Illustration einer Lieferkette von Anfang bis Ende
30.06.2021    Miriam Rönnau
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Zur Person

Portrai von Markus Jerger

Markus Jerger

ist Bundesgeschäftsführer des BVMW-Bundesverbands. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler war unter anderem in der Projektentwicklung im Internationalen Olympischen Komitee, im Aufsichtsrat von Colony Capital Schweiz und als Finanzdienstleister in der Immobilienbranche tätig

Wie werten Sie die Belastung im Vergleich zu dem Ziel des Gesetzes?

Markus Jerger: Die Belastung steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten Zielen des Lieferkettengesetzes. De facto trifft es alle Importeure und Exporteure. Zudem schwebt über dem Mittelstand das Damoklesschwert zivilrechtlicher Klagen durch die Hintertür. Denn neben direkt Betroffenen haben beispielsweise auch Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen das Recht zu so genannten Interventionen – was zeitraubende und teure Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen wird.

Wird sich das Lieferkettengesetz auch bei Verbrauchern bemerkbar machen?

Jerger: Das ist zu befürchten. Der internationale Wettbewerb zwingt die Unternehmen, die zusätzlichen Kosten abzuwälzen. Das wird sich vor allem in höheren Preisen für Verbraucher und wohl auch in einer geringeren Auswahl an Produkten bemerkbar machen, zumindest in der Übergangsphase.

Kritiker meinen, das Lieferkettengesetz wäre „lückenhaft und unzulänglich“. Inwiefern würden Sie dem zustimmen? Wo sehen Sie Optimierungsbedarf?

Jerger: Es ist vor allem realitätsfremd. Das Lieferkettengesetz ist sicher gut gedacht, aber schlecht gemacht. Nehmen Sie das Beispiel Exportbranche Maschinenbau: Werkzeugmaschinen bestehen aus Tausenden Einzelteilen. Soll der Hersteller allen Ernstes für jedes Einzelteil die Lieferkette minutiös dokumentieren? Beispiel Sekundärrohstoffe: Wie soll ein Unternehmen bei recyceltem Schrott nachweisen, dass bei der Gewinnung der Primärrohstoffe keine Menschenrechte verletzt wurden? Beispiel Import-Stahl: Welche Standards bei Arbeitsschutz und Arbeitszeiten sollen denn für den indischen Stahlkocher gelten? In letzter Konsequenz droht uns ein Protektionismus-Regime.

2011 haben die Vereinten Nationen und die OECD mit den „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ und den „Leitsätzen für multinationale Unternehmen“ versucht, Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards auch in den Zulieferketten zu verpflichten – wenn auch auf freiwilliger Basis. Gleiches hat sich auch die Bundesregierung mit dem „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“, kurz NAP, vorgenommen. Dabei zeigte sich ebenfalls: Die Freiwilligkeit reicht offenbar nicht aus. Das Ergebnis des im NAP implizierten Monitorings, das bis 2020 überprüfen sollte, ob mindestens die Hälfte der in Deutschland ansässigen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten den Anforderungen umgesetzt haben, war eher ernüchternd. Die Konsequenz: Die Bundesregierung darf in diesem Fall gesetzlich tätig werden. War das Lieferkettengesetz somit unausweichlich?

Jerger: Dass der Mittelstand sich dem Schutz der Menschenrechte und der Einhaltung von Umweltstandards verpflichtet sieht, versteht sich von selbst. Wogegen wir uns wehren, ist staatlicher Zwang, der auch noch die Falschen trifft. Der Gesetzgeber zielt auf die Konzerne – und trifft den Mittelstand. Das Lieferkettengesetz gilt zwar ab 2023 zunächst nur für Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten und dann ab 2024 für über 1.000 Beschäftigte, trifft aber viele Mittelständler indirekt, nämlich als Zulieferer. Die Großen werden die Vorgaben an die Kleinen weitergeben. Besser wäre es gewesen, die Europäische Union würde sich des Themas annehmen. Damit könnten dann auch innereuropäische Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden.

Aus welchen Gründen haben Unternehmen damit ein Problem, sich an die Einhaltung von Vorgaben in Sachen Menschenrechte und Umweltauflagen zu halten?

Jerger: Um es klar zu sagen, der Mittelstand steht voll hinter den Zielen des Gesetzes: Achtung der Menschenrechte und Verhinderung von Umweltzerstörung. Die allermeisten mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer halten sich an das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns. Das Lieferkettengesetz ist aber der völlig falsche Weg. Es stellt den Mittelstand unter Generalverdacht, bürdet unseren Unternehmen zusätzliche Bürokratie und Kosten auf und bringt sie in eine verschuldungsunabhängige Haftung. Einem deutschen Kleinunternehmer ist es unmöglich, in Drittländern wie ein Polizist zu prüfen, ob die Arbeitsbedingungen nach deutschem Recht oder gar entsprechend den vor Ort geltenden Rechten und Pflichten eingehalten werden.

Der Trend in Richtung mehr Nachhaltigkeit ist überall spürbar. Tun sich Unternehmen nicht auch selbst einen Gefallen, entsprechend zu agieren?

Jerger: Natürlich investieren deutsche Unternehmen in Nachhaltigkeit. Damit liegen sie weltweit sogar an der Spitze. Die Standards sind ein Kernproblem des Lieferkettengesetzes. Sollen etwa überall auf der Welt deutsche Arbeitsschutzgesetze gelten? Deutschland will wieder einmal den Musterschüler in Europa spielen. Ich halte das für anmaßend und politisch unklug.

Viele Unternehmen werben damit, dass ihre Produkte „Fair Trade“ sind. Braucht es solche Siegel mit dem Lieferkettengesetz nicht mehr?

Jerger: Doch, das eine ersetzt nicht das andere. Es geht beim Fair-Trade-Siegel insbesondere um positives Marketing. Das Lieferkettengesetz ist alles andere als fair: Es unterbricht globale Wertschöpfungsketten und schadet durch zusätzliche Handelshemmnisse den armen Ländern, denen es nutzen soll. Hier ist in erster Linie die Welthandelsorganisation gefordert, sie muss für faire Bedingungen im weltweiten Handel sorgen.

Wie sollte ein Lieferkettengesetz nach Ihrer Façon aussehen?

Jerger: Wir plädieren für eine europäische Lösung. So könnte in den Entwicklungsländern mehr Druck auf die Einhaltung von Menschenrechten aufgebaut werden als durch einen Alleingang Deutschlands. Denkbar wäre eine von der Europäischen Union geführte Negativliste. Diese würde Zulieferer aus Entwicklungsländern erfassen, mit denen Unternehmen aus der Europäischen Union aufgrund der Nichtbeachtung von Menschenrechten nicht zusammenarbeiten dürfen. Das würde zudem Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas vermeiden. Und es würde deutsche Unternehmen von bürokratischem Aufwand und unnötigen Haftungsrisiken entlasten.

30.06.2021    Miriam Rönnau
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