Illustration einer Hand über die eine Glühbirne schwebt und im Hintergrund ein Gesicht
31.03.2022
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Das Leben ist wie Monopoly. Wer das meiste Geld hat, der gewinnt. Das dachte ich zumindest zu Beginn meiner unternehmerischen Karriere. Um zu wissen, dass es anders ist, habe ich 20 Jahre, zwei Burn-outs und einen Millionen-Exit gebraucht. Heute weiß ich, dass sich echter Gewinn nicht in Geld, sondern in Erfüllung bemisst. Aber der Reihe nach.

Mein Berufswunsch als Kind war Lehrer. Die Schule und die Pubertät haben mich umdenken lassen. Als junger Erwachsener wollte ich vor allem leben und einfach irgendwie das Geld dafür verdienen. Egal womit. Also habe ich eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann gemacht. Es war mein erster und bislang einziger Angestelltenjob. Ich war plötzlich Türenverkäufer im B2B-Bereich. Geld brachte das sehr wenig. Erfüllung noch viel weniger. Nach drei Jahren reichte ich meine Kündigung ein. Auch wenn das bedeutete, dass ich zunächst ohne Job und ohne Geld da stand.

Mehr Geld, weniger Leben

Mein neuer Wunsch: selbstständig sein, Unternehmer sein – und zwar im Internet, das damals längst nicht so allgegenwärtig war wie heute. Ich probierte zwei Ideen aus und hatte Glück mit der dritten. Ein Handwerkerverzeichnis und eine Affiliate-Spendenplattform brachten jeweils nicht den erhofften Durchbruch. Der Handel mit gebrauchten CDs und DVDs aber schon. Das war es. Das klappte. Momox war geboren. Ich war selbstständig und hatte genug Geld zum Leben.

Und das Geld wurde mehr. Das Leben wurde weniger. Irgendwann war es weder ein gesundes Gleichgewicht noch ein gewisser Überhang in Richtung Geld. Nein, irgendwann bestand mein Leben einzig und allein aus Job und Firma.

300 Millionen Euro Umsatz – aber auch Massenentlassungen, Stress, Burn-outs

Geld kann pushen. Wachstum der Firma auch. Ich durchlebte mit Momox die aufregende Reise vom Ein-Mann-Unternehmen mit null Euro Umsatz zum 2.000-Leute-Unternehmen mit 300 Millionen Euro Umsatz – und am Tag über 50.000 Kunden, die täglich mehr als 100.000 Artikel bestellten. Es war die Reise von der fixen Idee zum führenden An- und Verkaufsservice in Europa. Die Reise vom Arbeitslosen zum Millionär.

Ich durchlebte allerdings auch Massenentlassungen, Beinahe-Insolvenz, massivsten Stress, Burn-outs. Das ganze Programm. Sollte es das gewesen sein?

Nach einigen Jahren, in denen ich einzig davon getrieben war, Geld zu verdienen, war mir immer mehr bewusst geworden, dass das, was ich da mache, mehr ist als irgendein Business. Nicht nur gut fürs Portemonnaie, sondern auch gut für die Umwelt, für unsere Zukunft auf diesem Planeten. Secondhand war zu Beginn meiner Reise noch angestaubt und schmuddelig. Wenn ich damals auf Partys auf die Frage nach meinem Job „was mit Gebrauchtwaren“ antwortete, wechselten die Leute das Thema oder gleich den Gesprächspartner.

Heute ist das anders; heute weiß jeder um den Impact. In Zeiten, in denen Ressourcen knapp und Lieferketten brüchig werden, haben alle verstanden, dass Secondhand eine gute Sache ist – nicht nur fürs Gewissen.

Verliebt in eine Idee

Ich jedenfalls wurde zum Fan. Ich verliebte mich in die Idee, noch mehr Menschen von Secondhand begeistern zu können – nicht nur für Bücher, Kleidung und CDs, sondern für alle Dinge.

Gleichzeitig wurde ich Gegner des gnadenlosen Shareholder-Value. Klar, eine Firma muss am Ende des Monats mindestens so viel Geld einnehmen wie sie ausgibt. Darunter geht es nicht. Denn alles darunter wäre Charity. Aber muss eine Firma Stellen abbauen und Standorte verlegen, wenn der EBIT eine zweistellige Millionensumme erreicht? Ich bin mir da nicht so sicher. Nicht alle, aber doch einige Firmen brauchen Geld von Investoren. Und Investoren wollen Geld verdienen. Schön und gut. Aber bitte nicht auf Kosten von Menschen.

Maximaler Impact statt maximale Rendite

Und so war ich irgendwann in meinem eigenen Unternehmen nicht mehr zufrieden. Der Shareholder-Value war allem anderen übergeordnet; die Strategie war für mich zu sehr verengt auf maximale Rendite statt maximalem Impact. Ich bin überzeugt: Diese Prioritätensetzung macht vielleicht reich, aber sie macht nicht glücklich.

Also machte ich das, was ich zwei Jahrzehnte zuvor in meinem Türenverkäufer-Job gemacht hatte: Schluss. Der eigenen Firma den Rücken zuzukehren ist maximal hart und eine langwierige seelische Herausforderung. Trotzdem stieg ich nach 16 Jahren bei Momox aus. Komplett. Finanziell war das lukrativ. Aber zu bleiben oder zumindest die Anteile zu halten, wäre in dieser Hinsicht noch deutlich lukrativer gewesen. Stattdessen war ich raus. Von 100 auf 0. Vollbremsung. Anders ging es für mich nicht. Auch wenn die Zeit danach – und ich hatte plötzlich viel Zeit – alles andere als einfach war.

Kleines Team, große Vision

Aber ich habe die Freiräume genutzt, um mir klar zu werden, was ich wirklich will: Ich wollte weiterhin Unternehmer sein, weiterhin im Secondhand-Bereich tätig sein – aber alles nochmal von vorne. Der Neustart also – mit einem kleinen Team und einer großen Vision. Mit Wisemarkt wollen wir Menschen für Secondhand begeistern, und zwar möglichst alle. Auch die, die bis heute noch nie an Secondhand gedacht haben. Und ja, wir wollen auch wachsen und Geld verdienen – aber nicht auf Kosten unserer Mitarbeitenden.

Mehr als 20 Jahre nach meinem Start ins Berufsleben mache ich das, was ich will. Das, was ich wirklich will. Ich bin happy. Für die, die es nicht sind, lautet mein einfacher Rat: Steig aus; mach einen Cut; gehe zurück auf Los. Insofern ist das Leben also doch wie bei Monopoly.

Zur Person

Portrait Christian Wegner

Christian Wegner

 ist Co-Gründer und Co-Geschäftsführer der Re-Commerce-Plattform Wisemarkt. Zuvor hatte er den Secondhand-Pionier Momox gegründet, aufgebaut und verkauft

31.03.2022
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