ein Mann nutzt auf seinem Smartphone digitale Gesundheitsanwendungen
24.01.2023
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All das sind Programme, die kürzlich ins Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen wurden.

Was sind digitale Gesundheitsanwendungen?

DiGA sind zertifizierte Medizinprodukte niedriger Risikoklasse. Diese können seit September 2020 von Ärztinnen und Ärzten sowie von Psychotherapeutinnen und -therapeuten verordnet oder mit Diagnosenachweis direkt bei der Krankenkasse beantragt werden. Grundlage dafür ist das im Dezember 2019 in Kraft getretene Digitale-Versorgung-Gesetz.

Derzeit sind 40 digitale Gesundheitsanwendungen im BfArM-Verzeichnis gelistet (Stand: 24. Januar 2023). Einige sind vorläufig, andere dauerhaft im Verzeichnis. Dafür muss ein Nachweis für einen positiven Versorgungseffekt vorliegen. Dieser kann auch innerhalb von 24 Monaten nachgereicht werden. Solange sind Anwendungen vorläufig im Verzeichnis – sofern sie die BfArM-Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Interoperabilität und Datenschutz erfüllen.

Ernüchternde Zwischenbilanz

Und in der Theorie klingt das mit den DiGA auch gut. Denn richtig eingesetzt bieten sie Chancen, um die Behandlung besser zu steuern und ermöglichen eine frühzeitige Erkennung von Zustandsverschlechterungen.

Aber: Eine Zwischenbilanz des GKV-Spitzenverbands liest sich dann doch eher ernüchternd. Insgesamt wurden von September 2020 bis September 2022 nur rund 164.000 DiGA in Anspruch genommen. Monatlich werden aktuell zwischen 10.000 und 12.000 Freischaltcodes eingelöst.

„Die Gesundheits-Apps stecken auch nach über zwei Jahren noch in den Kinderschuhen“, sagt Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. „Dabei sehen wir durchaus großes Potenzial, wie DiGA die Patientinnen und Patienten beim Erkennen oder Überwachen von Krankheiten unterstützen können.“

Sie bemängelt allerdings die nach wie vor große Zahl an DiGA, die erst einmal nur temporär zugelassen werden. Noch zu oft fehle der Nachweis über den medizinischen Nutzen der Apps auf Rezept. Ein Urteil, zu dem auch ein Gutachten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der TU Berlin und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern kommt. Darin wird bemängelt, dass es DiGA vielfach an wissenschaftlicher Tiefe und folglich an Evidenz fehle. Die Folge: Wenn Patienten digitale Gesundheitsanwendungen ungeprüft anwenden, könnten diese sogar Schäden verursachen.

Unklarer Nutzen, aber hohe Kosten

„Trotz der unklaren Evidenzlage rufen die herstellenden Unternehmen beliebig hohe Preise auf und der gesetzlichen Krankenversicherung sind im ersten Jahr bei dieser Preisspirale nach oben die Hände gebunden“, so Stoff-Ahnis. Im Durchschnitt liegen die Herstellerpreise für eine DiGA bei 500 Euro – meist für ein Quartal.

„Es gibt augenscheinlich keinen Zusammenhang zwischen Preishöhe und Nutzen“, sagt die Vorständin des GKV-Spitzenverbands. „Wenn man bedenkt, dass DiGA derzeit ausschließlich ein Add-on zur bestehenden Versorgung sind, führt die beliebige Preisbildung und die zusätzliche Möglichkeit der Preiserhöhung im Erprobungszeitraum zu großen Verwerfungen bei der Vergütung von GKV-Leistungen mit nachgewiesenem Nutzen. Das unterläuft jeglichen Maßstab der Wirtschaftlichkeit in der GKV. Wenn es für die Patientinnen und Patienten keinen Mehrwert gibt, dann sollte überlegt werden, ob das Geld der Beitragszahlenden nicht an anderer Stelle besser eingesetzt wäre.“

Angesichts dessen fordert der GKV-Spitzenverband, dass künftig nur noch DiGA ins BfArM-Verzeichnis aufgenommen werden, deren medizinischer Nutzen für Patientinnen und Patienten bereits klar belegt wurde.

App auf Rezept? Brauch ich nicht!

Doch wie stehen eigentlich die potenziellen Anwenderinnen und Anwender zu den Apps auf Rezept? Etwa die Hälfte hält sie für verzichtbar. Das ist das Ergebnis einer Online-Befragung unter mehr als 2.600 AOK-Versicherten, denen bereits eine digitale Gesundheitsanwendung verschrieben wurde.

Weiterhin zeigte sich in der Befragung unter anderem:

  • 70 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer sehen den größten Vorteil darin, dass sie sich die Behandlung mit einer DiGA zeitlich flexibel einteilen können.
  • 40 Prozent gaben an, dass ihnen die Anwendung geholfen habe, ihre Erkrankung besser in den Griff zu bekommen.
  • Nur 38 Prozent würden die von ihnen genutzte DiGA weiterempfehlen.
  • Knapp ein Fünftel hatte Probleme bei der Umsetzung der digitalen Therapieinhalte.
  • Für 15 Prozent der Befragten passten die Inhalte nicht zu ihrer individuellen Krankheitssituation.

„Die Ergebnisse spiegeln wider, dass die genutzten DiGAs nicht immer dem Bedarf und den Bedürfnissen der Versicherten entsprechen“, sagt Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands. „Herkömmliche Therapien vor Ort, beispielsweise die Physiotherapie bei Rückenbeschwerden, sind in vielen Fällen die bessere Wahl – und verursachen für die Beitragszahlenden weniger Kosten als eine DiGA-Verordnung.“

Mangelhafte Integration in die Behandlung

Die elf AOKs haben von September 2020 bis Dezember 2022 digitale Gesundheitsanwendungen im Wert von 21,7 Millionen Euro genehmigt. Doch dass dieses Geld in jedem Fall gut investiert war – daran lässt die AOK-Befragung zweifeln. „Bei der Integration der DiGAs in die ärztliche Behandlung zeigen die Befragungsergebnisse noch Verbesserungspotenzial“, betont Reimann.

Denn ein Drittel der Befragten wurde nicht über die Funktionen der genutzten DiGA informiert. Und: Auch wenn 94 Prozent die Anwendung durch ein Rezept erhalten haben, haben nur 38 Prozent mit dem Arzt oder Therapeuten über ihr Nutzungsverhalten und die Resultate gesprochen.

Hinzu kommt: Fast jeder Vierte hat die DiGA kürzer als vorgesehen genutzt; bei Personen mit schlechtem Gesundheitszustand brachen sogar 30 Prozent die Behandlung vorzeitig ab. Eine App auf dem Smartphone schafft dann eben doch wenig Verbindlichkeit. Da sind der Kontakt zu einem echten Menschen und fest vereinbarte Behandlungstermine vielleicht doch zielführender.

24.01.2023
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