Illustration einer Hand die mit gespritzten Zeigefinger auf einen Spiegel zeigt
08.06.2021    Miriam Rönnau
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Logisch, das Gießkannenprinzip funktioniert im Marketing nicht mehr. In der Customer-Journey wollen Kunden ihren Bedürfnissen entsprechend indi­viduell abgeholt werden – und zwar dort, wo sie sich gerade befinden. Doch in einer dynamischen Welt wie heute ist das eine echte Herausforderung. „Erfolgreiche Firmen haben sich schon immer neu ­erfunden. Der Unterschied ist jetzt die durch die Digitalisierung bedingte Geschwindigkeit“, so Thomas Spreitzer von der Deutschen Telekom. Dass die Lösung des Konflikts – Spezialisierung auf der einen, die möglichst breite Streuung von Botschaften auf der anderen Seite – ausgerechnet das 360-Grad-Marketing sein soll, scheint undenkbar. Schließlich galt die Strategie lange als Synonym für das Gießkannenprinzip.

 

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Porträt von Andrea Eggers

Andrea Eggers

ist Head of Marketing für Österreich und Deutschland bei Unibail-Rodamco-Westfield

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Portrait von Thomas Spreitzer

Thomas Spreitzer

verantwortet den Vertrieb KMU und Marketing Geschäftskunden bei der Deutschen Telekom

Ist der 360-Grad-Marketing-Ansatz nicht überholt?

Andrea Eggers: Ich bin sicher, dass der 360-Grad-Ansatz im Marketing zurückkommen wird, aber mit einem neuen Verständnis – also gerade ohne das Gießkannenprinzip. Aber das Kanalübergreifende sollte weiterhin die Basis sein. Firmen können nicht nur digital kommunizieren. Selbst im Jahr 2021 erreichen sie so nicht jeden aus ihrer Zielgruppe. Das heißt nicht, dass es keine Marketingspezialisten geben sollte. Im Gegenteil. Es geht darum, diese Spezialisten an einen Tisch zu holen und sich zu fragen: Wie erreiche ich meine Zielgruppe am besten? Wie lässt sich eine Kampagne entwickeln unter Berücksichtigung der Informationen, die wir über Kunden haben? Doch Voraussetzung dafür ist eben ein Mindset-Change – sowohl im Vorstand als auch in den einzelnen Teams. Es gilt heute mehr denn je, flexibel und schnell zu sein und Kunden an jedem Touchpoint individuell abzuholen. 

Im Westfield Hamburg-Überseequartier entstehen 14 Gebäude, die mit einem einzigartigen Nutzungsmix eine Destination bilden sollen. Einzelhandel, Unterhaltungskonzepte und über 40 Gastronomien werden mit Büros für rund 4.000 Arbeitsplätze, drei Hotels, einem Kreuzfahrt-Terminal und 650 Wohnungen verbunden. Das Mixed-Use-Konzept erstreckt sich über 419.000 Quadratmeter und wird von Unibail-Rodamco-Westfield mit einer Investitionssumme von mehr als einer Milliarde Euro realisiert. Für die Customer-Journey ist das sicher eine echte Herausforderung ...

Eggers: Das Spannende an dem Projekt ist, dass wir schon vor fünf Jahren entscheiden mussten, was wir bauen und implementieren wollen. Eine gewisse Flexibilität bleibt natürlich, besonders in Sachen Digitalisierung. Doch wir haben uns mit Experten und Zukunftsforschern zusammengesetzt und die Trends von morgen analysiert. Im Fokus: der Kunde und seine Bedürfnisse. Bei der Entwick­lung ging es vor allem darum, es Kunden so bequem wie möglich zu machen und die Erlebnisräume zu vernetzen – wer im Büro sitzt, kann sich eine Pizza beim Italiener bestellen und nach Feierabend ins Kino gehen. Alles ist an einem Ort. So bilden wir die gesamte Customer-Journey ab und kreieren Erlebnisse, die emotional sind.

Warum sind Emotionen für das Marketing wichtig?

