Ein rot gefärbte Figur, die eine Frau darstellen soll, ist umringt von graufarbenen Männern. Sie sticht aus der Masse hervor und steht für Female Leadership
12.12.2022
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Als Trainee kam Ilse Munnikhof im Oktober 2012 zur ING, startete eine Bilderbuchkarriere und ist inzwischen Head of Investment Advice. An der ING schätzt die Expertin für Controlling, Bilanzen und Wertpapiere die besondere Kultur, die Entwicklungschancen sowie den Themenmix. Darunter auch ihre Passion: weibliches Investieren. Ein bisher wenig beachtetes Feld, das „kulturell wie ökonomisch großes Potenzial“ verspreche.

Zur Person

Porträt von Ilse Munnikhof, Head of Investment Advice der ING.

Ilse Munnikhof

hat im Oktober 2012 als Trainee bei der ING in den Niederlanden begonnen. Nach Stationen im Controlling und als Business-Managerin von Vorstand Nick Jue ist sie heute Head of Investment Advice bei der ING Deutschland in Frankfurt am Main

In welchem Alter waren Sie erstmals an der Börse aktiv?

Ilse Munnikhof: Das war mit ungefähr Mitte 20, am „Tag der Aktie“, als ich meinen ersten ETF, einen Exchange Traded Fund, gekauft habe. Das Skurrile dabei: Bereits zuvor kannte ich mich mit Wertpapieren sehr gut aus und hatte schon Level I und II des Chartered Financial Analyst, kurz CFA, bestanden. Das ist eines der wichtigsten Ausbildungsprogramme im Investmentbereich. Und dennoch habe ich mich nicht schon früher an die Börse gewagt. Die Hürde war scheinbar zu groß. Und so geht es vielen jungen Frauen. Obwohl sie sich ausreichend informiert haben, wagen sie oft nicht den ersten Schritt.

Beobachten Sie dieses Zögern oft in der Praxis?

Munnikhof: Das darf man nicht pauschalisieren, denn es gibt ebenfalls viele Gegenbeispiele für pro­aktives Handeln. Aber eine abwartende, fast schon vorsichtige Haltung bei der Geldanlage begegnet mir im Alltag durchaus häufig. Frauen sind sich oftmals des Risikos eines finanziellen Verlusts sehr genau bewusst, da es im Abwägungsprozess nun einmal ein realistisches Szenario am Finanzmarkt darstellt. Umso bedachter sind sie darauf, die Zusammenhänge umfassend zu verstehen, bevor sie ihr Geld investieren. Oft sind ihre Investments dann aber erfolgreicher als die von Männern, da sie aufgrund der detaillierten Recherche zwei fundamentale Erfolgskriterien verstanden haben: langfristig denken und nicht bei jedem Zucken der Märkte hektisch verkaufen.

Wie reagieren Banken auf dieses Verhalten?

Munnikhof: Viele Institute erreichen Frauen mit ihren Angeboten und Produkten nicht – das ist wissenschaftlich bewiesen. Dieser Financial-Services-Gender-Gap steht im Widerspruch zum Purpose der Finanzindustrie, da in diesem Bereich unfassbar großes ökonomisches Potenzial schlummert. Für mich liegt der Fokus aber vielmehr darauf, Frauen grundsätzlich davon zu überzeugen, sich frühzeitig mit ihren Finanzen auseinanderzusetzen. Dabei bin ich weniger ein Fan von geschlechterspezifischen Finanz­produkten, wie ETFs oder Robo-Advisors speziell für Frauen. Um die Struktur zu verändern, ist eine gezieltere Ansprache der Schlüssel. Die kann gern auch plakativ sein.

Hat die Branche diesen Wandel verstanden?

Munnikhof: Es ist besser geworden. Früher war ich teilweise schon mal die einzige Frau im Programm einer Veranstaltung. Auf Nachfrage haben mir die Organisatoren kleinlaut gespiegelt, dass „dafür ja viele Frauen im Publikum“ seien. Doch mittlerweile wird sehr genau darauf geachtet, dass Panels paritätisch besetzt sind. Teils gibt es auch Schwerpunkte, zum Beispiel beim Börsentag mit einer speziellen Themen-Bühne oder Sonderevents wie jener der Fondsfrauen. Diese Art von gezielter Ansprache meine ich, denn dann kommen Frauen und fühlen sich abgeholt.

Laut Arbeitgeberverband der Versicherer arbeiten in der Versicherungs- und Finanzbranche 50 Prozent Frauen, davon aber nur 16 Prozent in Führungsposi­tionen. Stinkt der Fisch vom Kopf aus?

Munnikhof: Das ist die Frage, die es selbstkritisch auszuwerten und schließlich zu beantworten gilt. Themen wie Einstellungskriterien oder Postenbesetzung im Vorstand bedingen auch gleichzeitig den Gender-Pay-Gap, also den immer noch viel zu großen Unterschied beim Gehalt von Frauen und Männern. Nur wenn wir Führungspositionen in Unternehmen paritätisch und divers besetzen, werden sich strukturelle Ungleichheiten im System beheben lassen.

Wäre eine verpflichtende Frauenquote in Industrie und Wirtschaft eine Lösung?

Munnikhof: Ich war erst dagegen, wie viele andere auch. Ich wollte nie befördert werden, nur weil ich eine bestimmte Quote erfüllen soll oder muss. Doch mittlerweile bin ich überzeugt, dass wir ein messbares Instrument benötigen, um den aktuellen Verhältnissen gegenzusteuern. Geschlechterparität bedeutet faire Chancen für alle Mitarbeitenden. Dass jahrelang oft nur die mittlerweile zum geflügelten Wort gewordenen „alten weißen Männer“ diese Chancen bekamen, wurde öffentlich erst deutlich, als eine kritische Debatte angestoßen wurde.

