Eine Illustration von Michael Fieg und Thomas Sperrfechter
19.10.2019    Madeline Sieland
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Daten sind das neue Öl. So sagen etwa die Analysten von Gartner voraus, dass bis 2023 bei 90 Prozent aller mittelgroßen und großen Unternehmen die Geschäftsmodelle von Daten getrieben werden. Allerdings gehen noch längst nicht alle Unternehmen auch entsprechend pfleglich mit diesem wertvollen Schatz um. Thomas Sperrfechter und Michael Fieg sorgen für Ordnung im Daten-Chaos. Die beiden Gründer des Beratungshauses parsionate erklären, welche wichtige Rolle Daten bei der digitalen Transformation spielen.

Zur Person

Illustration von Michael Fleg

Michael Fieg

leitet als Gründer und Geschäftsführer der parsionate Group die Ressorts Vertrieb, Marketing und Produktmanagement. Er arbeitete zuvor bei Heiler Software und bekleidete dort unterschiedliche Positionen in Consulting, Produktmanagement und Vertrieb

Zur Person

Illustration von Thomas Sperrfechter

Thomas Sperrfechter

ist Gründer und Geschäftsführer der parsionate Group. Er verantwortet die Bereiche Consulting und Systemintegration, Finance und Human Resources sowie Organisation. Zuvor war er Teil der Geschäftsführung von Heiler Software und des Managements von Atos Origin

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Sie bezeichnen parsionate als „Maschinenraum für die Digitalisierung“. Was meinen Sie damit?

Michael Fieg: Viele Unternehmen haben ihre Digitalisierungsprogramme quasi im Front-End gestartet. Die Digitalisierung wird oft vom Marketing getrieben. So entstehen Lösungen, die von außen betrachtet – also aus Sicht der Kunden und Geschäftspartner – toll aussehen, aber aufgrund ihrer ungenügenden Einbindung ins Unternehmen nicht richtig funktionieren. Beispiele kennen wir viele: Webshops, die Produktdaten fehlerhaft oder eingeschränkt darstellen, unterschiedliche Profildaten desselben Kunden in verschiedenen Verkaufskanälen oder Angebote, die nicht zum bisherigen Kaufverhalten der Kunden passen. Wir glauben deshalb, dass Digitalisierung ohne fundierte Datenstrategie keinen Sinn macht. Hochwertige Kunden-, Produkt- und Lieferanten­daten ermöglichen intelligentere Entscheidungen und bilden die Grundlage für optimierte Geschäftsprozesse. Es gilt daher, strategisch an den Stellschrauben im Back-End zu drehen, bevor Unternehmensprozesse digital transformiert werden können.

Wie helfen Sie Unternehmen, die Datenqualität zu verbessern? 

Thomas Sperrfechter: Die Mitarbeiter unserer Kunden leiden jeden Tag unter fehlenden, unvollständigen oder falschen Daten. Sie verbringen oft mehr Zeit damit, die Datengrundlage für eine Aufgabe herzustellen, als mit der Auswertung der Daten selbst. Unternehmen sind deshalb gut beraten, ihre Daten bereits während der Entstehung konsistent zu halten. Wir vermitteln die Grundlagen des Datenqualitätsmanagements und entwickeln gemeinsam eine unternehmensweite Datenqualitätsstrategie.

Fieg: Zusätzlich zu den technischen Dimensionen evaluieren wir auch die Prozessqualität. Es ist wichtig, System- und Prozessfehler voneinander zu unterscheiden. Die Prozessqualität setzt sich aus den organisatorischen Rahmenbedingungen im Unternehmen und den damit verbundenen Verantwortlichkeiten für die verschiedenen Datendomänen zusammen. Die Prozessreife eines Unternehmens lässt sich an erzielten Automatisierungs­graden und an der organisatorischen Verankerung von Datenqualitätsprozessen erkennen. Darüber hinaus hat Datenqualität zunehmend auch mit Compliance zu tun. Gesetzliche Vorgaben wie die DSGVO sorgen in vielen Unternehmen dafür, dass man sich erstmals mit dem Thema Data-Governance befasst.

Was sind die größten Herausforderungen, die Unternehmen beim Stammdatenmanagement bewältigen müssen?

Sperrfechter: Erstens die Tatsache, dass viele Lösungen zur Datenverwaltung historisch gewachsen sind. Oft wissen Unternehmen nicht, wo welche Daten generiert werden, wer sie nutzt oder ob sie qualitativ hochwertig und homogen sind. Bevor ein zentrales, wirtschaftlich effizientes Stammdatenmanagement implementiert werden kann, sind intensive Analysen nötig. Bei der Projektierung eines Master-Data-Managements betrachten wir die Organisation, Prozesse, Datenflüsse und Anforderungen abteilungsübergreifend. Anschließend leiten wir Handlungsempfehlungen ab. Die zweite große Herausforderung sind die Mitarbeiter. Wo Systeme historisch gewachsen sind, treffen wir auf eingespielte und fest verwachsene Prozesse. Ändern sich Geschäftsprozesse, weil man beispielsweise den Automatisierungsgrad der Datenbearbeitung erhöhen möchte, tun sich Mitarbeiter schwer, diese zu verinnerlichen. Wir arbeiten mit unseren Teams daher interdisziplinär und organisationsweit. Denn das frühe Abholen aller Beteiligten in den Fachabteilungen schafft eine höhere Akzeptanz gegenüber dem Change-Prozess.

Wie gehen Sie ein solches Projekt in der Regel an?

