Ein grünes Auto ist durch ein grün leuchtenden Kabel mit einer Ladestation verbunden.
16.03.2021    Mark Simon Wolf
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Alternativlos sei eine Neuausrichtung des Volkswagen-Konzerns. Davon ist Jochen Sengpiehl, Chief Marketing Officer von VW, überzeugt. Denn der zunehmende Fokus auf Nachhaltigkeit bei den Verbrauchern und der damit verbundene Umstieg auf Elektromobilität stellen die Automobilindustrie vor Herausforderungen – einerseits. Denn gleichzeitig bieten sich für die etablierten Marken dadurch enorme Chancen, sich zukunftsfähig und modern aufzustellen. Bei VW – so berichtet Sengpiehl im Interview – habe der Weg zur Klimaneutralität, der „way to zero“, schon längst begonnen. Und dennoch erfordere das täglich ein Umdenken in allen Bereichen.

Zur Person

Jochen Sengpiehl

ist seit 2017 wieder Chief Marketing Officer (CMO) der Volkswagen AG. Bereits von Anfang 2006 bis September 2009 war er als Senior Vice President und CMO bei dem Wolfsburger Automobilhersteller tätig und prägte die Marketingkampagne „Das Auto“ maßgeblich mit.

Was hat sich in der Autoindustrie konkret verändert?

Jochen Sengpiehl: Die Autoindustrie befindet sich weltweit in der größten Umbruchphase, die es je gab. In den kommenden zehn Jahren wird sich innerhalb der Branche mehr verändern als in den vergangenen 100 Jahren. Das liegt etwa an der Elektrifizierung und dem Softwareeinsatz. Jedes Auto wird zu einem fahrenden Device mit eigenem Betriebssystem werden. Dazu kommt: Wer hätte gedacht, dass das Thema Klimawandel global einen so enormen Durchbruch erfährt oder dass die Bewegung „Fridays for Future“ ein solches Momentum annimmt? Durch die Generationen Y und Z hat sich sehr viel verändert. Diese Rahmenfaktoren haben keinen Stein auf dem anderen gelassen. Wir müssen uns diesen Themen nicht nur stellen, sondern die Marke Volkswagen muss sich neu erfinden.

Wenn Sie Ihre Kampagnen „Das Auto“ und „New Volkswagen“ miteinander vergleichen: Wie hat sich die Marke VW in den letzten Jahrzehnten entwickelt?

Volkswagen hatte in den 1950er- und 1960er-Jahren den Purpose, das Auto zum Menschen zu bringen. Damals haben wir das Auto demokratisiert – übrigens eine große Stärke der Marke. Von 1980 bis zur Jahrtausendwende hat unser damaliger Vorstandsvorsitzender Ferdinand Piëch Spitzentechnologie im Konzern etabliert. So hat es VW geschafft, mit der Marke technologische Features und Funktionalitäten, die es bis dahin nur in der Oberklasse gab, für alle zugänglich zu machen. Danach kam die Frage auf: Was ist die dritte große Epoche von VW und was trägt uns die nächsten 20 bis 30 Jahre? Und das kann nur die Elektrifizierung beziehungsweise die elektrische Mobilität für alle sein – gepaart mit einer vernünftigen Software. Damit wollen wir die Pariser Klimaziele bis 2050 übertreffen.

Was muss VW als Unternehmen leisten, um die E-Infrastruktur zu verbessern?

Europaweit baut der Konzern bis 2025 insgesamt 36.000 Ladepunkte auf, davon 11.000 durch die Marke Volkswagen. Sie werden an den Volkswagen Standorten installiert – und bei den rund 3.000 Volkswagen-Händlern in allen größeren Städten. In Summe investiert der Konzern rund 250 Millionen Euro in den Ausbau der Ladeinfrastruktur an den europäischen Standorten.  Es bedarf aber auch einer starken Unterstützung der Politik.

Muss das Marketing für die künftigen Produkte neu gedacht werden?

Absolut. Das Marketing hat die Aufgabe, die vorherrschenden Vorurteile gegenüber der E-Technologie abzubauen und Informationen zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, den Menschen an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit den richtigen Content zur Verfügung zu stellen. Das richtige Agieren im digitalen Ökosystem stellt heute einen wesentlichen Schlüssel dar. Bei der UX, der Nutzererfahrung, verschwimmen die Grenzen von Vertrieb, Marketing und Kommunikation. Früher war der Verkaufsprozess linear und wir sind ausgestiegen, als der Kunde ein Auto gekauft hatte. Heute müssen und wollen wir ihn aber darüber hinaus weiter begleiten.

Was bedeutet es konkret, einerseits die neue VW-Welt zu gestalten und zu vermarkten und andererseits noch Millionen von Autos mit Verbrennermotor zu verkaufen?

Erstens müssen und wollen wir unsere Märkte und unseren Vertrieb unterstützen, damit wir Autos verkaufen. Wir brauchen den Verbrenner noch auf bestimmte Zeit, aber so effizient wie möglich. Zweitens müssen wir die Marke präsentieren und ein Stück weit Begehrlichkeiten schaffen. Das bedeutet, dass wir noch lange zweigleisig fahren werden. Aber auf dem Weg zu unserem übergeordneten Purpose, dem Weg zur bilanziell CO2-neutralen Mobilität, haben die Elektrifizierung und die Hybridisierung eine enorm große Bedeutung. Wir werden von Jahr zu Jahr den Anteil der Budgets zunehmend in diese Richtung verschieben, denn bis 2030 wird der Anteil reiner E-Autos am VW-Absatz in Europa auf über 70 Prozent steigen.

Welchen Einfluss hatte die Coronapandemie bisher auf Volkswagen?

Unsere digitale Transformation hat sich noch einmal erheblich beschleunigt. Ich bin sehr stolz auf unser Team, wie schnell wir das gemeinsam antizipiert haben. Zum Beispiel haben wir im Eiltempo teil-virtuelle Messen konzipiert und durchgeführt. Zur Markteinführung unserer neuen Elektroautos ID.3 und ID.4 haben wir knapp 7.000 Verkäufer digital geschult. Der Lockdown hat im Marketing wie ein digitaler Turbo gewirkt und wir werden nie wieder zu alten Zeiten zurückkommen. Aber trotzdem: Das persönliche Produkterlebnis und die Emotionen in einer Gemeinschaft sind und bleiben unersetzlich.

Wie wird das Marketing von Volkswagen im Jahr 2030 aussehen?

Ich wünsche mir, dass die Marke VW ihren emotionalen Kern behält, weiter ihre fantastischen Geschichten erzählt und ihren Humor behält. Denn das ehrliche Storytelling hat die Marke weltweit großgemacht. Außerdem bin ich sicher, dass das Marketing um ein Vielfaches digitaler und noch ein Stück weit globaler agieren wird.

16.03.2021    Mark Simon Wolf
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