Symbolbild zum Thema Gender-Bias und mangelnde Diversität
16.06.2022    Jenny Gruner
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Bis zur Gleichstellung von Frauen und Männern dauert es laut „Gender Gap Report 2021“ noch 136 Jahre. Das heißt: Erst im Jahr 2157 verfügen Frauen in Sachen Wirtschaft, Politik, Bildung und Gesundheit über die gleichen Chancen wie Männer. Ist das fair? Und vor allem: Können wir es uns in Zeiten des Fachkräftemangels überhaupt leisten, gut 50  Prozent der Bevölkerung zu benachteiligen? 

Kolumne von Jenny GrunerDie Ursachen für diesen Gap sind vielfältig. Eine von ihnen liegt im Unconscious Bias – oder zu Deutsch: der Voreingenommenheit. Nicht umsonst lautete das Motto des diesjährigen Internationalen Frauentags „#Break ­TheBias“. Denn es ist Zeit, eine nachhaltige Bewegung in Gang zu setzen und mit Vorurteilen zu brechen, um mehr Gleichstellung zu erreichen.

Ein wenig Terminologie muss sein

Doch wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir von Bias reden? Klären wir also erst einmal den Begriff. Er beschreibt eine kognitive Verzerrung und bedeutet, dass wir von bestimmten Dingen voreingenommen sind. Oft steckt diese Voreingenommenheit im Unterbewusstsein – ist deshalb „unconscious“. 

Diese Voreingenommenheit oder Vorurteile verankern sich oft durch Sozialisation und Erziehung. Sie beein­flussen unser Leben – die Art, wie wir denken und handeln und bestimmten Personen und Gruppen automatisch Kompetenzen zuschreiben oder absprechen, ohne sie zu prüfen. Ein Bias hilft uns, die Komplexität durch Kate­gorisierung zu reduzieren, und unterstützt somit bei der Entscheidungsfindung. Bias sind also mentale Abkürzungen. Dennoch können sie zu verzerrten Beurteilungen führen und Stereotype verstärken. Die Folge: Schubladendenken und Diskriminierung.

Beziehen sich diese Wahrnehmungseffekte auf das Geschlecht, dann reden wir vom Gender-Bias oder auch von Sexismus. Hier treffen wir Annahmen zu Unterschieden oder zur Gleichheit zwischen Männern und Frauen, wo möglicherweise keine bestehen. Beispiele hierfür sind die Bevorzugung einer Personengruppe bei der Auswahl für Jobs, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede oder die geringere Wertschätzung der Leistungen von Frauen. 

Illustration von Jenny Gruner

Jenny Gruner ist Director Global Digital Marketing bei Hapag-Lloyd und baut in dieser Funktion ein digitales skalierbares Vermarktungs-Modell in 144 Ländern auf. Ein tiefes Kundenverständnis ist für sie dabei elementar, um neben globalen Anforderungen auch auf die lokalen Bedürfnisse eingehen zu können. Die Enkelin eines Kapitäns ist überzeugt, dass eine solch tiefgreifende Transformation nur mit allen zusammen an Bord gelingt – und es dafür einen Kulturwandel innerhalb des Unternehmens bedarf

Es gibt Mehrere Formen des Gender-Bias 

Kompetent und sympathisch? Das geht nun wirklich nicht. Nach dem klassischen Rollenbild ist eine Frau fürsorglich, kollaborativ und zurückhaltend. Doch mit diesen ­Eigenschaften lässt sich in einem wettbewerbsorientierten Umfeld in der Wirtschaft kein Blumentopf gewinnen. Selbstbewusstsein und Durchsetzungsstärke sind gefragt – also typisch männliche Eigenschaften. Zeigt nun eine Frau diese Wesensmerkmale, wirkt sie forsch, bossy oder zickig auf Menschen, die eine andere Erwartung an das Verhalten von weiblichen Führungskräften haben. 

Während ein Mann als High Performer eingestuft wird, wird die Frau als unsympathisch empfunden und abgelehnt – trotz guter Leistung. Und das, weil der Knoten im Kopf nicht aufgeht. Bei diesem doppelten Bewertungsstandard werden also Situationen, Entscheidungen und Co. nach Geschlecht unterschiedlich eingeschätzt. 