Eggers: Drei Trends wurden noch mal durch die Pandemie verstärkt: erlebnisorientierte Gastronomie, Freizeit, Kultur und Unterhaltung sowie Gesundheit, Fitness und Wellbeing. Die Basis von allem: Emotionen. Wer kann sich noch an die erste Online-Bestellung erinnern? So gut wie niemand. Doch an den ersten Kuss oder das erste Konzer? Die meisten. ­Durch Corona haben Menschen erkannt, wie wichtig das ­soziale Miteinander ist. Das ist auch das ­Paradoxe, was wir gerade erleben. Einerseits wird alles digitalisiert, andererseits vermissen wir mehr denn je die Interaktion miteinander. Dass dieser Spagat gelingt, um es für Gäste so einfach wie möglich zu machen – das ist die Herausforderung. 

Dos & Don’ts im Marketing

Ob im B2C- oder B2B-Bereich: Wer sein Marketing clever ausrichten will, sollte diese Tipps beachten. 

Do

  • Themenbasierte Marketingteams statt Marketingteams nach Kanälen 
  • Kenne die Zielgruppe und erreiche sie über jeden möglichen Touchpoint 
  • Setze auf Interaktion und Emotion, damit sich Kunden an Produkt, Dienstleistung und/oder Unternehmen erinnern

Don’t

  • Streue nicht wahllos die gleichen Inhalte auf alle Kanäle, sondern nimm die Bedürfnisse in den Fokus 
  • Setze nicht nur auf Online-Marketing, sondern nutze auch die Vorteile von analogem Marketing
  • Pauschalisiere niemals deinen Kunden, sondern betrachte ihn individuell

Versuchen Sie bei der Telekom und im B2B-Bereich auch einen solchen Spagat?

Thomas Spreitzer: Die Vernetzung von Menschen ist ebenfalls Teil unserer Marketingstrategie. Die Digital X, welche die Telekom als Digitalisierungsinitiative für den Mittelstand organisiert, kombiniert Business mit Entertainmentprogramm und bringt Kunden zusammen. Wenn sich diese miteinander austauschen und sich gegenseitig informieren, ist das auch eine Form, Dinge einfacher zu machen. Und gleichzeitig werden Kunden, die über positive Erfahrungen berichten, auch schnell zu Vertrieblern – die Conversion-Rate ist quasi unschlagbar. Voraussetzung ist natürlich, dass die Angebote stimmen. Als die Pandemie in Deutschland losging, haben wir schnell mit Digitalisierungslösungen reagiert, um nah am Kunden zu sein. Wir haben die ersten drei Monate über 50.000 Unternehmen gratis mit Office-365-Lizenzen ausgestattet, damit Mitarbeitende im Homeoffice arbeiten können. Unsere Kunden haben zehn Gigabyte geschenkt bekommen, damit sie auch übers iPad arbeiten können. In Pflegeheimen haben wir 11.000 Smartphones verteilt, damit Großeltern via Videocall mit ihren Familien in Kontakt bleiben. Menschen merken sich so etwas und erzählen es weiter – auch ohne Präsenzveranstaltung wie die Digital X. So hat sich 2020 die Kundenzufriedenheit um sieben Prozent gesteigert. 

Also setzen Sie auch auf 360-Grad-Marketing?

Spreitzer: Es geht darum, Komplexität zu reduzieren, und das gelingt über themenspezifische Marketingteams. Es braucht Teams, die sich mit einem Thema beschäftigen und dieses dann auf allen Kanälen vertreiben – und nicht Experten, die sich mit allen Themen auf einen Kanal konzentrieren. Nehmen wir das Beispiel Homeoffice: Der Internetvertrag kann online abgeschlossen werden, wem das zu umständlich ist, der ruft einen Callcenter-Agenten an. Doch wenn jemand eine Immobilie digitalisieren will, braucht es den Direktvertrieb. Ist der Kunde Informatiker, möchte er sich mit einem Experten unterhalten. Ein Geschäftsführer möchte oft nicht alles im Detail wissen, sondern braucht jemanden, der die Technik einfach erklärt. Kurz gesagt: Je komplexer die Lösung, desto mehr braucht es den Menschen. Und je einfacher der Bedarf, desto mehr lässt sich online abbilden. Daher braucht es den Omni­hannel-Ansatz – aber themenbasiert und mit einer gewissen Spezialisierung auf den Kundenbedarf. 

08.06.2021    Miriam Rönnau
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