Und was beobachten Sie in der Praxis bei der ING?

Munnikhof: Als unser COO Željko Kaurin die ING verlassen hat, wurde die Stelle in die beiden Positionen CIO und COO aufgeteilt und jeweils von Männern besetzt. Das ist gemessen an ihren Qualifikationen, ihrem Know-how und ihrer Persönlichkeit auch vollkommen verdient. Aber dennoch müssen wir bei diesen Prozessen im Alltagsgeschäft kritisch hinterfragen, ob nicht auch eine Frau mit der gleichen Befähigung zur Verfügung stand.

Fairerweise müssen wir uns allerdings genauso vor Augen führen, dass jeder Mensch unterbewusst und kulturbedingt gewisse Vorurteile in ­seine Entscheidungsfindung mit ­einbezieht. Ich will nicht ausschließen, dass auch ich in meinem Team Leute eingestellt habe, die mir ähnlich sind. Umso wichtiger ist die ehrliche Selbstreflexion, die oftmals im Alltagsstress unterzugehen droht, da man zu sehr seinem Tunnelblick verfällt. An diesem Punkt möchte ich ansetzen – auch bei der ING.

Wird sich diese systemische Ungleichheit zeitnah ­beheben lassen?

Munnikhof: Um die komplette Struktur branchenübergreifend zu reformieren, wird es noch Jahre brauchen. Aber es gibt erste Meilensteine, die ich bei uns erlebt habe. Frauen erhalten beispielsweise trotz Schwangerschaft eine Beförderung. Hier wurde das Potenzial erkannt und in die Zukunft investiert. Zudem gehen mittlerweile auch häufiger Männer in Elternzeit – und das für mehr als zwei Monate. Ich führe derzeit bei der ING Interviews durch, um ihre Beweggründe und Erfahrungen zu verstehen. Die Ableitungen aus diesem Projekt sollen bestenfalls den Menschen die Angst nehmen, dass Elternzeit gleichzeitig einen Karriereknick bedeutet. Das ist immer noch systemimma­nent und schreckt vor allem Männer ab.

Sie sind mit 33 Jahren Head of Investment Advice bei der ING. Haben Sie Erfahrungen mit Schubladen­denken gemacht?

Munnikhof: Bei der ING habe ich das noch nie erlebt. Auch auf Vorstandsebene, während meiner Zeit als Business-Managerin von CEO Nick Jue, wurde es immer begrüßt, wenn ich Fragen gestellt, Input geliefert oder meine Meinung eingebracht habe.

Es gab nur einmal eine heikle Situation, in der mir von externen Partnern deutlich zu verstehen gegeben wurde, dass sie mich nicht als vollwertige Gesprächspartnerin ansehen: Sie haben mich völlig ignoriert und so getan, als wäre ich nicht im Raum. Mir ist aber erst im Nachhinein klar geworden, wie unseriös ihre Haltung war. In der Situation selbst war ich zu sehr im Tunnel, um das zu erkennen.

Was ist das Besondere an der Kultur der ING, dass Sie nunmehr schon seit zehn Jahren dort arbeiten?

Munnikhof: In ihrem „Orange Code“ hat die ING einen Verhaltenskodex für die interne Zusammenarbeit aufgestellt. Darunter sind Ziele wie Eigenverantwortung und -initiative, Neugier, Mut zur Veränderung oder Integrität definiert. Und auch, sich auf dem Weg zum Erfolg gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Diese Punkte sind keine Marketing-Leier, sondern gelebte Kultur und Erfolgskriterium zugleich. Bei Jahres­endgesprächen wird mit jedem Mitarbeitenden resümiert, inwiefern sie oder er diese Kategorien beherzigt und sich weiterentwickelt hat. Und auch bei Vorstellungsgesprächen gilt: Passt er oder sie nicht zu diesen Guidelines, wird auch aus einer Anstellung nichts – egal wie fachlich versiert jemand ist.

Was raten Sie jungen Frauen zum Anfang ihrer Karriere, um erfolgreich zu sein?

Munnikhof: Extrem wichtig sind ein Netzwerk sowie eine gute Mentorin oder ein guter Mentor. Mein Chef Nick Jue war zum Beispiel bei der erwähnten heiklen Situation nicht im Raum, hätte das so aber nie zugelassen. Diese manchmal auch subtile Unterstützung verleiht Sicherheit.

Darüber hinaus ist eine besondere Expertise in ein bis zwei Fachbereichen, zusätzlich zum Alltagsgeschäft, sehr hilfreich – und das kommt bei dem oder der Vorgesetzten ebenfalls gut an. Zudem sind Mut zur Eigeninitiative und die Kenntnis der eigenen Stärken sehr wichtig – wenn sich zum Beispiel Chancen ergeben, eine neue Abteilung mitaufzubauen oder in spannenden Projekten zu partizipieren. Dazu gehört aber, stets die Vorgänge innerhalb des Unternehmens und am Markt genau im Blick zu behalten. 

Könnten Sie uns bitte ein Beispiel nennen?

Munnikhof: Ich habe vom Vorstand die Chance erhalten, die in Spanien damals bereits implementierte Anlageberatung in Deutschland einzuführen. Innerhalb kurzer Zeit durfte ich ein Team von 30 Anlage-Coaches und acht Customer-Journey-Experten zusammenstellen. Aus dieser Arbeit ist schließlich die Beratung „Komfort-Anlage“ der ING Deutschland entstanden.

12.12.2022
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