Die Geschlechterinsensibilität oder auch Geschlechterblindheit wiederum ignoriert das biologische Geschlecht völlig. Die Folge ist eine verzerrte Wahrnehmung, wie sich gleiche Umstände unterschiedlich auswirken. So treffen verschiedenartige gesellschaftliche Erwartungshaltungen und strukturelle Begebenheiten am Arbeitsplatz auf Mütter und Väter, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Während Väter als umso erfolgreicher scheinen und ihnen in sozialen Netzwerken applaudiert wird, wenn es in die Elternzeit geht, ist das für Frauen der Karriereknick. Jobangebote werden gestrichen, und mit dem Schritt in den Teilzeitjob beginnt das „parttime work shaming“. Frauen wird dann generell weniger zugetraut, da sie sich scheinbar weniger für den Job interessieren. Dabei zwingt der Mangel an fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten sie oft dazu.

Und dann haben wir noch den Androzentrismus, der die Bedürfnisse der Männer in den Mittelpunkt stellt. Deren Perspektiven, Bedürfnisse und Pro­bleme sind die „neutrale“ Norm. So wird zum Beispiel Forschung oftmals nur an männlichen Studiengruppen durchgeführt, und die Ergebnisse werden dann auf Frauen übertragen. Würden Studien an heterogenen Gruppen vorgenommen, wären andere Ergebnisse die Folge. Dies ist eine Übergeneralisierung, denn männliche Perspektiven und Bedürfnisse sind eben nicht neutral, sondern einfach nur männlich. Und so wird beispielsweise Hausarbeit, die oft noch überwiegend von Frauen übernommen wird, nicht als Arbeit angesehen.

Warum etwas ändern? 

Wie wir sehen, führen unbewusste Vorurteile zu Fehl­entscheidungen und schränken die Chancengleichheit in Unternehmen ein. Doch gerade Diversität, Equity und Inklusion stärken Kreativität und Innovation – und steigern somit den Umsatz des Unternehmens, wie eine Studie der Boston Consulting Group ergeben hat. Weiterhin erhöhen Unternehmen ihre Rentabilität, da sie über vielfältige Problemlösungs- und Entscheidungsfindungskompetenzen verfügen. McKinsey hat in einer Studie nachgewiesen, dass diese Firmen eine um 21 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, eine überdurchschnittliche Rendite zu erzielen.

Ebenso steigt die Attraktivität derjenigen Unternehmen am Arbeitsmarkt, die Diversität, Equity und Inklusion leben, was in Zeiten des War for Talents überlebenswichtig ist. 

Jeder Mensch hat Vorurteile. Da sie aber oft unbewusst sind, ist es schwierig, sie aufzudecken und ihnen entgegenzuwirken. Wollen wir dies ändern, gilt es zunächst, achtsam zu sein und überhaupt erst einmal ­unsere Wahrnehmung zu hinterfragen. Denn wer das Problem nicht sieht, wird ein Teil davon. Regelmäßige Reflexionen im privaten und beruflichen Umfeld sind der erste Schritt. Denn erst wenn wir uns dieser unbewussten Denkmuster gewahr sind, können wir etwas dagegen unternehmen.

Wie ändert man etwas, das man nicht sieht? 

Persönlich kann sich jeder mit dem Thema aus­einandersetzen und dafür mit Menschen in den Austausch gehen, die sich nicht in der eigenen Bubble bewegen. Wenn wir verstehen, wie der andere tickt, und voneinander lernen, sehen wir unsere Fehleinschätzungen, entdecken Gemeinsamkeiten und können unsere Geschichte neu erzählen. Auf der anderen Seite sollten wir auf potenzielle Vorurteile hinweisen, wenn wir ihnen begegnen. So können wir auch unser Umfeld immer vorurteilsfreier gestalten. 

Auch in Unternehmen hilft die Aufklärung über die Entstehung und Wirkung unbewusster Vorurteile – allein schon, um sich der Voreingenommenheit bewusst zu sein, die eigene Arbeits­kultur zu hinterfragen und dem zu begegnen. Das kann dann durch Leitfäden bei der Personalauswahl, das Bilden diverser Teams zur Stärkung der Perspektivenvielfalt, Guidelines für die ­Führungskräfte, Förderprogramme für Frauen oder Vereinbarkeitsprogramme für Familien geschehen.

Voreingenommenheit engt ein – Frauen und Männer. Für eine diverse, chancengleiche und inklusive Kultur tun Menschen, aber auch Unternehmen gut daran, sich von traditionellen Weltbildern zu lösen und den Menschen Raum zur Entfaltung zu geben. Doch es braucht Zeit und Übung, um Vorurteile abzulegen. Die Trampelpfade im Kopf zu verlassen erfordert viel Reflexion und Training. Diese Zeit zum Üben sollte man sich aber nehmen. Denn jeder Mensch verdient es, dass wir ihn nach seinen individuellen Fähigkeiten bewerten und ihn respektieren.

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16.06.2022    Jenny Gruner
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