lachende Frau am Laptop
26.03.2020    Julia Köcher-Eckebrecht
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Sei erfahren. Sei sexuell. Sei unschuldig. Sei schmutzig. Sei jungfräulich. Sei sexy. – es sind widersprüchliche Anforderungen denen Frauen auch im 21. Jahrhundert noch ausgesetzt sind. In dem viralen Video „Be a lady they said“ spricht Schauspielerin und Politikerin Cynthia Nixon diese Unverhältnismäßigkeit an – aggressiv und polarisierend.

Das Werbevideo wurde für das Magazin „Girls Girls Girls“ produziert, dessen Text ursprünglich die 22-jährigen Studentin an der Universität von Vermont Camille Rainville im Dezember 2017 auf ihrem Blog writingsofafurioswoman veröffentlichte. Wie relevant das Thema ist, zeigen die Zugriffszahlen: Auf der Videoplattform Vimeo wurde es bisher rund 8,4 Millionen mal geklickt.

Im beruflichen Umfeld stellt sich die Situation von Frauen vielfach nicht anders dar: Sei tough. Sei freundlich. Sei empathisch, aber nicht emotional. Frauen werden gerne in Führungsrollen gesehen – doch dabei stets mit bestimmten Erwartungshaltungen konfrontiert.

Ein Beispiel: 2019 erregte der russische Aluminumhersteller Taprot für Aufsehen, als das Unternehmen die Mitarbeiterinnen aufrief in Kleidern und Röcken zur Arbeit zu erscheinen. Im Gegenzug gab es mehr Gehalt. Der Sprecher Taprots zeigte sich über die weltweite Kritik erstaunt: „Wir wollten unseren Arbeitstag etwas aufhellen. Unser Team besteht zu 70 Prozent aus Männern. Diese Art von Kampagnen helfen uns abzuschalten. Es ist eine großartige Möglichkeit das Team zu vereinen.“

Frauen in der Digitalwirtschaft

Doch es sind nicht nur extreme Beispiele wie dieses. Frauen sind in der Digitalwirtschaft stark unterrepräsentiert. Nur ein Drittel aller Informatik-Studierenden sind weiblich. Lediglich 40 Prozent der Gründer sind Frauen. Eine Erklärung: Es fehlt an Vorbildern. Und wenn Frauen Leadership-Positionen besetzen, stehen sie meist unter Beobachtung.

Einer Studie von Vodafon zufolge spielt die öffentliche Wahrnehmung von Unternehmerinnen eine wichtige Rolle: Fast drei Viertel der Gründerinnen gaben an, dass sie sich im Gegensatz zu männlichen Gründern in der Medienwelt oft auf ihr Frau-Sein reduziert fühlen.

Das kennt auch Tijen Onaran. Die Gründerin des Unternehmens Global Digital Women, einer Plattform für weibliche Köpfe der Digitalbranche, engagiert sich für die Vernetzung und Sichtbarkeit von Frauen auf ihrem Karriereweg. Sie berät zudem Unternehmen in Diversitätsfragen.

Zur Person

Tijen Onaran Portrait

Tijen Onaran

Tijen Onaran ist Gründerin der Organisation Digital Global Women und Mitglied des Handelsblatt Expertenrates

Sind Frauen in Leadership heute von widersprüchlichen Attributen und Anforderungen betroffen?

Tijen Onaran: Es wird Frauen in keiner Weise gerecht, wenn wir sie im Zusammenhang mit Führungspositionen auf ihr Geschlecht reduzieren. Ich bin immer verwundert, wenn ich in Diskussionen das Argument höre, dass Frauen Kompetenzen wie Empathie und Teamfähigkeit mitbringen und daher gut für gemischte Teams sind. Der Subtext, der hier mitschwingt, ist, dass es eine Rechtfertigung braucht, warum mehr Frauen in Führungspositionen gut für unsere Wirtschaft sind. Die wichtigste Erkenntnis sollte doch sein: Es ist 2020. Gleichberechtigung ist der Motor für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.

Welche Attribute sind dir auch schon im Jobumfeld begegnet?

Onaran: Einige – ob im Fernsehen die Frage nach meiner Familienplanung oder auch die Aussage, ich würde gar nicht wie eine Feministin aussehen. In solchen Momenten denke ich immer: Diese Frage oder Aussage hast du jetzt nicht wirklich gehört? Wichtig ist, für sich selbst zu wissen: Wie reagiere ich auf solche Stereotype und welche Antwort hilft nicht nur mir, sondern vor allem auch anderen Frauen?

In der Digitalbranche sind Frauen stark unterrepräsentiert. Welche Eigenschaften werden Menschen in Digitaljobs zugeschrieben?

Onaran: Die Digitalisierung ermöglicht völlig neue Karrieren. An meiner Biographie lässt sich sehr gut erkennen, dass eben diese neuen Jobs Karrierehebel sein können. Ob es die Gründung einer Firma ist oder der Aufstieg durch eine Digitalposition in einem Unternehmen – Digitalisierung erweitert das Feld beruflicher Optionen. Ich beobachte, dass Menschen, die vernetzt denken und arbeiten können, Generalistinnen und Generalisten sind. Sie bringen Fähigkeiten mit, die in der digitalen Arbeitswelt verstärkt gesucht werden.

Was können Frauen tun, die eher aufgrund ihres Erscheinungsbildes bewertet werden, nicht aber wegen ihrer Qualifikation oder Kompetenzen?

Onaran: Es wird immer Menschen geben, die denken, weil Frauen sich die Haare kämmen, können sie nicht gleichzeitig Physikerinnen sein. Wir haben in Deutschland dieses Bild von erfolgreichen Frauen, dass der Inhalt nicht zur Verpackung passt. Es gab jüngst einen Beitrag einer Journalistin auf der Website Gründerszene, welche die Gründerin von Westwing Delia Lachance auf ihr Äußeres und ihr Wirken auf ihre Instagram-Follower reduzierte. Solche Geschichten – das im Jahr 2020. Ob Medien, Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft, es zeigt sich immer wieder: Es sind alle gefragt, wenn es um die Vermeidung von Stereotypen geht. Welches Bild vermitteln wir jungen Mädchen, wenn sie das Gefühl haben, berufliche Verwirklichung bedeutet immer auch Bewertung ihres Äußeren? Daher kann ich nur sagen: Genau diese Dinge müssen wir thematisieren, aufbrechen und immer wieder dafür sorgen, dass wir uns frei von Vorurteilen und Schubladen in unseren Köpfen machen.

26.03.2020    Julia Köcher-Eckebrecht
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