die Illu zeigt zeigt ein Fadenkreuz vor der Silhouette eines Mannes
22.11.2022    Madeline Sieland
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Es klingt wie das Drehbuch eines Films, ist aber ein realer Kriminalfall, der in der Schadensstatistik von Allianz Trade gut dokumentiert ist: Die Mitarbeiterin einer Krankenhausküche hat die Klinik gemeinsam mit einer 23-köpfigen Diebesbande systematisch bestohlen.

Unter anderem Putzmittel, Geschirr, Rollwagen, Textilien und Verbandstoffe im Wert von drei Millionen Euro wurden geklaut und per Lkw in ein Land auf dem Balkan transportiert, wo die Tochter beim Zoll arbeitete und die Einfuhr reibungslos abwickelte. Die Waren wurden anschließend verkauft; der Erlös finanzierte der Familie der Haupttäterin drei Luxusvillen und eine Eigentumswohnung.

Erst nach 15 Jahren fielen die kriminellen Handlungen auf. Die Angestellte hatte eine Affäre mit dem Küchenchef – und der hat alle 20 Mitarbeitenden entlassen, die im Laufe der Zeit über Auffälligkeiten und Diebstähle berichteten.

Innentäter sind eine unterschätzte Gefahr

Dies ist nur ein Fall von vielen. 51.260 Wirtschaftskriminaldelikte verzeichnete das Bundeskriminalamt 2021 – ein Plus von 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei ist ein Schaden von 2,4 Milliarden Euro entstanden.

Laut dem „Global Economic Crime and Fraud Survey 2022“ zählen zu den häufigsten Delikten Betrug durch Kunden, Cyberkriminalität, Vermögensdelikte wie Untreue und Unterschlagung, Korruption und wettbewerbs- und kartellrechtliche Verstöße, Geldwäsche und Verstöße gegen Wirtschaftssanktionen sowie Diebstahl geistigen Eigentums.

Das zeigt auch: Unternehmen müssen sich nicht nur gegen externe Kriminelle wie Hacker schützen, die einen Betrieb ins Visier nehmen. „Kriminelle Mitarbeiter sind nach wie vor eine unterschätzte Gefahr“, sagt Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte bei Allianz Trade. „Die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen richten mit vermeintlichen Alltagsdelikten wie Betrug, Untreue oder Diebstahl und Unterschlagung nach wie die größten Schäden an – auch, weil sie mangels Kontrollen oft über viele Jahre unentdeckt bleiben.“

Wer ist der typische Innentäter?

Der gefährlichste Täter ist dabei laut einer Analyse von Allianz Trade derjenige, von dem man es am wenigsten erwartet: 45 Jahre alt, männlich, seit zehn Jahren im Unternehmen, gut gebildet und Führungskraft.

„Sie schlagen zwar seltener zu, aber wenn, dann gehen sie in die Vollen: Sie kennen alle Lücken in den Kontrollsystemen und besitzen durch die langjährige Unternehmenszugehörigkeit ein entsprechendes Vertrauen von Kollegen und Chefs“, so Kirsch. „Dabei hilft ihnen meist auch ihr freundliches und respektvolles Auftreten – sie sind oft auffällig unauffällig und geraten bei Verdachtsmomenten selten sofort in den Fokus.“

Eigene Mitarbeiter verursachen die meisten Schäden

Um ein besseres Bild vom Ausmaß der Wirtschaftskriminalität zu bekommen, hat Allianz Trade die Schadensfälle der vergangenen fünf Jahre in der Vertrauensschadenversicherung analysiert. Die Ergebnisse:

  • Schadensfälle durch externe Dritte sind in dem Zeitraum um 40 Prozent gestiegen, die Schadenshöhen um 56 Prozent.
  • Bei den internen Tätern nahmen die Fallzahlen um zehn Prozent zu, die Schadenshöhe stieg um 23 Prozent.

Und auch wenn die vorangegangen Zahlen anderes vermuten lassen: Eigene Mitarbeitende sind für insgesamt 57 Prozent der Schadensfälle verantwortlich.

Die Schäden, die sie dabei verursachen, sind mitunter beachtlich. Die Schadensstatistik von Allianz Trade zeigt: Der bisher größte bekannte Einzelschaden durch einen Innentäter betrug 36 Millionen Euro.

Warum werden Angestellte kriminell?

Die Motive der Innentäter reichen von Spielsucht, Habgier und einem luxuriösem Lebensstil bis zu einer finanziellen Notlage, die zu kriminellen Verzweiflungstaten führt. Doch auch mangelnde Wertschätzung, mangelnde Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber oder Rache sind Beweggründe.

Doch wie lässt sich nun verhindern, dass aus Angestellten Täter werden? Christoph Kampmeyer, Director Audit & Forensic bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, erläutert im Podcast „Klardenker on air“, dass immer mehrere Komponenten zusammenkommen müssen, damit jemand kriminell wird: Trifft eine Gelegenheit – etwa durch mangelhafte interne Kontrollen – auf ein Motiv und eine Rechtfertigung, die persönlich oder unternehmenskulturell begründet sein kann, steigt das Risiko, dass jemand ein Delikt begeht.

