Ein Gespräch zwischen Holger Ehses und Eric Bussert
23.12.2019    Thomas Eilrich
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„Der Kunde steht im Zentrum jeder Aktivität.“ Ob Eric Bussert, zuständig für Vertrieb und Marketing, oder Holger Ehses, verantwortlich für die Bereiche Kundenservice und Organisationsentwicklung: Beide Vorstände des privaten Krankenversicherers HanseMerkur legen diesen Maßstab auch bei der digitalen Transformation an. Ein Gespräch über Insellösungen, Visionen und die Menschlichkeit digitaler Services.

Zur Person

Porträt von Eric Bessert

Eric Bussert

ist seit 2012 Vorstand des Hamburger Versicherers HanseMerkur und zuständig für Vertrieb und Marketing. Vorher war der Diplom-Kaufmann und -Ökonom 17 Jahre bei der Ergo tätig

Zur Person

Porträt von Holger Ehses

Holger Ehse

Der Diplom-Mathematiker und Kaufmann begann seine Karriere 1997 bei McKinsey. Seit 2007 verantwortet er im Vorstand der HanseMerkur die Bereiche Kundenservice und Organisation und damit auch das Thema E-Health

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Blicken wir gleich zu Beginn einmal in die Zukunft: Werden Google oder Amazon in zehn Jahren eine wesentliche Rolle im deutschen Gesundheitswesen spielen?

Holger Ehses: Nein, werden sie nicht. Und zwar, weil sie nicht das Vertrauen dafür genießen – und unsere Gesundheit dreht sich vor allem darum. Google und 
Co. können sich mit Attributen wie Schnelligkeit und unermesslicher Daten- und Informationsbereitstellung schmücken. Aber meine gesundheitlichen Probleme teile ich doch lieber mit anderen.

Eric Bussert: Die Frage ist, in welchem Bereich? Daher sehe ich das etwas differenziert. Denn schlussendlich wird der Faktor Bequemlichkeit siegen. Ein Beispiel: Über meine Apple Watch kann ich mittlerweile ein EKG durchführen. Und obwohl ich mit meinen Daten ausgesprochen vorsichtig umgehe, habe ich das neue Tool getestet. Schließlich bedeutet es für mich kaum Mehraufwand. Am Ende führt diese Bequemlichkeit zu einer Gewöhnung, einem täglichen Gebrauch – aus der dann in zwei, drei Jahren wiederum Normalität wird. Davor ist auch das Gesundheitswesen nicht gefeit.

Inwieweit gehen von dieser Entwicklung sogar Ge­fahren für den Patienten aus? Schließlich sind die US-Player nicht den gleichen hohen Sicherheitsanforderungen unterworfen wie die hiesigen.

Ehses: Wir können nicht verhindern, dass Anwender digitale Tools wie eine EKG-App falsch bedienen. Was mir viel mehr Sorge bereitet, ist die Frage, was geschieht, sollte das Device mir fälschlicherweise suggerieren, ich sei gesund. Wer übernimmt in einem Krankheitsfall dann die Haftung? Wir sind hier gefordert, objektivierbare Qualitätsstandards zu etablieren. Sein Leben in die Hand eines Gimmicks zu geben, halte ich heute noch für gefährlich.

Bussert: Unser Learning aus dieser Entwicklung aber lautet, Versicherten bestmögliche Services anzubieten und echte Mehrwerte zu schaffen. So stellt es zum Beispiel eine extreme Lebenserleichterung dar, von jedem Ort der Welt per Video-Call seinen Arzt konsultieren zu können. Das sind Themen, die wir bewegen.

Es ist allgemeiner Tenor, dass Deutschland die digitale Transformation teils verschlafen hat. Stimmen Sie zu?

Bussert: Bei vielen Themen sind wir einfach zu selbstgefällig geworden. Und gerade die Digitalisierung legt mögliche Konsequenzen schonungslos offen. Man kann nicht über Jahrzehnte untätig verharren und dennoch beispielsweise vernünftige Datenleitungen erwarten. Im Vertrieb führen wir permanent diese Diskussion, da unsere Instrumente online-getrieben arbeiten und oft durch fehlende Netzabeckung lahmgelegt werden. Wir sind nicht mehr diese Wirtschaftsmacht, die wir immer glauben zu sein, sondern verlieren mittlerweile in der europäischen und auch in der globalen Betrachtung den Anschluss. Das halte ich für extrem gefährlich.

