Illustration Sales weltweit
26.05.2021
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Die Globalisierung schreitet unvermittelt voran. Längst ist das Auslandsgeschäft nicht nur für deutsche Großkonzerne ein Wachstumstreiber, auch Mittelständler stellen sich vermehrt international auf. Eine Studie der Förderbank KfW belegt, dass mittelständische Unternehmen im Jahr 2018 bereits 595 Milliarden Euro in ausländischen Märkten erwirtschafteten. Das entsprach fast der Hälfte des gesamten deutschen Exportwertes aus selbigem Jahr. Kontakte zu ausländischen Verkäufern und Unternehmen stehen quasi auf der Tagesordnung. Nicht nur das Potenzial für Umsätze, sondern auch die Möglichkeiten voneinander zu lernen sind also enorm.

Welche aus Deutschland bewährten Prozesse funktionieren auch im Ausland? In welchen Bereichen gibt es spezielle Anpassungsbedarfe? Kurzum: Was können wir vom Vertrieb anderer Länder lernen, um national und international besser zu verkaufen? Ein Blick nach Großbritannien, Frankreich, Nordeuropa, Brasilien und in die USA offenbart sowohl Gemeinsamkeiten als auch grundlegende Unterschiede im Vertrieb.

Das Vereinigte Königreich: Schon vor Corona im Homeoffice

Der Vertrieb lief in Deutschland bis zur Pandemie eher klassisch ab – also analog. Sprich: Man schüttelte Hände und fuhr für das Verkaufsgespräch durch das halbe Land. Vertrieb geschah face to face und vor Ort. Mit der Pandemie wurde der Vertrieb ins Homeoffice verlegt – und das physische Treffen durch Videocalls ersetzt. Und daran wird sich so schnell nichts ändern: Eine Studie der Beratungsgesellschaft PwC legt nahe, dass sich die Homeoffice-Tage – gemessen am Vorkrisen-Niveau – langfristig um 65 Prozent steigern.

In Großbritannien ist das Modell Remote Selling schon länger populär – und bietet somit einige Learnings für den deutschen Vertrieb. So sollten etwa Videotelefonate stets das Mittel der Wahl sein. Andernfalls geht der so wichtige Faktor des menschlichen Kontakts verloren. Dennoch begrüßen Briten kurzweilige Erstgespräche am Telefon. Hat der Kunde kein Vorwissen zum Produkt oder Service, sollte der Verkäufer von großen Reden Abstand halten und zunächst Informationsmaterialien per E-Mail zur Verfügung stellen.

Britische Vertriebsteams arbeiten zudem grundsätzlich mit Anforderungslisten. Vor Gesprächen prüfen sie, welche Materialien und Dokumente für das Gespräch mit dem Gegenüber entscheidend sind und haben so im Zweifelsfall alles nötige zur Hand. Solche Listen helfen den deutschen Vertriebsmitarbeitern, ihr ohnehin hohes Organisationslevel weiter zu verbessern.

Estland und Skandinavien: Digitalisierung als zentraler Baustein des Vertriebsprozesses

Estland, aber auch skandinavische Länder gelten als Vorreiter in Sachen Digitalisierung. In Estland laufen selbst die meisten Kontakte zwischen Bürger und Staat digital ab – egal, ob Steuererklärung, Meldebescheinigung oder Parkticket-Kauf. Diese Offenheit gegenüber Technologien führt zu einer höheren Akzeptanz für digitale Vertriebsprozesse. Moderne Online-Demos, also praktische Vorführungen des Produkts, können zum Beispiel auch in Deutschland helfen, gerade die oftmals erklärungsintensiven B2B- und Software-Produkte verständlich darzustellen. Dabei unterstützen immer modernere Features – etwa interaktive Meetingräume und personalisierte Erklärvideos – dabei, den Online-Verkaufsgesprächen eine persönliche Note zu geben.

Des Weiteren ist Skandinavien, wie Deutschland, ein beliebtes Migrationsziel. Viele Unternehmen verzeichnen eine hohe Anzahl ausländischer Mitarbeiter. Alle Verkaufsmaterialien werden deshalb grundsätzlich auch oder gar ausschließlich auf Englisch angeboten, damit jedes Mitglied der Entscheidungskette des (potenziellen) Kunden informiert ist und bleibt. Diese Maßnahme ist auch für den deutschen Markt relevant, da nicht zuletzt dank der Entwicklung Berlins zum angesehenen Technologie-Hub die Anzahl der englischsprachigen Mitarbeiter steigt. Laut einer aktuellen Studie der Beratungsgesellschaft BCG in Kooperation mit der Jobplattform Stepstone und The Network, verteidigt Deutschland auch 2021 seine Spitzenposition als attraktivstes, europäisches Land unter internationalen Arbeitskräften. Diese entsprechend in die Vertriebsprozesse zu integrieren kann künftig das Zünglein an der Waage sein.

