Fachkräftemangel Vertrieb
27.09.2021
  • Drucken

2020 und 2021 waren herausfordernd – keine Frage. Die Pandemie hat in vielen Unternehmen ein Umdenken erzwungen. Lange bewährte Prozesse wurden durch Lockdowns und Social Distancing schlicht unmöglich – und das von heute auf morgen. Von den Kontaktbeschränkungen besonders betroffen waren Branchen, die seit jeher vom persönlichen Kontakt leben und welche diesen fest in ihrem Geschäftsmodell integriert haben. Eine dieser Industrien war und ist die Vertriebsbranche.

Der „State of Sales-Report stellte die aktuellen Herausforderungen in den Fokus. Dafür befragte Pipedrive weltweit mehr als 1.700 Vertriebsmitarbeitende. Die Ergebnisse überraschen: Einerseits gibt es zufriedene Vertriebler, die trotz aller Widrigkeiten auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken. Andererseits überwiegt die Erkenntnis, dass Deutschland internationales Schlusslicht in der Ausbildung von Vertriebsexperten ist.

Will man den Erfolg jedoch nachhaltig konservieren, müssen wir über die künftige Generation von Vertrieblern sprechen. Denn ohne sie gibt es keinen Vertrieb, der ernsthaft als Zugpferd der deutschen Wirtschaft fungiert.

Fachkräftemangel im Vertrieb: Woher weht der Wind?

Der Vertrieb ist für Unternehmen überlebenswichtig. Schließlich entscheidet er über Umsätze und damit Chancen zu Wachstum und Weiterentwicklung. Umso erstaunlicher ist es, dass die Ausbildung hoch qualifizierter Vertriebsmitarbeiter in vielen Unternehmen und in Universitäten schlichtweg nicht geschieht. Vielmehr spielt Vertrieb in vielen Ausbildungsberufen eher eine Nebenrolle.

Und auch das Fehlen dedizierter Studiengänge im Vertrieb ist ein Problem. Das ist insbesondere in Deutschland der Fall: Kein einziger der befragten deutschen Vertriebsmitarbeiter verfügt über einen Master- oder auch höheren Abschluss. Zum Vergleich: In spanischsprachigen Ländern sind es knapp ein Drittel, im englischsprachigen Raum immerhin 20 Prozent.

Während in anderen Ländern für die immer komplexeren technologischen Produkte, die steigenden Anforderungen seitens der Kunden und die Globalisierung des Vertriebs auf qualifiziertes Personal von Hochschulen zurückgegriffen werden kann, fliegt der Vertrieb an deutschen Universitäten also unter dem Radar. Und das ist für den möglichen Verkaufsabschluss denkbar ungünstig. Gerade im B2B-Bereich – beispielsweise die Käufer von technologisch anspruchsvollen Industriemaschinen – wollen im Vertriebsprozess mit Experten sprechen. Diese müssen zunehmend Produktaffinität, technisches Know-How und Vertriebsexpertise vereinen. Ein Skillset, welches nur mit entsprechender Ausbildung gewährleistet werden kann.

Quereinsteiger im deutschen Vertrieb die Norm 

In der Folge leiden deutsche Unternehmen an einem Fachkräftemangel im Vertrieb. Insbesondere für junge Unternehmen sind der Vertrieb und die Neukundengewinnung die größten Herausforderungen. Die wenigen vorhanden Fachleute sehen sich deshalb mit Überstunden und Wochenendarbeit konfrontiert. Die Mehrheit arbeitet mehr als 40 Stunden die Woche, jeder Zehnte sogar über 60. Bereits der letztjährige „State of Sales“-Report attestierte Vertriebsmitarbeitern ein erhöhtes Burnout-Risiko.

Das macht deutlich: Unternehmen brauchen hochqualifiziertes Vertriebspersonal. Die Wirtschaft steht unter Druck, diese offenen Stellen zu besetzen und greift dafür oft zu Quereinsteigern. Laut dem „State of Sales“-Report ist Deutschland hier führend: 61 Prozent der befragten Angestellten lernten ihre Verkaufskompetenzen erst „on the job“. Zudem konnte oder durfte sich weniger als jeder Zehnte durch etwaige Ausbildungen oder Qualifizierungen optimal auf den Beruf im Vertrieb vorbereiten. 

Es klafft also eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage, die es zügig zu schließen gilt. Denn für unsere heimischen Unternehmen sind deutsche Vertriebsmitarbeiter unabdingbar. Mehr als 90 Prozent der Vertriebsmitarbeiter sind sich sicher, dass sie für die Erholung der Wirtschaft wichtig sind und diese positiv beeinflussen. Ein starker Vertrieb kurbelt Verkäufe nach der Pandemie an; vier von fünf Vertrieblern erwarten für den Rest des Jahres steigende Verkaufszahlen.

Mit Digitalisierung dem Fachkräftemangel trotzen

Obwohl die Gegebenheiten für den Vertrieb im vergangenen Geschäftsjahr alles andere als rosig waren – man denke an die ausgefallenen Messen, Online-Präsentationen statt face-to-face-Kontakt und den angesprochenen Fachkräftemangel –, ist man in der Branche rückblickend zufrieden. Weit über die Hälfte der Befragten gibt an, im zurückliegenden Jahr erfolgreicher verkauft zu haben als zuvor.

Anteil daran haben unter anderem digitale Tools und steigende Verkaufsvolumen. Es lassen sich nun mal am Tag mehr Videokonferenzen durchführen als Außentermine wahrnehmen. Der „State of Sales“-Report zeigt: Beinahe zwei Drittel der Vertriebler, die auf digitale Möglichkeiten in der Kundenakquise zurückgriffen, erreichten ihre Verkaufsziele. Bei denjenigen, die ohne technologische Hilfen Leads generieren und qualifizieren mussten, blieb etwa die Hälfte hinter den Erwartungen zurück.

Generell ist ein Trend hin zu digitalen Tools ersichtlich: Nur noch vier Prozent der Vertriebsmitarbeiter greifen für die Umsatzverfolgung auf Stift und Papier zurück, 16 Prozent nutzen dafür Excel-Tabellen und vier von fünf arbeiten bereits mit CRM-Tools. 

Durch den von Covid-19 erzwungenen Digitalisierungsschub hat der Vertrieb also seine erste Feuerprobe bestanden. Leads können künftig vermehrt über intelligente Datenbanken gewonnen werden, Chatbots unterstützen bei der Kundenpflege und Automatisierungstools koordinieren ganze Vertriebsteams.

Nichtsdestotrotz bleibt der Mensch weiterhin entscheidender Faktor für den Kaufabschluss und wichtigstes Glied im Vertriebsprozess. Auch deshalb müssen wir gemeinsam die Weichen für einen digitalen Vertrieb stellen, der von hochqualifiziertem Personal geführt wird. Nur dann werden wir uns auch weiterhin über Zahlen wie dieses Jahr freuen können, in dem über 90 Prozent alle Vertriebsmitarbeiter stolz auf ihren Beruf sind.

Zur Person

Michael Schrezenmaier von Pipedrive

Michael Schrezenmaier

ist COO und Co-CEO beim CRM-Anbieter Pipedrive – mit 95.000 B2B-Kunden eines der erfolgreichsten Software Scale-ups Europas. Er ist unter anderem für die Sicherung und Stärkung von Pipedrives Marktposition in Deutschland verantwortlich

27.09.2021
  • Drucken
Zur Startseite