Verschwommen Bewegung Blick der Passanten auf der Straße in der Nacht
25.03.2020    Thomas Eilrich
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p>7. Wir staunen rückwärts, wieviel Humor und Mitmenschlichkeit in den Tagen des Virus tatsächlich entstanden ist.

8. Wir werden uns wundern, wie weit die Ökonomie schrumpfen konnte, ohne dass es tatsächlich zu so etwas wie einem »Zusammenbruch« kam, der vorher bei jeder noch so kleinen Steuererhöhung und jedem staatlichen Eingriff beschworen wurde. Und das obwohl es einen »schwarzen April« gab, einen tiefen Konjunktureinbruch und einen Börseneinbruch von 50 Prozent, obwohl viele Unternehmen pleitegingen, schrumpften oder in etwas völlig Anderes mutierten, kam es nie zum Nullpunkt.

9. Heute im Herbst, so Horx, gibt es wieder eine Weltwirtschaft. Aber die globale Just-in-Time-Produktion, mit riesigen international verzweigten Wertschöpfungsketten hat sich überlebt. Sie wird gerade neu konfiguriert. Überall in den Produktionen und Service-Einrichtungen wachsen wieder Zwischenlager, Depots, Reserven. Ortsnahe Produktionen boomen, Netzwerke werden lokalisiert, das Handwerk erlebt eine Renaissance. Das Global-System driftet in Richtung GloKALisierung: Lokalisierung des Globalen.

10. Dem Zukunftsforscher zufolge werden wir uns wundern, dass sogar die Vermögensverluste durch den Börseneinbruch nicht so schmerzen, wie es sich am Anfang anfühlte. In der neuen Welt nämlich spielt laut Horx‘ Re-Gnose Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten.

„Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte?“, fragt der Forscher.

11. Vielleicht werden wir uns sogar wundern, dass US-Präsident Donald Trump im November abgewählt wird, wagt Horx zu skizzieren. Von wem auch immer getragen: eine bösartige, spaltende Politik passt nicht zu einer Corona-Welt. Das Destruktive im Populismus hat zu echten Zukunftsfragen nichts beizutragen. Politik in ihrem Ur-Sinne als Formung gesellschaftlicher Verantwortlichkeiten bekam dieser Krise eine neue Glaubwürdigkeit, eine neue Legitimität.

12. Auch die Wissenschaft hat in der Bewährungskrise eine erstaunliche Renaissance erlebt. Virologen und Epidemiologen wurden zu Medienstars, aber auch »futuristische« Philosophen, Soziologen, Psychologen, Anthropologen, die vorher eher am Rande der polarisierten Debatten standen, erhielten Stimme und Gewicht zurück.

13. Fake News hingegen verloren rapide an Marktwert. Auch Verschwörungstheorien wirkten plötzlich wie Ladenhüter, obwohl sie wie Sauerbier angeboten wurden.

Horx‘ Fazit: „Ein Virus wirkt als Evolutionsbeschleuniger“. Und weiter: „Die neue Welt nach Corona – oder besser mit Corona – entsteht aus der Disruption des Megatrends Konnektivität“ (oder Globalisierung). Deren Unterbrechung – durch Grenzschließungen, Separationen, Abschottungen, Quarantänen – führt aber nicht zu einem Abschaffen der Verbindungen. Sondern zu einer Neuorganisation. Und diese werde „unsere Welt zusammenhalten und in die Zukunft tragen“. Laut Horx bedeute dies einen „Phasensprung der sozio-ökonomischen Systeme“.

Jede Tiefenkrise hinterlässt eine Story, ein Narrativ, das weit in die Zukunft weist, so der Zukunftsforscher. Eine der aus seiner Sicht stärksten Visionen, die das Coronavirus hinterlässt, sind die musizierenden Italiener auf den Balkonen. Die zweite Vision sendeten uns die Satellitenbilder, die plötzlich die Industriegebiete Chinas und Italiens frei von Smog zeigen.“ 2020 wird der CO2-Ausstoß der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen“, so Horx. Er endet mit dem Appell: 
„System reset.
 Cool down! 
Musik auf den Balkonen! 
So geht Zukunft.“

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Zur Person

Matthias Horx

ist Publizist und hat 1998 das Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt und Wien gegründet.

25.03.2020    Thomas Eilrich
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