Laptop mit Dokumenten
07.12.2022    Christian Buchholz
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Mensch oder Maschine? Die Antwort auf die Frage, wer in Zukunft einen Großteil der Arbeit verrichten wird, lautet: beide. Vor allem in kritischen Bereichen wie beispielsweise der Medizin oder für krea­tive Arbeiten braucht es trotz allen technologischen Fortschritts und immer besserer Künstlicher Intelligenz (KI) allerdings auch in Zukunft noch den Menschen, der mindestens die Maschine bedient, sie mit Daten füttert oder sie kontrolliert.

Bei standardisierten Prozessen, zum Beispiel im Büro, sieht das anders aus. Schon heute werden immer mehr Aufgaben automatisch erledigt, nutzen Millionen Menschen weltweit intelligente Software wie etwa die Office-Anwendungen von Microsoft. Das Ziel: sich die tägliche Arbeit zu erleichtern oder sich Zeit für anspruchsvolle Projekte freizuschaufeln. Dadurch setzen sie auch auf KI-basierte Anwendungen – teilweise ohne es zu merken.

Die Autokorrektur beim Schreiben von E-Mails in Outlook, das Texten in Word oder eine automatische Anordnung der Materialien für ein ansprechendes Design der PowerPoint-Slides: Schon diese elementaren Funktionen basieren auf einer KI im Hintergrund der Software, die das Arbeiten im Office oder zu Hause produktiver machen soll

KI ist komplexer, aber viel effektiver

Doch es geht auch komplexer, wie das Beispiel von Natif.ai zeigt. Das Start-up aus Saarbrücken hat eine Deep-OCR („optical character recognition“) entwickelt, um Dokumente schnell, einfach und tausendfach automatisch zu verarbeiten sowie zu analysieren. Dabei setzt das Spin-off des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) auf eine Plattform für eine automatische und selbstlernende Texterkennung, auf der Dokumente 30- bis 60-mal schneller als mit herkömmlichen Technologien verarbeitet werden können.

Gründer und Geschäftsführer Johannes Korves geht es bei der Dokumentenautomatisierung aber nicht nur um Schnelligkeit, sondern vor allem darum, dass Millionen Fachkräfte in Firmen durch die innovative Technologie entscheidend entlastet werden ­(siehe Interview unten).

Dass das für viele Unternehmen in Deutschland immer noch eine sehr große Herausforderung ist, zeigt eine Anekdote aus Korves’ vorherigen Job bei einem großen Online-Shop für Brillen: „Wir hatten bei immer mehr Bestellungen vor allem im Lager das Problem, dass die Mitarbeitenden kaum noch mit dem Abgleich von Rechnung und Lieferschein hinterherkamen.“ Dank der KI von Natif.ai gibt es dafür jetzt aber eine Lösung.

Viele Touchpoints für mehr Vertrauen

In Zeiten des immer größer werdenden Fachkräftemangels können KI-basierte Anwendungen also Unternehmen helfen, das vorhandene Personal effi­zienter einzusetzen und die Produktivität zu steigern. Vorausgesetzt, dass nicht nur die Unternehmen, sondern vor allem ihre Beschäftigten die Technologie akzeptieren und ihr das nötige Vertrauen entgegenbringen. „Ich glaube, Akzeptanz kommt immer dann, wenn man Vertrauen aufbaut“, sagt Natif.ai-Gründer Korves. „Und das wiederum entsteht, wenn man möglichst viele Touchpoints mit der Technologie hatte.“

Genau diese Touchpoints gibt es im Großen wie im Kleinen, in Firmen, aber auch privat: Roboter in der Industrie, Chatbots zur Kundenberatung beim Online-Shopping, die Bilderkennung auf dem Smartphone, der Spurassistent im neuen SUV oder auch die Goo­gle-Suche via Siri oder Alexa. KI ist längst allgegenwärtig, und sie kann den Menschen entlasten – auch und vor allem in Unternehmen.

Zur Person

Natif.ai-Gründer Johannes Korves

Johannes Korves

hat zusammen mit Manuel Zapp, Christophe Hocquet und Berenger Laurent Anfang 2019 das Start-up Natif.ai gegründet und ist Co-CEO. Das junge DeepTech-Unternehmen aus Saarbrücken entwickelt mithilfe von KI Lösungen für die Automation von Dokumenten und Prozessen

„Wir entlasten Fachkräfte“

Vor allem Start-ups setzen auf Künstliche Intelligenz. Johannes Korves, Co-Gründer und Co-CEO von Natif.ai, erklärt, warum.



Warum spezialisiert sich Ihr Unternehmen auf die Dokumentenverarbeitung mittels KI?

Johannes Korves: Jeden Tag werden weltweit etwa eine Milliarde Businessdokumente erstellt, an deren Bearbeitung über drei Millionen Menschen arbeiten. Das zeigt, wie viele Ressourcen daran gebunden sind. Das Problem wollen wir lösen und Fachkräfte entlasten. Dokumente können ja schon länger automatisiert werden. Aber erst in den vergangenen Jahren hat sich die Technologie so weiterentwickelt, dass man jetzt über die Kombination von zum Beispiel Natural Language Processing mit Computervision nicht nur Text-, sondern auch Bildinformationen verarbeiten kann.

Worin unterscheiden Sie sich von anderen Anbietern auf dem Markt, die Dokumente automatisieren?

Korves: Wir lösen das Problem anders. Denn wir bauen eine Plattform, die es jedem Entwickler ermöglicht, verschiedene Dokumente zu automatisieren. Unsere Vision ist eine Plattform, die alle Dokumente abteilungsübergreifend automatisiert. Der Vorteil: Unternehmen und Entwickler müssen diese Plattform nur einmal implementieren.

Gibt es weitere vorstellbare Einsatzbereiche für die KI-Anwendungen Ihres Unternehmens?

Korves: Wir arbeiten gerade zusammen mit dem Helmholtz-Institut an einem Forschungsprojekt, um mögliche Manipulation von Dokumenten mithilfe von KI erkennen zu können. Wenn also zum Beispiel Versicherte Dokumente digital an ihre Krankenversicherung übermitteln, könnte die neue Technologie mögliche Manipulationen daran erkennen. Darüber hinaus entwickeln wir auch den Bereich der Dokumentenklassifizierung weiter. Das bedeutet, dass unsere KI erkennt, um welche Dokumentenklasse es sich bei der Automatisierung handelt. Ist es eine Mahnung von einer Behörde oder eine Nachricht von der Bank? Aktuell erkennt unsere KI mehr als 1.000 Dokumentenklassen.

Natif.ai wurde kürzlich in die globale Liste der Top 100 von Red Herring gekürten innovativsten Start-ups aufgenommen. Wie fühlt sich das an?

Korves: Die Nominierung ist ein schönes Zeichen, dass man es als Start-up aus Deutschland beziehungsweise Saarbrücken schaffen kann, weltweit Beachtung zu finden. Sie zeigt aber ebenfalls, dass wir ein sehr innovatives Unternehmen sind und ein innovatives Thema haben, das für Firmen und die Gesellschaft einen Mehrwert bringen kann – nämlich indem wir Fachkräfte entlasten.

07.12.2022    Christian Buchholz
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