Ehses: Die fehlende flächendeckende Infrastruktur ist ein wichtiger Punkt, ein weiterer der Datenschutz. Wie sollen wir uns als Krankenversicherer digital aufstellen können, wenn es uns nicht erlaubt ist, unsere Kunden per E-Mail zu kontaktieren? Natürlich sind Krankenversicherungsdaten hochgradig schützens
wert. Aber unsere Kunden denken doch, wir leben noch im Mittelalter. Wir haben in Deutschland nicht das Problem fehlender Ideen oder Geschäftsmodelle, nur lassen sich viele nicht in die Realität umsetzen.

HanseMerkur will mit Telemedizin im Portfolio punkten. Welche Möglichkeiten kann sie bieten?

Ehses: Realistisch betrachtet ist die Telemedizin momentan nichts weiter als ein medizinischer Video-Chat. Dennoch ist sie ein entscheidender Aspekt, um ärztliche Dienstleistungen und damit die Leistung eines Krankenversicherers nach vorne zu bringen. Keiner möchte zur Grippezeit unnötig Zeit im Wartezim
mer seines Arztes verbringen. Die perfekte Lösung: dem Arzt den entzündeten Rachen im ersten Schritt über die Webcam zu Hause präsentieren. Im Anschluss kann dieser immer noch einen persönlichen Termin ansetzen. Aber auch hier gilt es, ein Qualitätsmanagement einzuführen, damit die Telemedizin nicht dazu führt, schlechten Ärzten Tür und Tor zu öffnen.

Herr Bussert, schwenken wir kurz in Ihr Spezialgebiet: Vertrieb und digitale Transformation. Inwieweit lassen sich persönliche und technikgetriebene Beratung miteinander in Einklang bringen?

Bussert: Für mich schließen sich digitale Gesundheitsdienstleistung und personalisierter Vertrieb keinesfalls aus. Viele Kunden wünschen nach wie vor eine persönliche Betreuung – und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Das gilt insbesondere bei erklärungsbedürftigen Produkten, wozu eine Krankenversicherung zweifelsohne zählt. Der richtige Versicher ist fast eine Lebensentscheidung. Natürlich laufen unsere Beratungs- und auch unsere Verkaufsprozesse schon in weiten Teilen digital unterstützt. Unsere Berater sind alle geschult, Kunden auch über Video-Chat orts- und zeitunabhängig zu informieren. Oder aber sie schließen Produkte wie eine Hausratversicherung bequem online ab. Unser Job ist es, in allen Vertriebsbereichen die Wünsche des Kunden zu erfüllen.

Gibt es neben ihren Individuellen und breit gefächerten Lösungsansätzen eine übergeordnete Vision, um sich bei den Kunden und im Markt als digitaler Player zu positionieren?

Bussert: Intern gibt es einen Anspruch, den ich Ihnen einmal nenne: In den nächsten zehn Jahren wird die HanseMerkur zu DEM digitalen Gesundheitsdienstleister in Deutschland. Unsere Unternehmens-DNA stellt die Gemeinschaft und das Schaffen von Mehrwerten in den Vordergrund – das ist und bleibt unsere Vision.

Digitalisierung vereinfacht und beschleunigt Prozesse­, aber führt sie im Umkehrschluss auch zur Entmenschlichung der Medizin? Manche fürchten die Vorstellung, Diagnosen in Zukunft von Robotern oder einer Künstlichen Intelligenz gestellt zu bekommen.

Ehses: Wäre das wirklich so schlimm? Gerade im Zusammenhang mit Herzdiagnostik diskutierten wir vor Kurzem über das Thema Künstliche Intelligenz. Wenn ich jetzt über Algorithmen und Machine Learning eine höhere Diagnosegüte als bei einem klassischen Herz-MRT bekommen kann, dann nehme ich diese vermeintliche Entmenschlichung gerne in Kauf.

Bussert: Letztlich gibt es ja durchaus Operations­methoden, bei denen Ihnen ein Roboter am Ende des Tages besser helfen kann als ein Operateur, der natürlich menschlichen Schwankungen unterworfen ist. Maschinen hingegen werden nicht müde. Sie kennen keine Kopfschmerzen und wissen auch nicht, was es bedeutet, einen schlechten Tag zu haben.

23.12.2019    Thomas Eilrich
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