Wo steht die Medizin in fünf Jahren?

Welche medizinische oder technologische Innovation bringt in den kommenden fünf Jahren den größten Nutzen? Im großen DUP Medizincheck spricht Professor Dietrich Grönemeyer mit Medizinern und Experten aus dem Gesundheitswesen über spannende Zukunftsaussichten.

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Gesundheit

Daten als Basis für die Medizin von Morgen

Was bedeutet Digitalisierung im Gesundheitswesen? Im großen DUP Medizincheck, einer Talkreihe des DUP Unternehmer Magazins, spricht Professor Dietrich Grönemeyer mit Menschen, die die Gesundheitsbranche kennen, Trends beobachten und die Transformation vorantreiben.

Das deutsche Gesundheitswesen steht unter Druck. Der demografische Wandel und der Pflegenotstand zeichneten sich schon lange vor der Pandemie ab. Corona hat die Lage zusätzlich verschärft. Auf der Suche nach Lösungen setzt die Gesundheitsbranche auf neue Technologien. Dabei geht es nicht immer um neue medizinische Verfahren und Behandlungsmöglichkeiten. Viele Entwicklungen spielen sich im Bereich der Organisation und des Managements ab.

Die Digitalisierung von Prozessen und analogen Tools, wie die App dabeipackzettel, die den Beipackzettel aus Papier ersetzen kann, schafft Effizienz. Künstliche Intelligenz hilft Ärzten bei der präventiven Versorgung ihrer Patienten und eröffnet neue Chancen. Intelligente digitale Personalplanung wirkt dem Fachkräftemangel entgegen, indem vorhandenes Personal effizienter eingesetzt werden kann.

 

Fachkräftemangel mit Künstlicher Intelligenz bekämpfen

Professor Dietrich Grönemeyer erläutert gemeinsam mit Experten, wie digitale Technologien medizinisches Fachpersonal entlasten und Patienten gesünder machen kann. Die Ansatzpunkte und Chancen sind vielfältig. So hat es sich Atoss Software zur Aufgabe gemacht, dem Personalmangel mithilfe einer Software und Künstlicher Intelligenz zu begegnen. „Fachkräfte können nicht so einfach ersetzt werden, aber gute Personalplanung kann sie dabei unterstützen, effizienter zu arbeiten“, sagt Dr. Christian Dohmen, Leiter des Bereichs Healthcare bei Atoss.

Auch im Sektor der privaten Krankenversicherung hat das Thema Digitalisierung einen hohen Stellenwert. Die Versicherten der AXA beispielsweise profitieren vom digitalen „Ökosystem Gesundheit“, das die analoge Versorgung mit digitalen Services verknüpft.

Was bedeutet Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Eine App der Krankenkasse, die eine elektronische Patientenakte beinhaltet, das E-Rezept, Telemedizin, also die virtuelle Versorgung von Patienten, oder eine Plattform, die bisher analoge Prozesse in Kliniken digital gestaltet und vereinheitlicht: Das Gesundheitswesen bietet zahlreiche Chancen zur Digitalisierung. Doch so vielfältig die Möglichkeiten auch sind, so herausfordernd ist es, nicht nur Insellösungen zu schaffen, sondern die gesamte Branche so neu zu denken, dass ein nachhaltiger Mehrwert für Ärzte und Patienten entsteht.

Daher bedarf es einer umfangreichen Transformation in allen Sektoren des Gesundheitssystems und zudem eine sinnvolle Vernetzung derselben. Alle Gesprächspartner des „DUP Medizinchecks“ sind Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Doch in einem Punkt sind sie sich alle einig: Der Umgang mit Daten wird entscheidend für die Zukunft sein.

Vernetzung von Daten wird entscheidend sein

Es werden viele Informationen gesammelt, aber sie werden bislang an unterschiedlichen Stellen gespeichert. Die Herausforderung besteht darin, sie zu verknüpfen und nutzbar zu machen. Dazu braucht es vor allem sehr große Offenheit, um einen gewinnbringenden Informationsfluss zwischen Praxen, Kliniken und anderen Versorgern sicherzustellen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der die Experten beschäftigt, sind die Themen Datenschutz und IT-Sicherheit. In Deutschland ist der Umgang mit persönlichen Daten ein stark und oft emotional diskutiertes Thema. Und medizinische Daten sind besonders sensibel. Eine digitale Anwendung, kann noch so intelligent sein. Wenn sie nicht sicher ist, werden Ärzte und andere Akteure des Gesundheitswesen sie nicht einsetzen wollen.

