Führungskräfte müssen authentisch sein
14.05.2021
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Einst tägliche Rituale wie Anzug und Krawatte anzulegen oder Make-up aufzutragen haben seit Beginn der Homeoffice-Ära Seltenheitswert. Die Pandemie migrierte die Arbeitsplätze von 45 Prozent aller Berufstätigen in Deutschland in virtuelle Räume, so eine Analyse des Digitalverbands Bitkom.

Mit Authentizität am Arbeitsplatz punkten

In Videokonferenzen zeigt man sich nun weitaus legerer als im Büro. Zudem bieten die eigenen vier Wände im Hintergrund – sei es das Arbeits-, Schlaf- oder Wohnzimmer – einen Einblick in bisher unbekannte Facetten des Privatlebens der Kolleginnen und Kollegen. Ein ungemachtes Bett, eine Katze, die über die Tastatur läuft, oder ein Kind, das im Zoom-Call vorbeischaut: Dinge, die in einer Büroumgebung nie passieren würden, sind jetzt alltäglich. Bei mir ist bereits mehrfach mein Zweijähriger in eine Teambesprechung geplatzt, weil er Peppa Pig sehen wollte!

Den „Schein“ um jeden Preis zu wahren – die Zeiten sind vorbei und das ist gut so. Die Geschäftswelt ist durch diesen Wandel menschlicher geworden. Wir begegnen uns auf einer gelasseneren sowie gesünderen Art und Weise.

Glückliche Angestellte – trotz Pandemie

Wie wichtig eine authentische Unternehmenskultur ist und welchen Einfluss sie auf den Erfolg einer Firma hat, möchte ich an folgendem Beispiel veranschaulichen.

Bei einem unternehmensinternen Workshop mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wollten wir herausfinden, was ihr größter Zugehörigkeitsfaktor zum Unternehmen ist, mit was sie sich also am meisten identifizieren. Obwohl keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben waren, erhielten wir ein eindeutiges Ergebnis. Wie wir miteinander kommunizieren und einander begegnen – nämlich offen, ehrlich und echt – war mit Abstand die am häufigsten gegebene Antwort. Dies spiegelt sich in einer niedrigen Fluktuation wider sowie im „Happiness Index“ der Angestellten, der alle zwei Jahre erhoben wird. Selbst im verrückten Corona-Jahr lag er bei 7,9 von 10 Punkten. Zudem wurde als weiterer Motivationsfaktor das Vertrauen in unsere Führungsetage genannt.

Ehrlich währt am längsten

Ich muss zugeben, es ist nicht immer einfach eine Kommunikation zu pflegen, die auf Transparenz und Aufrichtigkeit basiert – insbesondere wenn alle Interaktionen über Videokonferenzen laufen. Ich selbst habe während der Pandemie meine Stelle neu angetreten und bis dato nur einen einzigen Kollegen von Angesicht zu Angesicht getroffen. Unter diesen Umständen eine Beziehung aufzubauen, erfordert stets Reflexion, Authentizität und Durchhaltevermögen.

In meinem Team hat jedes Mitglied das Recht, seine Meinung zu teilen – egal um welches Thema es sich handelt. Das erfordert von mir als Führungskraft ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein, aufrichtiges Zuhören, Konzentration und viel Energie.

Aber es lohnt sich allemal. Denn wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Raum für ehrliches Feedback bekommen und sich in ihrer Umgebung sicher fühlen, kann dies dazu beitragen, eine Art „Kaffeeküchentratsch-Mentalität“ aufzubauen. Dies gibt Raum für – ich wage es zu sagen – ein gesundes Maß an Tratsch, der ein so wichtiger Teil des Aufbaus von Beziehungen innerhalb jeder Gruppe ist.

Zudem ist jemand, dem bewusst zugehört wird, eher gewillt, dasselbe zu tun. Meetings werden dadurch produktiver und Teammitglieder teilen häufiger wertvolle Verbesserungsvorschläge. Ehrlichkeit führt langfristig immer zu Erfolg; Offenheit ist der Schlüssel dazu.

Ein inklusives Arbeitsumfeld schaffen

Eine authentische Unternehmenskultur entsteht aber nur durch inklusiv agierende Führungskräfte. Für mich ist es essenziell, offen für die individuellen Sichtweisen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sein. Auch das Bewusstsein für die eigene Kultur und Herkunft, Denkweise, unbewusste Verzerrungen (unconscious biases) und Stereotypen ist unabdingbar.

Die Individualität jedes einzelnen Teammitglieds muss willkommen geheißen und wertgeschätzt werden. Nur dann fühlen sich Arbeitnehmer für ihrer Selbst anerkannt; ein Umfeld des gegenseitigen Vertrauens und Respekts wird etabliert. Dies wird Früchte tragen: Untersuchungen von McKinsey haben ergeben, dass Angestellte, die sich inkludiert und wertgeschätzt fühlen, bessere Leistungen erbringen.

Nur wer sich wohlfühlt, zeigt sein wahres Ich

Also lasst uns unsere Online-Beziehungen mehr zu schätzen wissen – indem wir uns über die Katze, die über die Tastatur läuft, freuen, es genießen den Kapuzenpullover in einem Meeting zu tragen, oder der Versuchung widerstehen, vor einer Videokonferenz das Bücherregal im Hintergrund zu sortieren.

Wir werden uns hoffentlich bald wieder treffen können. Aber bis dahin können wir unsere authentischen virtuellen Beziehungen pflegen, uns gegenseitig unterstützen und auf lange Sicht eine offene (Online-)Unternehmenskultur etablieren. Online gilt dabei das gleiche wie im Büro: Das volle Potenzial entfalten Talente nur dort, wo sie sich wohlfühlen und ihr wahres Ich zeigen können.

Kolumnen, Kommentare und Gastbeiträge auf DUP-magazin.de geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.

Zur Person

Mark Astley

ist Director of Talent Acquisition bei Vinted. Er leitet den Ausbau des Berliner Teams des litauischen Unternehmens. Astley war in seiner Karriere bereits im Bankwesen tätig und für das Wachstum und die Skalierung von Tech-Start-ups und Scale-ups zuständig

14.05.2021
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