystem?

von Bohlen: Die größte Herausforderung sind die Daten selbst. Daten gibt es viele, aber sie sind heterogen und dirty, sie müssen also erst einmal kuriert werden. Wir nutzen 150 verschiedene Datenbanken, zerlegen die Daten, kurieren und integrieren sie 
dann nach Themengebieten. Wir bauen in etwa das, was die Satelliten für GPS sind. In Heidelberg sind wir 120 Mitarbeiter, davon arbeiten 65 in der Entwicklung und 15 im Qualitätsmanagement. Außerdem beschäftigen wir etwa 200 externe Mitarbeiter in Indien, die nichts anderes machen, als die Datenqualität sicherzustellen. Unsere Kunden sind Ärzte und die Pharma­industrie.

Sie haben anfangs von einem Tsunami gesprochen. Was bedeutet das für die deutsche Industrie?

von Bohlen: Die große Frage für Deutschland lautet: Kaufen wir am Ende die Technologie aus den USA oder China – oder bauen wir sie selbst? Dahinter steckt auch die Frage nach der Primärwertschöpfung. Wir brauchen innovative Unternehmen in Deutschland, die hier ihre Steuern zahlen. Nur so können wir den Wohlstand auf Dauer erhalten, den wir ja nicht mehr verlieren wollen.

In Deutschland hört man bei dem Thema Genom meistens zuerst das Wort ...

von Bohlen: … Datenschutz – und das ist auch sehr wichtig. Wir reden hier über den Code of Life. Wer möchte den in falschen Händen wissen? Auf der anderen Seite ist diese Entwicklung nicht aufzuhalten. Es gibt demnächst einen USB-Stick, auf den man spuckt, und dann hat man sein Genom. Für 299 Euro. Gesunde und Kranke generieren so in der Zukunft 
ihre Daten für diese Transformation, und beide wer 
den dadurch auch die größten Nutznießer sein.

23.12.2019    Alexander Steudel
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