Grönemeyer betont zudem: „Eine digitale Transformation des deutschen Gesundheitswesens kann nur stattfinden, wenn auch die Patienten miteinbezogen werden. Nur wenn sie ihre Daten vertrauensvoll freigeben, kann erfolgreich und sektorenübergreifend gearbeitet werden.“

Zukunftsvisionen

Stimmen aus der Gesundheitsbranche

Die Medizin wird digitaler – aber wie digital genau? Branchenexperten melden sich zu Wort.

Welche Technologien werden die Zukunft der Medizin bestimmen? Auf welche Bereiche der Medizin wird die Digitalisierung den größten Impact haben? Wie nah sind wir der Zukunft bereits? Sechs Experten aus der Branche geben Insights, wohin die Reise gehen könnte.

Dr. Christian DohmenDr. Christian Dohmen

„Ich sehe nicht den einen Gamechanger-Moment in der Medizin, der alles verändert, sondern vielmehr eine kontinuierliche Verbesserung durch die intelligente Nutzung von Big Data. Dabei wird die Sicherheit der höchst sensiblen Patientendaten entscheidend sein.“

Die Personalplanungssoftware von Atoss Software unterstützt Kliniken dabei, innovative, mitarbeiterfreundliche Arbeitskonzepte sowie gesetzliche und tarifliche Anforderungen umzusetzen.

 

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Portrait von Jörg KintzelDr. Jörg Kintzel

„Neben der realen, physischen Welt werden digitale Welten künftig eine immer größere Rolle spielen. Junge Generationen werden sich parallel zu ihrem echten Leben in diesen virtuellen Meta-Universen neue soziale Umwelten erschaffen und immer mehr Zeit dort verbringen. In diesem Umfeld aber werden essenzielle Themen wie Fitness und Gesundheit nur eine untergeordnete Rolle spielen. Und das kann für unsere Gesellschaft fatale Folgen haben.“

Die Valuniq AG bietet unabhängige Finanzberatung für Unternehmen und Privatpersonen an. Dabei setzt das Unternehmen auf eine präzise Daten­auswertung und intelligente digitale Prozesse.

 

 

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Porträt Klaus-Dieter DombkeKlaus-Dieter Dombke

„Eine Kombination aus Künstlicher Intelligenz und Wissenschaft kann genutzt werden, um Daten zielgenauer aufzubereiten. Zudem führt eine bessere ­Vernetzung der Sektoren des Gesundheitswesens dazu, dass die wichtigen Informationen immer dort verfügbar sind, wo sie gerade im Sinne der individuell optimalen Versorgung der Patienten gebraucht werden. Um das zu erreichen, ist vor allem konsequentes Handeln nötig.“

AXA hat als PKV-Versicherer ein „Ökosystem Gesundheit“ aufgebaut. Es verbindet analoge, persönliche Angebote mit digitalen Services für die Gesundheitsversorgung von der Prävention über Diagnose und Behandlung bis zur Abrechnung.

 

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Portrait von Dr. Timothy MendeDr. Timothy Mende

„Ich glaube, dass Predictive Analytics, das Auswerten großer Datenmengen, eine wichtige Rolle spielen wird. Schon jetzt liegen viele Daten in den Systemen von Praxen und Krankenhäusern vor. Dazu kommen die Informationen, die Patienten zum Beispiel über Wearables sammeln. Die große Frage ist: Werden wir in der Lage sein, sie in die richtige Handlung zu überführen?“

Kumi Health bietet eine digitale Plattform an, die dabei hilft, Prozesse in Kliniken zu standardisieren und effizient zu gestalten.

Portrait von Jochen MeyerJochen Meyer

„Die mRNA-Technologie wird zum einen absolut neue Therapieansätze für Krankheiten ermöglichen. Zum anderen eröffnen Daten uns mehr Möglichkeiten – zum Beispiel vom ‚find and fix‘-Prinzip, mit dem Problemlösungen gefunden werden, bis hin zu ‚predict and prevent‘. Das bedeutet, Zusammenhänge früh zu erkennen, vorauszusehen, was Probleme verursachen könnte, und diese zu verhindern.“

In der App des Start-ups Dabeipackzettel können alle ­Informationen zu Medikamenten jederzeit digital ­eingesehen, und es kann anonymes Feedback zu Arzneien abgegeben werden.

