Ein digitales Gesicht
18.02.2022    Miriam Rönnau
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Zur Person

Portrait von Moaffak Assassa

Moaffak Assassa

ist Chief Technology Officer bei Eucon. Das Unternehmen unterstützt seit dem Jahr 1997 Betriebe in den Branchen Automotive, Versicherungen und Real Estate dabei, ihre Prozesse zu digitalisieren, Datenschätze zu nutzen und digitale Geschäftsmodelle umzusetzen

Lassen Sie uns ganz praktisch beginnen: Ich bin Kunde einer Versicherung und will einen Schaden melden. Wie kann Augmented Intelligence mir dabei helfen?

Moaffak Assassa: Augmented Intelligence kann den Prozess der Schadenaufnahme und -abwicklung deutlich verschlanken und optimieren. Indem AI aus Schadendokumenten relevante Informationen automatisiert voraggregiert und verarbeitet, hilft die Technologie Sacharbeitenden, Entscheidungen informierter und schneller zu treffen. Zudem kann mithilfe intelligenter Fotokalkulation anhand hochgeladener Bilder bereits der Umfang eines Schadens geschätzt werden. Von all dem hat auch der Kunde etwas: Weil AI das Bearbeiten von Schadenfällen beschleunigt, verkürzt sich seine Wartezeit und er kommt schneller an sein Geld. Zudem macht AI die Schadenbewertung transparenter und fairer.

Wie profitieren Unternehmen davon, etwa aus dem Immobiliensektor?

Assassa: AI kann die gesamte Gebäudeverwaltung verschlanken und hilft, Wertsteigerungspotenziale zu realisieren. Mit Augmented Intelligence können Immobilienunternehmen etwa Schäden oder einen Wartungsbedarf bei Gebäuden frühzeitig erkennen und die Reparatur auf den Weg bringen. Durch selbstlernende Algorithmen und effektive Datenverarbeitungsprozesse lassen sich betriebliche Abläufe schneller und effizienter organisieren. Mittels Schnittstellenfunktion zum unternehmenseigenen ERP-System können zum Beispiel kategorisierte Rechnungen automatisch dem jeweiligen Gebäude zugeordnet und kontiert werden. Dabei bedient sich das System intelligenter Prüfalgorithmen, die mit jedem neuen Datensatz dazulernen.

In welchen Anwendungsfällen stößt Augmented Intelligence an seine Grenzen?

Assassa: AI ist ein Konzept, das viele entscheidungsbasierte Abläufe in der Versicherungs- und Immobilienbranche verbessern kann. Gerade in Prozessen, in denen Muster in großen Datenmengen erkannt werden sollen, ist die Maschine dem Menschen meist überlegen. Zudem ebnet AI den Weg, um datengetriebene Geschäftsprozesse auszubauen. Ihr Hauptziel ist es, Menschen zu befähigen, damit sie besser und intelligenter arbeiten können. AI hat aber durchaus auch seine Grenzen und ist kein Allheilmittel. Es gibt Anwendungsbereiche, in denen Unternehmen zweckmäßigere beziehungsweise andere Instrumente einsetzen sollten. Zum Beispiel können einfache Regelwerke das richtige Mittel für hochstandardisierte Prozesse sein. Damit sind etwa Beauftragungsgrenzen oder sogenannte Schema F Prüfungen gemeint. Nehmen wir den Fall einer Kfz-Versicherung mit Werkstattbindung. Hier verpflichtet sich der Versicherte, seinen Wagen im Schadenfall nur in einer vom Versicherer bestimmten Werkstatt reparieren zu lassen. Da braucht es keine AI, sondern lediglich eine einfache Regel, um zu prüfen, ob eine Partnerwerkstatt beauftragt wurde.

Welche Rolle spielen die Verfügbarkeit und Prozessierbarkeit von Daten beim Einsatz von AI?

Assassa: Im Grunde revolutionieren wir mit AI die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Um sinnvoll miteinander zu kommunizieren, müssen Informationen ausgetauscht, zusammengestellt und interpretiert werden. Damit AI ihren Part erfüllen kann, ist es wichtig, dass die Daten sauber gemanagt und für Maschinen nutzbar sind. Die Basis dafür bildet ein ordentliches Datenmanagement.

Wie lange dauert die Einführung solch eines Systems? Und was sind klassische Hindernisse dabei?

Assassa: Das größte Hindernis ist in der Regel die Akzeptanz der Mitarbeitenden – auch wegen des immer noch vorherrschenden Vorurteils „Automatisierung bedeutet Personalabbau“. Mit AI befähigen und ergänzen wir die Mitarbeitenden jedoch; das muss man bei automatisierten Lösungen immer wieder betonen. Zweites großes Hindernis ist die Etablierung einer Prozessinnovation bei bereits bestehenden fragmentierten Prozessen. Da IT-Projekte bei Unternehmen selten auf einem weißen Blatt Papier anfangen, kann es mehrere Monate dauern, ein neues AI-gestütztes Konzept einzuführen.

In Sachen Geldanlage ist Tech im weitesten Sinne schon lange im Einsatz. Es zeigte sich aber, dass Technologie nur so gut ist wie die Menschen dahinter. Gilt das auch bei Augmented Intelligence?

Assassa: Ja, ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Die Technologie ist auch nur so gut wie die Daten, die ich habe. Ohne Datengrundlage geht es nicht. Das ist das A und O. Ein Engpass sind Format und Menge der Daten. Ein Immobilienunternehmen, das zum Beispiel bislang keine Rechnungsdokumente in strukturierte oder zumindest semistrukturierte Form gebracht hat, kann aus dem plötzlichen Einsatz von AI zunächst keinen Mehrwert ziehen und Daten nicht automatisiert verarbeiten.

Wo liegen die Grenzen dieser Technologie?

Assassa: Die Maschine kann nur das lernen und entscheiden, was wir ihr beibringen. Das können etwa Muster, Zusammenhänge oder historische Entscheidungen von Menschen sein, mit denen wir sie füttern. Die Grundfrage lautet: Inwieweit trauen wir der Maschine zu, auf der Basis selbstständig eine Entscheidung ohne uns zu treffen, und wo greifen wir ein? Die Antwort darauf zeigt, wo die Grenzen von AI liegen.

Die Glaskugelfrage: Müssen Sie in zehn Jahren noch erklären, was Augmented Intelligence ist?

Assassa: Ich denke nicht. Jeder wird in zehn Jahren ungefähr wissen, was Augmented Intelligence ist – auch wenn es vielleicht unterschiedliche Interpretationen gibt. Da sich die Technologie immer weiter verbreitet, werden wir auch den Begriff zunehmend in unsere Alltagssprache integrieren. AI wird an keinem spurlos vorbeigehen. Da bin ich mir sicher.

18.02.2022    Miriam Rönnau
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