Portrait Dirk Bamberger
03.02.2021
  • Drucken

Kurz vor Weihnachten 2020 wurde dem Hessischen Landtagsabgeordneten Dirk Bamberger plötzlich klar, dass er jetzt etwas tun muss. Corona wütete gerade zum zweiten Mal und hinterließ deutlich Spuren. Gesundheitliche, wirtschaftliche. In Deutschland und damit auch in Marburg, wo Bamberger lebt, und wo er im März Oberbürgermeister werden will.

Das Ladensterben geht ja in der Marburger Innenstadt schon länger um, aber mit Corona sah plötzlich alles noch viel trauriger aus. „Als ich in der Tageszeitung den offenen und anklagenden Brief eines Marburger Kaufhausbesitzers las, dachte ich: Jetzt ist es aber genug“, sagt Bamberger, der im Wirtschaftsausschuss des Landtags sitzt.

Dann setzte er sich hin und schrieb Jeff Bezos eine Mail. Manche mögen gelächelt haben, als sie davon hörten. Was soll denn schon ein kleiner Landtagsabgeordneter aus Marburg gegen den 200 Milliarden Dollar schweren Bezos ausrichten, den viele für den Totengräber des Einzelhandels halten?

„Ich glaube nicht an Verbote. Und ich bin kein Verhinderer oder Nostalgiker“, schrieb Bamberger. Aber „der Einzelhandel in unzähligen Städten, Gemeinden, Landkreisen auf der Welt leidet. Die Luft geht allen aus, weil sie mit Ihnen nicht mithalten können, Herr Bezos.“

Die jüngeren trauen sich was 

Der Brief endete mit einem Angebot: „Lassen Sie uns gemeinsam darüber sprechen. Wenn Sie nicht helfen können, wer dann?“

Früher hätte einen wie Bamberger womöglich die Partei rechtzeitig gebremst. Oder zumindest eingenordet. Aber die Zeiten haben sich im Politikbetrieb geändert. Immer mehr jüngere Politiker trauen sich was und gehen ihren eigenen Weg, Partei hin und her. In Tübingen sorgt Boris Palmer so schon seit längerer Zeit und immer wieder bundesweit für Schlagzeilen. Zuletzt, als der Oberbürgermeister den Senioren der Studentenstadt Taxirabatte besorgte, damit sie sich nicht in Linienbusse setzen und dort mit Covid anstecken mussten. Oder als er Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen Brief schickte. Palmer agiert gern gegen die von oben vorgegebene Meinung. „Kitas und Grundschulen müssen geöffnet werden“, forderte er kürzlich in der Online-Talkshow „19 –  die DUB Chefvisite“.

Über Palmers Amtskollegen Claus Ruhe Madsen wurde ebenfalls bundesweit berichtet. Er hatte in Rostock zusätzliche Verbote und Coronatests eingeführt und sich damit erst unbeliebt gemacht – bis sich herausstellte, dass er der Hansestadt damit rekordverdächtig niedrige Inzidenz-Werte unter 50 bescherte.

Und dann ist da eben auch einer wie Dirk Bamberger, der mit seiner Post an Bezos Aufsehen erregte. Vor allem, weil er kurz darauf eine Antwort und ein Gesprächsangebot aus der Deutschland-Zentrale von Amazon in Berlin bekam.

Der neue Weg: Einfach machen 

Vielleicht eint diese drei Mutigen mehr als ihr Alter: Palmer (Grüne), Bamberger (CDU) und Madsen (parteilos) sind alle 48 Jahre alt. Vielleicht treffen sie einfach den richtigen Ton und tun ohne Kalkül, was getan werden muss. Ihr Weg ist nicht radikal, aber auch nicht obrigkeitshörig – sie machen einfach. Das Ziel ist die Lösung, der Weg dorthin darf ruhig kreativ sein.

„Ich kenne viele Politiker, die bei Amazon an Zwangsbesteuerung denken“, sagt Bamberger. Dennoch vermeidet er es, die Leute mit schlichten Parolen hinter sich zu bringen. Er erreicht ein Ziel lieber mit einer guten Idee. Da kann es auch mal ganz egal sein, ob sie zum Parteibuch passt oder nicht.