 

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Portrait Admir KulinAdmir Kulin

„Wir haben jetzt die Chance, in Deutschland und Europa eine ­Vorreiterrolle einzunehmen und zu einem weltweiten Vorbild zu
werden – wenn es uns gelingt, eine Balance zwischen dem Schutz und einer ganzheitlichen Nutzung von Gesundheitsdaten zu
finden. Beispiel Patientenportal: Hat eine Lösung erst einmal das Vertrauen der Nutzer gewonnen, kommt sie auch zum Einsatz!“

m.Doc hat mit der „Smart Health Platform“ eine einzigartige Basis für digitale Gesundheitslösungen geschaffen. Flaggschiff dieser Plattform ist das Patientenportal „Smart Clinic“, das den Klinikalltag ­digitalisiert, für eine ganzheitliche Patientenkommunikation sorgt und damit das medizinische Personal bei diversen Tätigkeiten entlastet.

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Interview

Medizin neu denken, vernetzt handeln

Dr. Christian Dohmen Atoss Software AG

leitet den Bereich Healthcare bei der Atoss Software AG, die sich auf digitales Workforce-Management spezialisiert hat


Professor Dietrich Grönemeyer Universität Witten/Herdecke

ist praktizierender Arzt und emeritierter Professor für Radiologie und Mikrotherapie an der Universität Witten/Herdecke

Das Gesundheitswesen steht vor einem digitalen Umbruch. Das bringt große Chancen, aber auch Herausforderungen für Ärzteschaft und Klinikbetreiber.

Wie es gelingen kann, Arbeitsprozesse zu digitalisieren und dabei das Wohl von Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen – darüber sprechen der Arzt, Autor und Unternehmer Professor Dietrich Grönemeyer und Dr. Chris­tian Dohmen, verantwortlich für den Bereich Healthcare beim Softwareunternehmen Atoss.