Heißt das also im Umkehrschluss, mit genügend Kontrolle ließe sich Wirtschaftskriminalität unterbinden? Jein. Denn ein Übermaß an Kontrolle kann schnell zu weiteren Problemen führen.

„Für Unternehmen ist es deshalb wichtig, dass sie eine Balance zwischen Vertrauen und Unternehmenskultur auf der einen Seite und Vorsorge und Kontrolle auf der anderen Seite finden“, sagt Allianz-Betrugsexperte Kirsch. „Zufriedene Mitarbeiter, denen Kollegen und Vorgesetzte mit Respekt und Wertschätzung begegnen und die mit Aufgaben und Bezahlung sowie Aufstiegsmöglichkeiten zufrieden sind, identifizieren sich mit dem Unternehmen und sind in der Regel wesentlich loyaler als Mitarbeiter, die kein gutes Betriebsklima vorfinden.“

So werden Innentäter überführt

Und existiert eine Unternehmenskultur, in der die offene und transparente Kommunikation gefördert wird, trauen sich Mitarbeitende auch eher, Missstände anzusprechen. So können Schwachstellen identifiziert, Sicherheitslücken geschlossen und Täter schneller identifiziert werden.

Entdeckt werden die Vergehen von Innentätern auf diesen Wegen – sortiert nach Häufigkeit laut Schadensstatistik von Allianz Trade:

  1. durch interne Kontrollmechanismen (Revision, Routineprüfung, Überprüfung von Auffälligkeiten)
  2. Whistleblowing – also durch Hinweise von Mitarbeitenden oder Externen
  3. aus Zufall
  4. durch Selbstanzeige aus schlechtem Gewissen

Hinweisgeberschutzgesetz umsetzen

„Die Implementierung von Kontrollmechanismen und Compliance-Systemen sowie Routinekontrollen und Audits sind für Unternehmen ein entscheidender Baustein, um sich zu schützen“, sagt Dr. Stefan Steinkühler, Experte für Versicherungsrecht, Managerhaftung und Haftungsrecht. „Aber auch die Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeiter für interne Richtlinien, kritische Situationen und die Detektion von Auffälligkeiten sind Faktoren, die wesentlich zum Schutz vor Innentätern beitragen.“

Dem Whistleblowing wird künftig eine noch wichtigere Rolle zukommen. Das liegt nicht zuletzt am Hinweisgeberschutzgesetz, das Ende 2022 in Kraft treten soll. Unternehmen ab einer gewissen Größe und Behörden sind dazu verpflichtet, intern rechtskonforme Möglichkeiten zu schaffen, über die Verstöße gemeldet werden können. Ziel des Gesetzes ist es, Angestellte, die auf Missstände hinweisen, besser vor Benachteiligung oder gar arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu schützen.

„Whistleblower unterlagen in den vergangenen Jahren immer wieder Repressalien, wenn sie auf Missstände oder Gesetzesverstöße hingewiesen haben. In harmlosen Fällen wurden sie schlicht nicht ernst genommen. In anderen Fällen wurden sie wegen anderer vermeintlicher Verstöße plötzlich abgemahnt oder ihnen wurde gar gekündigt“, sagt der unter anderem auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwalt Johannes von Rüden im Interview.

Nicht nur die Täter sind haftbar

Steinkühler betont zudem einen zentralen Vorteil von anonymisierten Hinweisgebersystemen für die Unternehmensleitung: „Die Einführung eines Whistleblowing-Systems zur frühzeitigen Identifizierung von Risiken kann Unternehmen und Geschäftsleiter vor Haftung und Geldbußen schützen.“

Denn: Neben finanziellen Schäden entstehen durch Wirtschaftskriminalität auch erhebliche Haftungsrisiken – sowohl für Geschäftsführer als auch für den Täter. „Wer im Unternehmen entscheidet, haftet“, sagt Steinkühler. „Kriminelle Mitarbeiter haften für ihre Taten – ihre Chefs aber ebenso, wenn sie es den Tätern zu leicht machen und es unterlassen haben, entsprechende Vorsorgemaßnahmen und Absicherungsmechanismen zu implementieren. Wer seinen Laden nicht im Griff hat, muss dafür geradestehen – schlimmstenfalls mit dem Privatvermögen, bestenfalls springt eine Versicherung ein.“

Doch die PwC-Untersuchung „Global Economic Crime and Fraud Survey 2022“ zeigt: Unternehmen reagieren nicht immer adäquat auf Wirtschaftskriminalität. Nur 56 Prozent leiteten Verfahren ein, um den Fall zu untersuchen; lediglich ein Drittel informierte Aufsichtsgremien über den Vorfall.

22.11.2022    Madeline Sieland
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