der autonome Rennwagen der TUM in Las Vegas
31.01.2022    Madeline Sieland
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Der Motorsport ist für Automobilhersteller und Zulieferer nicht einfach nur ein aufmerksamkeitsstarkes Spaß-Projekt. Es ist das wohl wichtigste Entwicklungslabor der Branche. Denn Komponenten, die sich im absoluten Härtetest auf der Rennstrecke bewähren, finden sich dann oftmals zeitnah im Serienfahrzeug wieder.

Das war schon bei Doppelkupplungsgetrieben und Keramikbremsen der Fall. Und beim Allradantrieb. In der Rennserie Formel E lernten Hersteller und Zulieferer in den vergangenen Jahren zudem viel darüber, was bei der Elektrifizierung von Straßenfahrzeugen zu beachten ist. Und dass kürzlich erstmals autonome Rennwagen auf dem Las Vegas Motor Speedway gegeneinander antraten, kann eigentlich nur eines heißen: Die Entwicklung beim autonomen Fahren ist weiter als gedacht.

Autonom unterwegs mit 270 km/h

Bei der Indy Autonomous Challenge traten neun Entwicklerteams von Universitäten mit ihren autonomen Boliden gegeneinander an. Gefahren wurde dabei nicht in einem großen Feld wie etwa in der Formel 1 üblich. Diese Herausforderung wäre für die intelligenten Algorithmen dann doch noch zu groß gewesen. Stattdessen fuhren die Teams in Duellen gegeneinander.

Die Grundvoraussetzungen waren für alle gleich: Jeder ging mit einem Boliden des italienischen Herstellers Dallara mit Vierzylinder-Motor sowie identischen Reifen und Aerodynamik-Einstellungen an den Start. Nur das Cockpit packte jedes Team mit eigens entwickelter moderner autonomer Technologie voll. So machte am Ende tatsächlich nur die Künstliche Intelligenz dank Kameras, Radar-, Ultraschall- und Lidar-Sensoren den Unterschied.

Den Kampf Roboterwagen gegen Roboterwagen gewannen die Ingenieure des Teams Polimove, eine Kooperation der italienischen Politecnico di Milano und der US-amerikanischen University of Alabama. Zweiter wurde das Team „TUM Autonomous Motorsport“ der Technischen Universität München.

Vom Rennwagen auf die Straße

Zugegeben: Der Anblick der Boliden, die Formel-1-Wagen zum Verwechseln ähnlich sehen, aber statt von einem Menschen von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert wurden, war auch ein wenig beängstigend. Immerhin waren die autonomen Rennwagen bis zu 270 km/h schnell.

Aber: „Wir konnten bei diesem Rennen zeigen, was unser autonomes Fahrzeug im Zusammenspiel mit anderen Fahrzeugen bei solchen extrem hohen Geschwindigkeiten leisten kann“, sagt Professor Markus Lienkamp, Inhaber des Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik an der TU München. Die Hochschule plant, die Forschungsarbeiten zum autonomen Fahren Open Source zur Verfügung zu stellen. Zudem haben ehemalige Doktoranden des Teams die Softwarefirma driveblocks gegründet. Denn: „Wir wollen jetzt die Technologie auf die Straße bringen“, betont Lienkamp.

Ein Ziel, dass auch Paul Mitchell, Organisator der Indy Autonomous Challenge, verfolgt: „Uns geht es nicht darum, eine neue Rennserie zu etablieren“, sagt er. Vielmehr gehe es darum, die Entwicklung autonomer Fahrzeuge zu beschleunigen. Denn klar ist: Wenn die Künstliche Intelligenz dank Sensoren den Boliden bei Geschwindigkeiten von 270 km/h und in Kurven, die bis zu 20 Grad geneigt sind, auf Kurs halten und in Bruchteilen von Sekunden auf Unerwartetes reagieren kann, dann kann sie vermutlich auch den normalen Straßenverkehr meistern.

Mittel gegen den Fachkräftemangel

Die Entwicklungen im Bereich autonomes Fahren sollte vor allem eine Branche intensiv beobachten und aktiv mitgestalten: der Logistik-Sektor. Denn Lkw, die Ware wie von Geisterhand gesteuert eigenständig ans gewünschte Ziel bringen, können die Supply-Chain absichern. Auf lange Sicht sind autonom fahrende Lkw daher das beste Mittel gegen den Fachkräftemangel. Und der ist bei Berufskraftfahrerinnen und -kraftfahrern bereits heute deutlich sichtbar.

Laut eines Berichts des Institut der deutschen Wirtschaft fehlten im September 2021 hierzulande 6.659 Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer – Tendenz stark steigend. Derzeit sind nur 13,6 Prozent der Berufstätigen im Güterverkehr unter 35 Jahre alt; 14,5 Prozent sind über 60 Jahre alt.

Der Beruf ist enorm wichtig, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Aber der Job ist auch stark konjunkturabhängig; die Beschäftigungsperspektiven sind eher unsicher. Und das vergleichsweise geringe Gehalt – ausgebildete Berufskraftfahrerinnen und -fahrer verdienten laut Statistischem Bundesamt 2020 im Schnitt 14,21 Euro brutto pro Stunde – macht den Job nicht attraktiver.

Autonome Lkw schlagen sich im Praxistest gut

Welches Potenzial autonom fahrende Lkw bergen, hat der Lkw-Hersteller MAN in einem Pilotprojekt gemeinsam mit der Hamburger Hafen und Logistik AG bereits erprobt. Von 2018 bis 2021 wurde am Container-Terminal in Hamburg-Altenwerder realitätsnah die Integration autonom fahrender Lkw in den Containerumschlagsprozess erprobt.

„Pilotprojekte wie Hamburg TruckPilot beweisen, dass der Einsatz von selbstfahrenden Lkw technologisch umsetzbar ist und sich effizient in Logistikabläufe integrieren lässt“, sagt MAN-Entwicklungsvorstand Dr. Frederik Zohm. Nun sollen zusammen mit Partnern und Kunden weitere Automatisierungslösungen erprobt werden. Das Ziel ist dabei klar: Bis zum Ende des Jahrzehnts will MAN autonome Zero-Emission-Trucks in Serie produzieren.

Konkurrenz bekommt MAN dabei auch von neuen Playern am Markt – etwa dem US-amerikanischen Start-up Kodiak Robotics. Lkw, die mit der Kodiak-Driver-Lösung aufgerüstet wurden, sind auf Langstrecken in den USA bereits autonom unterwegs – und zwar mehrheitlich ohne, dass der Sicherheitsfahrer aktiv eingreifen muss.

Kodiak-Gründer ist Don Burnette. Er entwickelte bereits bei Google und Uber selbstfahrende Fahrzeuge; 2018 machte er sich dann selbstständig und fokussierte sich voll auf den Bereich Langstrecken-Güterverkehr. Warum? „Wir glauben, dass selbstfahrende Lastwagen die ersten autonomen Fahrzeuge sein werden, die ein tragfähiges Geschäftsmodell unterstützen“, so Burnette. Bereits 2023 sollen Lkw, die mit seiner Technologie ausgestattet sind, garantiert in jeder Situation sicher navigieren können, verspricht Burnette. Mit seiner Vision konnte er unter anderem Bridgestone, BMW i Ventures, StepStone und Battery Ventures als Investoren gewinnen.

31.01.2022    Madeline Sieland
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