Eine Person die einen Vertrag unterzeichnet
29.06.2022    Madeline Sieland
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Die Bundesregierung hat sich Zeit gelassen: Bereits 2019 wurde die EU-Arbeitsbedingungen-Richtlinie (EU 2019/1152) verabschiedet, in deutsches Recht umgesetzt wurde sie aber noch nicht. Das muss nun bis zum 1. August geschehen. Der Bundestag hat den Gesetzesentwurf der Bundesregierung am 23. Juni gebilligt.

Worum es in der EU-Richtlinie geht? „Es dreht sich alles um die Schaffung transparenter und vorhersehbarer Arbeitsbedingungen. Konkret regelt sie neben den Pflichten zur Unterrichtung über Jobkonditionen auch die Mindestanforderungen an Arbeitsverträge“, sagt Paul-Benjamin Gashon, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Korten Rechtsanwälte AG. In der Praxis heißt das: Arbeitsverträge müssen ab August deutlich mehr Informationen enthalten als bisher. Gashon erklärt, worauf sich Arbeitgebende jetzt konkret einstellen müssen und welche Sanktionen bei Nichtbeachtung der EU-Arbeitsbedingungen-Richtlinie drohen.

Zur Person

Portrait von Pail Benajmin Gashon

Paul-Benjamin Gashon

ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Korten Rechtsanwälte AG. Die 2003 gegründete Wirtschaftskanzlei mit Standorten in Hamburg, München und Göttingen berät vor allem mittelständische Unternehmen bei zivil- und wirtschaftsrechtlichen Fragen

Welche Informationen müssen Arbeitsverträge in Deutschland schon heute zwingend enthalten?

Paul-Benjamin Gashon: Laut § 2 des Nachweisgesetzes gehören zu den verpflichtenden Inhalte in Arbeitsverträgen in Deutschland neben Name und Adresse der beschäftigten Person auch Name und Adresse des Unternehmens – inklusive Benennung der Geschäftsleitung. Zudem gilt es, den Beginn des Arbeitsverhältnisses, den Arbeitsort und – falls zutreffend – auch eine Information auf wechselnde Tätigkeitsorte anzugeben. Eine Jobbeschreibung sowie ein allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gehören ebenfalls in den Arbeitsvertrag. Zudem benötigen die einzelnen Klauseln auch Details zu Vertragsdauer, Arbeitszeiten, Entgelt, Sonderzuwendungen, Kündigungsfristen und Urlaubsanspruch. Unabhängig von diesen Grundlagen erlaubt der Gesetzgeber, im Hinblick auf die Gestaltung auf die individuellen Bedürfnisse und Gegebenheiten im Unternehmen einzugehen.

Innerhalb der Grenzen des Arbeitsschutzrechts gilt prinzipiell die Vertragsfreiheit. Konkret heißt das: Sofern beispielsweise bei der Erstellung der Gleichbehandlungsgrundsatz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das AGB-Recht berücksichtigt werden, bestimmen beide Parteien nicht nur über den Inhalt, sondern auch über den Abschluss selbst.

Und welche weiteren Informationen sind künftig gemäß der EU-Richtlinie Pflicht?

Gashon: Tritt der aktuelle deutsche Regierungsentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie in Kraft, erweitern sich vor allem die bestehenden Nachweispflichten. Anders als bisher müssen Unternehmen dann beispielsweise genaue Schichtzeiten benennen, wie viel Geld für Überstunden gezahlt wird und ob Überstunden überhaupt angeordnet werden dürfen. Für Betriebe bedeutet das: Verträge mit ihren Mitarbeitenden gestalten sich künftig noch umfangreicher. Schließlich gilt es etwa auch die Dauer der Probezeit anzugeben. Außerdem müssen alle Jobvereinbarungen, die nach dem 31. Juli 2022 getroffen werden, auch Kündigungsmodalitäten sowie die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts inklusive Fälligkeit und Art der Auszahlung beinhalten.

Gelten die neuen Regelungen auch rückwirkend für bereits bestehende Verträge? Muss also zum 1. August jeder Beschäftigte eines Unternehmens einen neuen Vertrag bekommen?

Gashon: In erster Linie haben die vorgesehenen Gesetzesänderungen unmittelbare Auswirkungen auf die Gestaltung neuer Verträge – also auf alle Beschäftigungsvereinbarungen, die ab dem 1. August 2022 geschlossen werden. Im aktuellen Entwurf räumt der Gesetzgeber Lohnempfängern in bestehenden Arbeitsverhältnissen aber das Recht auf Offenlegung ein. Innerhalb von sieben Tagen müssen Unternehmen dann detailliert Auskunft über die besonders wichtigen Informationen wie beispielsweise Dauer der Probezeit oder Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts geben. Binnen eines Monats folgen dann in einer Niederschrift die restlichen wesentlichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses. Diese zusätzlichen Informationen müssen aber nicht in einem neuen Arbeitsvertrag erklärt werden.