Sperrfechter: Wichtig sind dabei drei Dinge: die Mitarbeiter, die Daten und die Methode.

Fieg: In den vergangenen Jahren sind neue Rollen entstanden, um eine Brücke zwischen einzelnen Unternehmensbereichen, aber auch zu externen Partnern wie Lieferanten und Kunden zu schlagen. Sogenannte Data-Stewards, Business-Analysts, Data-Architects oder Data-Owner sind oft nicht einzelnen Abteilungen zuzuordnen – eben, weil sie interdisziplinäre Aufgaben haben. Der Rolle des Data-­Stewards entsprechen zum Beispiel Mitarbeiter, deren Hauptaufgabe es ist, die Informationsqualität und die Einhaltung von Informationsprozessen im Unternehmen zu überwachen und zu optimieren. Laut den Analysten von Gartner beschäftigten im vergangenen Jahr 32 Prozent der Unternehmen Data-Stewards, 2020 sollten es bereits 71 Prozent sein.

Sperrfechter: Wir werfen einen Blick auf die gesamte Organisation. Wie könnten Daten organisiert werden? Wo können Teams zentral Services bereitstellen, und wo machen lokale Einheiten Sinn? Meist geht es darum, ein umfassendes Metadaten-Modell zu entwickeln. Welche Systeme enthalten heute dieselben Informationen? Wie können diese ausgetauscht werden? Wie werden die Daten akkurat und konsistent, und wie können sie anderen verfügbar gemacht werden? Dann kommt die Methode ins Spiel. Hier orientieren wir uns an einem Sieben-Stufen-Modell, das von der Vision über Strategie, Messbarkeit, Governance, Teams, Prozesse bis hin zur IT-Infrastruktur reicht.

Sie haben eine Akademie für die Weiterbildung Ihrer Mitarbeiter gegründet. Was war der Grund dafür? 

Sperrfechter: Ein Markt für qualifizierte Fachkräfte im Bereich Data und Analytics existiert praktisch nicht mehr. Die Nachfrage übersteigt die Verfügbarkeit von Spezialisten um ein Vielfaches. Um gute Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, legen wir ein strategisches Augenmerk auf die Ausbildung. Wir versprechen uns von der parsionate Academy eine nachhaltige Perspektive für unsere Mitarbeiter. Der Schwerpunkt liegt also auf der Entwicklung hoch qualifizierter und innovativ-kreativer Experten.
Fieg: Darüber hinaus ermöglichen wir aber auch Kunden den Zugang zu diesen Trainings. Agile Projektmethoden verstärken die Notwendigkeit zur intensiven Zusammenarbeit mit Kunden über das in der klassischen Projektarbeit übliche Maß hinaus. Was läge deshalb näher, als alle Kollegen in unserer Academy auf Augenhöhe gemeinsam auszubilden?

Aus unflexiblen Strukturen und Teams sollen agile Organisationen werden. Welche Hemmnisse bestehen auf dem Weg dorthin?

Fieg: In etablierten Unternehmen wird oft eine absurde Haltung vertreten: Man möchte zwar neue Wege beschreiten, aber alles soll sofort und prozesssicher funktionieren. Unternehmerisch sind Erwartungshaltung und Druck enorm hoch, kurzfristige Erfolge zu schaffen. Dieser Perfektionsanspruch ist oft Gift für die Innovationen, die man sich von agilen Projekten und einer agilen Organisation erwartet. Manche Unternehmenskulturen ersticken die Innovationskraft. Wenn man Mitarbeiter immer wieder darauf konditioniert, keine Fehler zu machen, woher sollen dann Experimentierfreude und die damit verbundene Agilität kommen?
Sperrfechter: Wir glauben, dass es Querdenker und Innovatoren im Team braucht. Da man für den Umgang mit komplexen Fragen ein heterogenes Team benötigt, beschäftigen wir nicht nur Berater für E-Commerce, Omnichannel und Master-Data-Management, sondern auch Systemarchitekten und technische Consultants. So können wir besser mit Veränderungen und Unerwartetem in Kundenprojekten umgehen.

Wie fördern Sie Innovationen in Ihrem Unternehmen?

Sperrfechter: Jeder Mitarbeiter wird durchschnittlich zehn Tage im Jahr freigestellt, um Neues mitzuentwickeln und Prozesse zu optimieren. Coworking-Spaces für den raschen Austausch, Frühstückstreffen mit Präsentationen und eine offene Kommunikation sorgen ebenfalls für ein gutes Innovationsklima.

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich bei der digitalen Transformation?

Fieg: Deutsche Unternehmen sind weiter, als wir meinen. So arbeiten wir mit Festo zusammen, einem Marktführer im Bereich Automatisierung. Das ist eines der bestdigitalisierten Unternehmen, die wir kennen. Man darf Digitalisierung eben nicht nur in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Endkunden betrachten. Man muss auch sehen, wie im Betrieb gearbeitet wird, wie Mitarbeiter informiert, Prozesse dokumentiert werden. In Großunter­nehmen ist die Herausforderung sicher höher, wenn es sieben oder acht Ebenen vom Vorstand bis zum normalen Mitarbeiter gibt. Da dauert es manchmal Jahre, bis sich Strukturen ändern. Der Mittelstand hat da große Vorteile.
Sperrfechter: Vermutlich sind wir Deutschen besser in kontinuierlicher Optimierung als in radikaler Innovation. Aber darin liegt eine Stärke. Wir sind in der Lage, höchste Qualität zu liefern, die uns am Weltmarkt eine starke Position ermöglicht.
19.10.2019    Madeline Sieland
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