Illustration Philipp Gmür Vordenker 2022
21.02.2022    Arne Gottschalck
  • Drucken

Made in Germany? Oder auch in Switzerland? Die Herkunft erzählt einiges über ein Produkt oder eine Dienstleistung. In der Schweiz spricht man von „Swissness“, die heute ebenso wie die Digitalisierung Teil eines umfassenden unternehmerischen Ansatzes ist. Den zu hinterfragen und auch neu zu interpretieren ist eine Führungsaufgabe. Etwa mit Blick auf die Frage, wie Produkt und Herkunft zu einem Versprechen verwoben werden können. Helvetia-Group-CEO Philipp Gmür hat dazu eine ganz eigene Sichtweise.

Zur Person

Philipp Gmür

Der studierte Jurist war erst am Gericht tätig, stieg 1993 bei Helvetia Versicherungen ein und war dort unter anderem Vertriebsleiter. Seit 2016 ist er Vorsitzender der Konzernleitung von Helvetia

Finanzkonzerne weltweit versuchen, sich zu einer Marke zu machen. Inwieweit kann „Swissness“ dabei helfen?

Philipp Gmür: „Swissness“ steht für Werte wie Vertrauen, Solidität und Zuverlässigkeit. Für uns als Versicherung sind das zentrale Aspekte unserer Tätigkeit: Unsere Kundinnen und Kunden verlassen sich darauf, dass wir für sie da sind, wenn es darauf ankommt. Im Vorsorgegeschäft gehen wir teilweise Verpflichtungen ein, die erst Jahrzehnte später erfüllt werden. Wären unsere Kundinnen und Kunden nicht von unserer Verlässlichkeit überzeugt, wären sie kaum bereit, solche Verträge abzuschließen.

Der Begriff „Swissness“ ist ja nicht neu. Wie lässt er sich immer wieder neu aufladen, um frisch zu bleiben?

Gmür: Dadurch, dass die damit einhergehenden Qualitätsansprüche täglich unter Beweis gestellt und weiterentwickelt werden. Die Schweiz bietet etwa Weltklasse-Hochschulen und Zugang zu zahlreichen Innovationsinitiativen. Das zeigt auch der Vergleich der Zahl von Patentanmeldungen pro Kopf, bei dem die Schweiz regelmäßig einen Spitzenplatz belegt.

Lässt sich der Begriff „Swissness“ mit dem Trend zu mehr Nachhaltigkeit verbinden?

Gmür: Regionale Produkte werden wohl oft als nachhaltiger betrachtet als solche aus Übersee. Das mag mit den Produktionsmethoden oder den kürzeren Transportwegen zusammenhängen. Als Versicherer ist Nachhaltigkeit Teil unserer DNA. Die langfristigen Verpflichtungen zwingen zu sorgfältiger ­Risikoanalyse und langfristigem Anlagemanagement. Dazu passt auch unser Schutzwald-Engagement: Seit über zehn Jahren unterstützen wir die Aufforstung von Schutzwäldern. Diese bewahren Menschen, Gebäude und Infrastruktur vor Gefahren wie Steinschlag, Erdrutsch, Murgang und Lawinen. Gestartet haben wir das Engagement in der Schweiz und anschließend auf weitere Länder ausgedehnt, insbesondere im Alpenraum.

Wie funktioniert „Swissness“ digital – also im digitalen Raum ohne menschliches Gegenüber?

Gmür: Vertrauen in den Hersteller oder Dienstleister gewinnt im digitalen Raum stetig an Bedeutung. Daher dürften etablierte Marken wie eben Helvetia im digitalen Raum einen Vertrauensvorschuss genießen. „Swissness“ unterstützt unser Bestreben nach Orientierung und Sicherheit – anders etwa als eine anonyme E-Mail-Adresse aus dem Niemandsland des Internets.

Sie haben für Ihr Haus mit der Strategie „helvetia 20.25“ vier klare Leitprinzipien entwickelt. Welche sind das?