In Marburg will Bamberger als OB viele Ideen umsetzen und den Menschen damit helfen. Er geht schon jetzt hemdsärmlig jedes Thema an, das sich in den Weg stellt. Ob es klein ist oder groß, das ist ihm egal. Hauptsache es wird irgendwie gelöst. So wie das Gehörlosengeld, für das Betroffene seit fast 50 Jahren kämpften, und das Bamberger jetzt in Hessen durchgesetzt hat.

Vor den anstehenden Wahlen entschied der kreative Bamberger übrigens, sich für den Wahlkampf gleich zwei „Fernsehstudios“ einzurichten: Aus einer Art Pop-up-Lounge in der Marburger Innenstadt geht er nun jeden Tag um 15 Uhr via Facebook und Instagram live auf Sendung, morgens um 8.50 Uhr sendet er aus seinem privaten Esszimmer. Man kann die potentiellen Wähler ja wegen Corona nicht treffen. Dafür sehen die jetzt manchmal seine kleine Tochter durchs Bild rennen.

Als er zum Auftakt technische Probleme hatte und das Livebild quer übertragen wurde, reagierte Bamberger übrigens sofort: Er neigte seinen Oberkörper um 90 Prozent zur Seite und moderierte einfach weiter. Sehr kreative Idee.

Zur Person

Dirk Bamberger

ist OB-Kandidat in Marburg und gehört seit 2019 dem Hessischen Landtag an. Er ist dort Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen. In einer Mail an Jeff Bezos beklagte er das Ladensterben in Deutschland.

Herr Bamberger, sich hinsetzen und Jeff Bezos eine Mail schreiben: Ist das nicht ein bisschen verrückt?

Dirk Bamberger: Ich kam darauf, weil er ja behauptet, dass er alle seine Mails liest und sich darum kümmert. Also habe ich ihn zum Dialog eingeladen. Ich finde, wer einen Konflikt lösen will, muss sich erstmal an den wenden, der das Problem ausgelöst hat. Ich bewundere Jeff Bezos zwar, aber sein Geschäftsmodell und seine Steuerpolitik sorgen dafür, dass der Einzelhandel bei uns früher oder später untergehen wird. Also würde ich ihn gern fragen: Was haben Sie überhaupt vor? Können wir das Problem gemeinsam lösen? Haben Sie Ideen? Ich hab‘ nämlich welche.

Und Sie haben eine Antwort bekommen.

Bamberger: Ja, von Amazon Deutschland. Wir suchen gerade einen gemeinsamen Termin.

Wer in Deutschland die Berichterstattung über Digitalisierung verfolgt, könnte leicht auf den Gedanken kommen: Immer sind die anderen Schuld.

Bamberger: Nein, so sehe ich es eben nicht. Auch wir in Deutschland müssen unsere Hausaufgaben machen. In diesem Fall: Den Dialog und Lösungen suchen. Zum Beispiel müssen die Innenstädte attraktiver und zugänglicher werden. Das geht bei freiem Wi-Fi los und endet in der Verkehrspolitik. Und dann haben wir ja noch das Thema Ladenschluss. Ich habe von Amazon noch nie die Meldung bekommen: ,Sorry, dieses Produkt können Sie jetzt nicht kaufen – wissen Sie überhaupt, wie spät es ist?‘

Das Geschäftsmodell von Amazon...

Bamberger: … funktioniert großartig. Da stelle ich gar nicht in Abrede, ich respektiere das sogar sehr. Das Problem ist ein ganz anderes: Für Amazon gelten andere Regeln als für die Konkurrenz – ob in Berlin oder Marburg. Und das lösen wir nicht mit Boykotten, wie es manche fordern. Nur: Wenn das so bleibt, zerstört es den Einzelhandel. Es muss sich also etwas ändern, egal wie. Und es passiert ja gerade auch viel.

Was, wenn die Gespräche zu keiner Lösung führen?

Bamberger: Dann habe ich‘s versucht. Sollte Amazon stur bleiben, was ich nicht glaube, bleiben politische Lösungen. Die Diskussion um Steuern hat ja schon begonnen. Ob das den Einzelhandel rettet, ist eine andere Frage. Wir können ja nicht Steuereinnahmen einfach verteilen. Deswegen möchte ich ja reden. Ich mag konkrete, kreative Ideen und Lösungen.

 

 

03.02.2021
  • Drucken
Zur Startseite