Logistik mit Künstlicher Intelligenz
30.03.2021
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Laut der Non-Profit-Organisation CDP sind die Klimaschäden entlang der globalen Lieferketten enorm. Allein der Ausstoß von Treibhausgasemissionen entlang der Lieferkette übersteigt den Emissionsausstoß des operativen Betriebs der Unternehmen – beispielsweise aufgrund der eigenen Produktionsstätten – um das Fünffache. Wollen wir den Wandel zu einer emissionsfreien oder zumindest emissionsarmen Weltwirtschaft weiter vorantreiben, müssen die Lieferketten unweigerlich in den Fokus rücken. Kolumne von Gregor Stühler

Viele Unternehmen beteuern bereits, umweltschädliche Praktiken in ihren Lieferantennetzwerken reduzieren zu wollen. Microsoft beispielsweise will bis 2030 einen negativen CO2-Ausstoß erreichen – und integriert daher konkrete Emissionsziele und technologische Initiativen in das eigene Beschaffungswesen.

Andere Konzerngrößen geben zwar ähnlich ambitionierte Ziele heraus, doch es bleibt bei Einzelfällen. Das große globale Momentum, eine gemeinsame Kraftanstrengung fehlt: Laut dem CDP Global Supply Chain Report 2020 meldeten nur 29 Prozent der Lieferanten einen absoluten Rückgang der jährlichen Emissionen. Zu viele Unternehmen sehen in nachhaltigen Lieferketten noch immer ein „nice-to-have”. Ein Fehler!

Handeln statt reden

Denn dieses schleppende Tempo bei der Umsetzung nachhaltiger Supply Chains gefährdet nicht nur unser Klima – es ist auch wirtschaftlich schlicht nicht sinnvoll. Durch das Klima verursachte Schäden sind längst bittere, kostspielige Realität: Der Wirtschaft entstehen dadurch Kosten von knapp einer Billion US-Dollar innerhalb der kommenden fünf Jahre. Und langfristig müssen Unternehmen, die ihre Lieferketten partout nicht klimafreundlich aufstellen wollen, mit behördlichen Maßnahmen, Haftungsansprüchen und dem Rückzug von Investoren rechnen. Unternehmen sollten sich als Folge der Covid-19-Krise also sowohl intensiv mit der Widerstandsfähigkeit als auch mit den Umweltrisiken ihrer Lieferketten beschäftigen.

Nachhaltigkeit ist allerdings mehr als bloßes Risikomanagement. Vielmehr bietet der Übergang zu einer grüneren Wirtschaft immense unternehmerische Chancen: Es besteht inzwischen breiter Konsens über die Korrelation von Nachhaltigkeit und Betriebsergebnissen.

Unilevers Ziel etwa, die eigenen Produktionsanlagen mit erneuerbaren Energien zu betreiben, ist explizit mit Möglichkeiten verknüpft, die Produktionskosten zu senken, die eigene Widerstandsfähigkeit zu steigern und Wachstum voranzutreiben.

Gregor Stühler von scoutbee

Gregor Stühler: Er ist Mitgründer und Geschäftsführer von scoutbee, einer Plattform für die digitale Lieferantensuche. Große multinationale Konzerne wie Audi, Airbus, Siemens oder Bosch nutzen die Datenbank und die Künstliche Intelligenz des Unternehmens für ihr strategisches Beschaffungswesen

Und neue Analysen zeigen, dass Unternehmen mit umweltfreundlichen Lieferketten ihre Konkurrenz klar outperformen. Die Frage lautet also: Warum findet der Fortschritt so langsam statt? Warum ergreifen nicht mehr Unternehmen umgehend Maßnahmen?

Daten – der X-Faktor für nachhaltige Lieferketten

Die Datenarmut im Beschaffungswesen ist eine der größten Herausforderungen. Zwar können Unternehmen ihre eigenen, direkten Auswirkungen auf das Klima ziemlich genau erfassen. Wollen sie jedoch den Umwelt-Impact ihrer Partner erfassen, entstehen schnell „blinde Flecken“. Die meisten Unternehmen haben schlicht keine Daten über jene Sublieferanten in ihrer Lieferkette, die über die direkten Vertragspartner hinausgehen. Selbst große Konzerne haben Schwierigkeiten, Standards bei Subkontraktoren einzufordern.

Selbst wenn die Daten vorliegen ist es schwierig, aus diesen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Schließlich gibt es immer noch keinen globalen Standard für die Bewertung von Nachhaltigkeit. Stattdessen müssen sich Beschaffungsteams in Eigeninitiative ein Verständnis der gängigen – und wohlgemerkt freiwilligen – Zertifizierungen und Initiativen wie CDP, GRI, SASB und ISO sowie lokaler Vorschriften aneignen. Dieses fragmentierte Umfeld macht es nahezu unmöglich, vergleichbare Benchmarks innerhalb und zwischen den einzelnen Branchen zu etablieren. Zwar versuchen Unternehmen die Nachhaltigkeit ihrer Zulieferer zu überwachen – allerdings mit nur willkürlichen, bruchstückhaften Daten als Richtschnur.