Starten wir mit einer Bestandsaufnahme des digitalen deutschen Gesundheitswesens. Was sind die größten Herausforderungen?
CDWir können medizinisch immer mehr. Aber gleichzeitig digitalisiert sich der Bereich immer schneller, und wir haben immer mehr Daten und Schnittstellen im Gesundheitswesen. Diese in eine geordnete Struktur zum Wohle der Patientinnen und Patienten zu bringen und für alle Anwender im Krankenhaus eine Benutzerfreundlichkeit zu gewährleisten ist enorm herausfordernd. Hier ist eine gute Kombination von Mensch und Maschine gefragt.
DGFür mich steht dabei die Frage im Vordergrund, wie digitale Anwendungen künftig intuitiver, einfacher und spielerischer sein können, um die Prozesse zu unterstützen. Ich vergleiche das immer mit Apple. Nur wenn die Lösungen leicht verständlich, sicher und wirklich hilfreich sind, können sie zum Nutzen aller Beteiligten im Gesundheitssystem sein. Ich sehe das als große Herausforderung.
Wie kann die Industrie das hinbekommen?
CDDas Thema Interoperabilität ist zentral. Wir haben Tausende autarke Stand-alone-Lösungen im Markt und müssen hin zu einem durchdachten strategischen Prozess kommen, der natürlich von den klinischen Versorgungsprozessen ausgehen muss. An einem konkreten Beispiel erklärt: Wenn wir an der Uniklinik Mainz eine Software zur Dienstplanung implementieren, können die Beteiligten nicht nur erwarten, dass sie darüber ihre Dienste tauschen können, sondern dass am Ende auch alles automatisch läuft und nicht manuell in eine Anwendung überführt werden muss. Häufig scheitern gute Lösungen daran, dass Betreiber ihre Schnittstellen nicht zugänglich machen. Dieses Herrschaftswissen ist nicht zielführend. Das darf es nicht mehr geben.
DG Ich sehe diesen Prozess aus zwei Blickwinkeln. Als Arzt weiß ich, wie wichtig es ist, dass medizinisches Personal – und dazu zähle ich Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte, aber auch exemplarisch die Krankenschwestern – eine wirkliche Unterstützung im Arbeitsprozess bekommt. Wir sprechen hier von Lösungen, die es ermöglichen, administrative Aufgaben zu minimieren und Sicherheit im therapeutischen Handeln zum psychosomatischen Wohl der Patienten zu realisieren. Als Arzt will und kann ich die medizinische Verantwortung dafür aber nicht abgeben. Ich möchte ja, dass mir vertraut wird. Als Patient kann ich aber erwarten, dass ich meine Selbstauskunft nicht mehrfach ausfüllen muss. In diesem System kommen wir nur weiter, wenn wir nahtlose Prozesse realisieren. Wir haben da alle Zutaten und verschlafen es leider noch zu häufig.
Wer sollte hier die Führungsrolle übernehmen?
DGDie Politik setzt den Rahmen, der gesamte Prozess ändert sich aber ständig und setzt eine völlig andere Form der Beziehung aller Akteure in Gang. Im Zentrum steht der Patient, für den die Medizin da ist. Aber auch die Rolle des Patienten ändert sich. Jeder muss künftig viel mehr Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen, gleichzeitig aber der Medizin vertrauen können.
CDIch habe von Schnittstellen gesprochen, aber mindestens genauso wichtig ist, dass wir die Digitalisierung des Gesundheitswesens als kulturellen Transformationsprozess begreifen. Die Politik kann hier nur begrenzt helfen. Wenn sie definieren will, wie viele Minuten an welcher Stelle im Gesundheitssystem gearbeitet werden soll, führt das nicht zum Ziel. Kein System, keine Software und auch kein Mensch kann das so durchblicken und umsetzen, wie es vorgegeben wird. Beim Krankenhauszukunftsgesetz läuft es besser, weil hier Prozesse mit den Akteuren besprochen werden. Die Veränderungen sollten immer in einem Zusammenspiel erfolgen. Wichtig ist dabei, dass wir die Digitalisierung ganzheitlich verstehen und nicht nur als Aneinanderreihung von Projekten.
Hemmt uns hier der Datenschutz?
CDEindeutig ja. Ich habe Kontakt zu mehr als 300 Kliniken. Natürlich muss das Datenschutz­niveau hoch sein, ohne jede Frage. Das ist ein USP. Aber wir stehen uns manchmal selbst im Weg. Denn alles, was wir uns für das Patientenwohl und für unsere Arbeitszufriedenheit wünschen, wird nur möglich sein, wenn wir uns für Themen wie Hyperscale, Big Data und Cloud öffnen. Das ist nicht möglich im Rechenzentrum eines Krankenhauses und schon gar nicht auf dem Server eines Krankenhauses. Noch mal: Wir brauchen den verantwortungsvollen Umgang mit Daten, aber sollten uns stärker darauf konzentrieren, wie man das lösen kann. An dieser Stelle brauchen wir mehr unternehmerisches Handeln.
DGWir dürfen dabei den verantwortungsvollen Umgang mit den Daten unter Einbezug des Patienten nicht außer Acht lassen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt ist zentraler Bestandteil der individuellen Gesundheit und wichtig für das Wohlbefinden – und es ist besonders im digitalen Zeitalter wesentlich. Das Vertrauensverhältnis muss neu gelebt werden. Der einzelne Patient muss in Zukunft bestimmen, welcher Teil seiner Daten freigegeben wird. Die Lösung dazu habe ich bereits 1997 beschrieben: Card enabled network by the patient.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft am Medizinstandort Deutschland?
DGWir sind nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch das der Forscher und Entwickler, unter anderem im Medizinbereich. Über die Jahrhunderte haben wir viele Innovationen vom Röntgen, vom Aspirin, von der Endoskopie bis zum Impfen und zum Computer hervorgebracht. Wir vergessen manchmal, dass wir das sind. Und wir vergessen zunehmend, dass die Medizin immer eine psychosomatische und soziale Komponente hat: Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht die Technik.
CDWir sollten stolz, dankbar und begeistert sein über die Erfolge, die wir in Deutschland in der Medizin erzielen. Das Beispiel BionTech zeigt eindrucksvoll, wie wir es schaffen, Spitzenleistungen zu bringen. Häufig hinterfragen und reflektieren wir zu stark. Ein positiver Wettbewerbsgeist wäre toll.



Videocredit: Getty Images/ClaudioVentrella

Bildcredits: Getty Images/Eoneren, Getty Images/Natali_Mis

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