Frankreich: Visionen aufzeigen

Vertriebsprozesse im Nachbarland Frankreich ähneln den deutschen in vielerlei Hinsicht: Auch in Frankreich besteht das Bedürfnis nach strukturierten Vertriebsprozessen mit klaren nächsten Schritten, die beispielhaft aufgezeigt werden. Außerdem sollten alle Materialien, insbesondere zu Bedingungen und Konditionen, in der Landessprache zur Verfügung stehen.

Doch während in Deutschland zum Teil noch die nüchterne Präsentation der Produkt-Features überwiegt, lautet die Devise in Frankreich: Visionen aufzeigen. Mit kreativen Produktdemonstrationen erläutern Vertriebsmitarbeiter ihren Kunden das bigger picture. Wie verhilft das Produkt oder die Dienstleistung dem Kunden zu mehr Wachstum? Wie plant man das Produkt innerhalb der nächsten zehn Jahre weiterzuentwickeln? Und wie wirkt sich das Produkt auf Nachhaltigkeitsziele aus? Solche Visionen helfen, eine klare Roadmap für die Zusammenarbeit zu etablieren und langfristig von gegenseitigem Vertrauen und geteilten Visionen zu profitieren.

Brasilien: Sales über Messenger-Dienste

In Brasilien ist Kundenpflege besonders zeitintensiv; vor allem der telefonische Kontakt ist zwischen Anden und Atlantik üblicher und gefragter als in Deutschland. Doch die Handynutzung steigt auch hierzulande: Seit Ausbruch der Krise telefonieren die Deutschen laut Vodafone im Schnitt 21 Prozent länger als noch 2019. Die durchschnittliche Bildschirmnutzung stieg seit Ausbruch der Pandemie um zwei Stunden auf mehr als zehn Stunden pro Tag.

So könnte der in Brasilien bewährte Kontakt über Messenger-Dienste wie WhatsApp auch in Deutschland als ergänzendes Tool an Beliebtheit gewinnen. Hat in Brasilien ein potenzieller Kunde einen Anruf verpasst, schicken Vertriebsmitarbeiter eine Nachricht über die Hintergründe des Anrufes an den Kunden. Dieses Vorgehen hilft, die Kunden über Sinn und Zweck des Anrufes zu informieren und bereitet auf einen möglichen zweiten Anruf vor.

Trotzdem sind Vertriebsmitarbeiter nach einem Telefonat oft genauso schlau wie zuvor: In Brasilien sind klare Zu- oder Absagen eher die Ausnahme. Wie kann man als Vertriebsmitarbeiter trotzdem seriöses Interesse von höflichen, aber nicht ernst gemeinten vermeintlichen Zusagen unterscheiden? Brasilianische Vertriebsteams werten zum Beispiel Nachfragen nach Adaptionsmöglichkeiten und Preisen als Zeichen ernsthaften Interesses. Hier lohnt sich die Bereitstellung hilfreicher Materialien und ein zweiter Anruf.

USA: Mit Bildern und Social Media zum Abschluss

Social-Media-Plattformen erfreuen sich nicht nur zu Unterhaltungszwecken immer steigender Beliebtheit; sie werden zunehmend auch für Verkaufsabschlüsse wichtiger. 89 Prozent der amerikanischen Vertriebsmitarbeiter nennen soziale Netzwerke wie LinkedIn als zentrale Bestandteile ihrer Verkaufsstrategie. Die Vorteile liegen auf der Hand: zielgruppengerechte Ansprache, effektive Möglichkeiten der Datenauswertung oder Leadgenerierung. Das anglo-amerikanische Prinzip des Social Selling kommt auch in Deutschland zunehmend zum Tragen. Lediglich zwei Prozent der Vertriebs- und Marketingleiter geben an, dass sie keine Pläne über eine Nutzung von Social Media für den Vertrieb haben.

Aber nicht nur in Sachen Vertriebskanäle können hiesige Unternehmen etwas von den US-Amerikanern lernen. In den USA wird Storytelling großgeschrieben: Bilder und Videos helfen amerikanischen Vertriebsmitarbeitern bei der Vermarktung ihrer Produkte. Denn Informationen in Bildern und Videos werden vom Menschen bis zu 60.000 Mal schneller aufgenommen als bei reinem Text. Harte Fakten können mithilfe von intelligenten Grafiken oder ausdrucksstarken Bildern untermauert werden. Durch Visualisierung lassen sich zudem Gefühle transportieren, was insbesondere im B2C-Segment von Vorteil sein kann. Dort entscheiden Käufer laut dem Harvard-Professor Gerald Zaltman zu 95 Prozent unterbewusst – anders als im B2B-Bereich, wo häufig noch die klassische Kosten-Nutzen-Rechnung als Entscheidungsgrundlage dient.

Zur Person

Michael Schrezenmaier von Pipedrive

Michael Schrezenmaier

ist COO und Co-CEO beim CRM-Anbieter Pipedrive – mit 95.000 B2B-Kunden eines der erfolgreichsten Software Scale-ups Europas. Er ist unter anderem für die Sicherung und Stärkung von Pipedrives Marktposition in Deutschland verantwortlich

26.05.2021
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