Daten und Künstliche Intelligenz als Retter in der Not

Unternehmen müssen mehr tun, um die Umwelt-Praktiken ihrer Lieferanten zu adressieren. Doch die bestehende Intransparenz und fehlende Reporting-Standards machen dies für alle Unternehmen außer den weltweiten Marktführern schwer. Wie also kann der Rest aufholen und gleichziehen?

Technologie hat das Potenzial, diese Kluft zu überbrücken. Künstliche Intelligenz (KI) und Analysesoftware liefern wertvolle Daten und Informationen, die Beschaffungsteams in vielen Anwendungsfällen helfen: von der Ausarbeitung dedizierter interner Umweltrichtlinien bis zur Restrukturierung ganzer Lieferketten. Kurzum: Wenn nachhaltige Lieferketten das Ziel sind, führt der Weg dorthin nur über die Digitalisierung des Beschaffungswesens. Welche Faktoren müssen Entscheidungsträger dabei beachten?

Faktor 1: Benchmarking

Die großen negativen Auswirkungen einzelner Branchen auf die Umwelt lassen sich schnell herausfinden. Wir verfügen etwa über breite Datensätze über den ökologischen Fußabdruck landwirtschaftlicher Produkte oder den CO2-Ausstoß der Schifffahrtsbranche. Von hier aus können Unternehmen spezifische Kriterien festlegen, anhand derer sie die Performance einzelner Lieferanten vergleichen können.

KI-gestützte Tools zur Lieferantensuche beziehen diese Benchmarks im nächsten Schritt automatisiert in die Lieferanten-Recherche ein und identifizieren in einer ersten Longlist genau diejenigen Lieferanten, die den Anforderungen entsprechen. Zudem zeigen diese digitale Lösungen Umweltdaten zusammen mit konventionellen Metriken der Lieferanten auf einem einzigen Dashboard an. Das ermöglicht Beschaffungsteams, bereits früh in der Entscheidungsfindung auf Nachhaltigkeits-Aspekte zu achten. Denn erst wenn genügend nachhaltige Alternativen zur Verfügung stehen – zum Beispiel zehn identifizierte Lieferanten anstatt zwei –, kann Nachhaltigkeit zu einem echten Faktor werden. Andernfalls wird der Preis nach wie vor das Zünglein an der Waage sein.

Faktor 2: Optimierung der Transport- und Bedarfsplanung

Ein erheblicher Teil der weltweiten Treibhausgasemissionen entsteht durch den Transport von Gütern. Doch nicht nur das: Der Transport ist in vielen Unternehmen ein unnötiger Kostenfaktor. Beispielsweise durch ineffiziente Lieferrouten oder leer fahrende Fahrzeuge.

Mittels moderner Analyse-Tools können Unternehmen ihre Produktion oder Lieferungen zielgenau planen. Dafür bezieht die Software variable und schwankende Faktoren wie das Wetter und die Nachfrageprognosen ständig mit ein. Außerdem können KI-gestützte Logistikplattformen nicht nur effiziente Transportrouten berechnen, sondern auch andere Empfehlungen zur Effizienzsteigerung geben, zum Beispiel die Konsolidierung von Sendungen.

Faktor 3: Diversifizierung

Den Langstreckentransport effektiv zu dekarbonisieren ist eine enorme Herausforderung. Deshalb plädieren viele für eine stärkere Verlagerung der Lieferketten in die Heimatländer der produzierenden Unternehmen. Denn so können Unternehmen auch die lokalen Umwelt-Regulierungen besser berücksichtigen.

Dieser Prozess kann mittels KI weiter verschlankt werden. Ohne menschliche Einschränkungen – etwa Sprachbarrieren – schaffen KI-basierte Lösungen Transparenz über den gesamten Zulieferermarkt und qualifizierte Lieferanten. Darüber hinaus identifizieren diese innovative Alternativen und verkürzen gleichzeitig den oft monatelang dauernden Scouting-Prozess auf wenige Tage. Erfreulicher Nebeneffekt: Die Künstliche Intelligenz befreit Einkäufer von diesen teils langwierigen manuellen Aufgaben und schafft somit Kapazitäten für andere Aufgabengebiete, etwa die Gestaltung der Zusammenarbeit mit Lieferanten.

Der Weg in die Zukunft

Wir befinden uns auf der Reise zur Nachhaltigkeit vielerorts noch immer im Blindflug. Zu viele bestehende Lieferketten wurden zu einer Zeit aufgebaut, in der weder Nachhaltigkeit noch Transparenz einen großen Stellenwert hatten. Doch das kann sich endlich ändern: Mit Daten können Unternehmen die richtigen Entscheidungen treffen – und dank KI nachhaltige, widerstandsfähige und innovative Lieferketten aufbauen.

Kolumnen, Kommentare und Gastbeiträge auf DUB-magazin.de geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.

30.03.2021
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