Gmür: Für uns steht eine klare Fokussierung auf die Kundin und den Kunden im Zentrum. Diese möchten wir mit dem passenden Angebot sowie einer großen Kunden-Convenience überzeugen. Das sind zwei unserer Prioritäten. Die dritte Priorität ist profitables Wachstum. Das ist einerseits eine Folge des passenden Angebots und der Kunden-Convenience. Andererseits wollen wir unser Geschäft weiterentwickeln. Dies gilt insbesondere für unsere europäischen Aktivitäten und damit auch für die in Deutschland. Die vierte strategische Priorität adressiert das Nutzen neuer Chancen: Durch die Digitalisierung entstehen derzeit viele neue Geschäftsmodelle. An dieser Entwicklung möchten wir teilhaben, sofern eine Nähe zu unserem Kerngeschäft besteht. Durch das Erschließen neuer Geschäftsmodelle werden wir auch unabhängiger vom Zinsumfeld.

Sie sagten es bereits: Eines Ihrer Leitprinzipien ist Convenience. Nun werden Finanzprodukte verkauft und nicht gekauft. Braucht es dafür also einen anderen Convenience-Ansatz als etwa für Modeartikel?

Gmür: Wir möchten überall dort präsent sein, wo Versicherungs- und Vorsorgebedürfnisse entstehen, und unsere Dienstleistungen in der für die Kundinnen und Kunden einfachsten Art erbringen: am Küchentisch bei der Kundschaft zu Hause, beim Buchen einer Reise, beim Kauf eines Autos oder von Unterhaltungselektronik, bei der Bestellung einer Fotovoltaikanlage. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten an der Kundenschnittstelle. So profitierte etwa unser Schweizer Online-Versicherer Smile in der Pandemie von der gestiegenen Bereitschaft, Produkte und Dienstleistungen online zu beziehen.

Sie haben für die Helvetia einen Purpose entwickelt: „Das Leben hat Chancen und Risiken. Wir sind da, wenn es darauf ankommt.“ Was bedeutet das, und was haben Ihre Kundinnen und Kunden davon?

Gmür: Ein anschauliches Beispiel ist das Unwetter „Bernd“ vom letzten Sommer. Als das Ausmaß der Zerstörung in Deutschland absehbar war, reagierten wir sofort und haben bundesweit Schadenspezialisten zusammengezogen. Mithilfe von Data-Analytics ermittelten die Kolleginnen und Kollegen alle versicherten Gebäude in den betroffenen Gebieten und ­nahmen sie in die Wegeplanung auf. Dadurch waren wir in einigen Fällen bereits vor Ort, bevor eine Schadenmeldung erfolgte. Die Rückmeldungen unserer Kundinnen und Kunden – 80 Prozent davon übrigens Unternehmenskunden – waren sehr positiv und freuen mich sehr. Die Rückmeldungen zeigen auch, dass unsere Mitarbeitenden den Purpose bei einem solchen Extremereignis bereits leben.

Worüber werden wir uns in zehn Jahren unterhalten? Noch über die gleichen Herausforderungen?

Gmür: Gewisse Herausforderungen bleiben. Chancen sind vielfach mit Risiken verbunden – und viele Menschen möchten diese Risiken absichern. Das ist der Kern unseres Geschäfts, und dieser wird auch in zehn Jahren noch bestehen. Wir beobachten außerdem, dass die Gefahr von Großrisiken zunimmt. Früher sprach man in diesem Zusammenhang vor allem von ­Erdbeben. Derzeit trifft uns gerade das lange Zeit unterschätzte Risiko einer Pandemie besonders hart. Und weitere Großrisiken gewinnen fortlaufend an Bedeutung. Ich denke da insbesondere an die Gefahr von Cyberangriffen oder großflächigen Blackouts aufgrund einer Strommangellage. Ich gehe zudem davon aus, dass die demografische Entwicklung auch in zehn Jahren eine Herausforderung für unsere Altersvorsorge sein wird.

21.02.2022    Arne Gottschalck
  • Drucken
Zur Startseite