Hat die EU-Arbeitsbedingungen-Richtlinie nur Auswirkungen auf das Nachweisgesetz oder gibt es weitere Änderungen, auf die sich Arbeitgebende einstellen müssen?

Gashon: Es gibt auch in anderen Gesetzen einige wenige Neuerungen. So verpflichten Änderungen am Teilzeitbefristungsgesetz Unternehmen künftig dazu, in zweckbefristeten Arbeitsverhältnissen, wie etwa im Zuge einer Elternzeitvertretung, den Grund für die Befristung im Vertrag anzugeben. Ferner müssen Arbeitgebende Teilzeitbeschäftigten, die einen Wunsch nach Veränderung oder einem unbefristeten Arbeitsverhältnis äußern, innerhalb eines Monats eine begründete Antwort übermitteln. Und auch auf die Probezeit haben die Vorgaben aus Brüssel Einfluss: In Zukunft darf diese nicht mehr pauschal sechs Monate betragen, sondern muss ins Verhältnis zur Dauer der Befristung und Art der Tätigkeit gesetzt werden.

Erwähnenswert ist darüber hinaus eine Ergänzung in Bezug auf Pflichtfortbildungen in der Gewerbeordnung: Sie sieht vor, dass Kurse, Seminare und Co. während der Arbeitszeit abgeleistet werden und die Kosten nicht zu Lasten von Arbeitnehmenden gehen.

Die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht passiert sehr kurzfristig. Was sollten Unternehmen jetzt konkret machen, um die neuen Regelungen schnell umzusetzen? Und wie aufwendig wird die Umsetzung vermutlich werden?

Gashon: Unternehmen sollten die Richtlinienumsetzung vor allem als Chance sehen, um bestehende Verträge anzupassen und unliebsame oder unwirksame Klauseln zu überarbeiten. Dabei gilt es nicht nur bestehende Arbeitsvertragsmuster von einem qualifizierten Rechtsanwalt umformulieren zu lassen, sondern auch eine Vorlage für die auf Anfrage zu erteilende Niederschrift bei Altverträgen zu erstellen. So lässt sich der Aufwand erheblich reduzieren.

Sind Übergangsfristen vorgesehen, in denen Unternehmen noch auf ihre alten Arbeitsverträge zurückgreifen können oder müssen diese zwingend zum 1. August angepasst werden?

Gashon: Bislang sind im Gesetzesentwurf keine Übergangsfristen vorgesehen.

Was droht Unternehmen, welche die Frist nicht halten können?

Gashon: Bereits die EU-Richtlinie schreibt fest, dass alle Mitgliedsländer bei der Umsetzung in nationales Recht einen wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionsmechanismus integrieren müssen. Entsprechend definiert der deutsche Gesetzesentwurf, dass Unternehmen ordnungswidrig handeln, wenn die Vertragsbedingungen nicht richtig, rechtzeitig, vollständig oder in der vorgeschriebenen Weise niedergelegt werden. Ein solcher Verstoß kann dann mit einer Geldstrafe von bis zu 2.000 Euro einhergehen.

Ein Punkt, der durchaus irritiert, ist das Festhalten an der Schriftformerfordernis. In Zeiten der Digitalisierung wirkt das wie ein Rückschritt. Wie stehen Sie zu dieser Vorgabe? Welche Vorteile hat es, wenn alles ausgedruckt auf Papier vorliegt statt nur digital; welche Probleme sind damit aber auch gerade für Arbeitgebende verbunden?

Gashon: Grundsätzlich können Arbeitsverträge auch mündlich geschlossen werden. Ein Zwang zum Abschluss in Schriftform mit eigenhändiger Unterschrift existiert nur in Ausnahmefällen wie etwa bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder Aufhebungsverträgen. Sofern der Gesetzgeber eine schriftliche Ausarbeitung vorsieht, dient dies in der Regel der Klarheit, dem Schutz vor Übereilung und der Beweissicherung. In vielen Fällen können nach § 126a BGB jedoch bereits heute Dokumente durch digitale Form ersetzt werden, sofern beide Parteien über eine qualifizierte elektronische Signatur verfügen. Bislang gilt das allerdings nicht für die im Nachweisgesetz vorgesehenen Niederschriften. Hier wäre eine Aufweichung der Schriftform sicherlich wünschenswert gewesen.

29.06.2022    Madeline Sieland
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