Drei Cocktails mit orangener Flüssigkeit auf dem Tisch
26.03.2021    Ulli Damm
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Der Duft steigt intensiv in die Nase: Wacholder natürlich, Rosmarin, Lorbeer. Dazu prickelt süßliches Tonic. Beim ersten Schluck steht fest: Das ist ein überraschend kraftvoller, komplexer Gin Tonic, der den Namen wirklich verdient – obwohl er null Umdrehungen verursacht. Alkoholfreie Spirituosen sind der Top-Trend in der Getränkebranche. Angesehene Experten für Hochprozentiges rümpfen längst nicht mehr ihre fein trainierten Nasen, wenn es um diese Produkte geht. Bei der Londoner „International Wine & Spirit Competition 2020“ verkostete die Jury in der neuen Kategorie „Low-and-no-Alcohol“ 44 alkoholfreie Spirits. Dabei räumten die australischen Newcomer von Lyre’s – mit gleich 13 alkoholfreien Spirituosen in den Markt gestartet – mächtig ab: Sie nahmen elf Medaillen mit, davon einmal Gold für ihren „Orange Sec“.

Aroma wie eine Software

Die Australier bieten das am häufigsten ausgezeichnete Sortiment alkoholfreier Spirituosen weltweit. In Deutschland ist Lyre’s bisher nur online erhältlich. Das ungewöhnliche Spirit-Start-up wurde vor zwei Jahren vom australischen Unternehmer Mark Livings gegründet. Der 39-jährige Marketingexperte aus Sydney hat schon an einigen Food-&-Beverage-Projekten mitgearbeitet. Warum nun alkoholfreien Schnaps? „Ich bin ein Nerd“, sagt Livings im Gespräch mit DUB UNTERNEHMER. „Ich liebe es, Dinge in ihre Einzelteile zu zerlegen, wieder zusammenzusetzen und einen Markt dafür zu finden. Getränke-Entwicklung ist nicht anders, als eine Software zu schreiben.“ Und den Markt für seine „Software“ hat er gefunden.

„Es gibt zwei Gründe, warum dieser Trend plötzlich so explodiert ist“, erklärt Livings. „Zum einen denken Konsumenten zunehmend anders über Alkohol, viele suchen nach gesünderen, verantwortungsbewussten Optionen. Aber sie legen ihre Gewohnheiten nicht ab, der Anlass für soziale Kontakte ist oft ein Drink. Der zweite Grund ist die bessere Technik.“

In den vergangenen Jahren wurden verschiedene neue Verfahren entwickelt, Getränken den Alkohol zu entziehen. So nutzt die Hamburger Firma Undone für ihr Alkoholfrei-Sortiment (u. a. Rum, Gin, Wermut und Orange Bitter) eine patentierte Ionisierungsmethode. „Ein weltweit einzigartiges Verfahren“, sagt Undone-Marketingchefin Renke-Marie Lux. „Wir kreieren damit zum Beispiel einen geschmacksintensiven Pot-Still-Gin mit typischem London-Dry-Profil, entziehen den Alkohol und verfeinern die alkoholfreie Essenz mit natürlichen Aromen und Schärfenoten.“ Undone ist seit einem Jahr auf dem Markt, verkauft über den Einzelhandel, in der Gastronomie und online. Den bisher fünf Undone-Sorten sollen noch in diesem Jahr weitere folgen. 

Eichenfässer als Herausforderung

Lyre’s geht einen anderen Weg, erklärt Mark Livings. „Wir destillieren nicht erst Spirituosen und ziehen dann den Alkohol heraus. Denn Alkohol ist ein starker Aromaträger. Wenn man ihn entfernt, gehen auch viele Aromen verloren.“ Lyre’s setzt deshalb bei null an: Aus natürlichen Quellen werden die Moleküle isoliert, die Duft und Geschmack eines Getränks ausmachen, und dann in eine Wasserbasis gemischt. 

Die „Geschmacksarchitekten“ arbeiten mit Kräuter- und Gewürzextrakten – Zimtrinde, Wacholder, Vanille, sogar Terpinen aus Eiche. Holzaromen seien eine Herausforderung, gibt Livings zu: „Es war schwierig, die Geschmacksnoten eines Eichenfasses in ein Getränk auf Wasserbasis zu bekommen, zum Beispiel für unseren ,American Malt‘.“ 

Das Ziel von Lyre’s: jedes Getränk auf der Karte einer Bar als alkoholfreie Variante nachzubilden. Demnächst erscheint ein Prosecco. Nur vom Wodka will Livings die Finger lassen – für seinen Geschmack hat schon das Original zu wenig Aroma.

26.03.2021    Ulli Damm
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