Christian Langer Portrait Lufthansa Technik
01.04.2019    Thomas Eilrich
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Das Gebäude grau, das Büro spartanisch. Doch nicht die Verpackung, der Inhalt zählt. Ortstermin bei Lufthansa Technik in Hamburg. Ein riesiges Areal mit Industriecharme, auf dem sich Werkstätten, Ersatzteillager, Hangars, aber eben auch der Digitalchef der Lufthansa-Gruppe finden. Eine zu wenig inspirierende Umgebung? Christian Langer winkt ab. Bällebad, Kickertisch und Hängematte braucht er nicht, um Zukunft zu denken. Im Exklusivinterview teilt er seine Vision von Mobilität.

Zur Person

Illustration von Christian Lange

Dr. Christian Lange

ist Chief Digital Officer Lufthansa Group und Managing Director Lufthansa Innovation Hub. Zu seinem Job gehört es, die digitale Transformation der Gruppe zu treiben und zu leiten (seit 2017). Darüber hinaus platziert er die Themen des Innovation Hub auf der Digitalagenda des Konzerns

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Wie werden wir in Zukunft reisen?

Christian Langer: Dass das Bedürfnis nach Mobilität wächst, ist ja nichts Neues. Die Kernfrage, die mich dabei umtreibt, ist, inwieweit Reisen für die meisten Menschen einen zwar notwendigen, aber unerwünschten Stressfaktor darstellt. Warum reisen wir überhaupt? Um zu interagieren – zum Beispiel mit einem Kunden im Rahmen einer Geschäftsreise – oder um etwas zu erleben. Aber wenn ich jetzt in manche Zukunftslabore schaue, glaube ich, dass der Impuls, etwas vor Ort zu erleben, durch den Einsatz virtueller Realität geringer wird. Warum zum Sport-Finale fliegen, wenn die verfügbaren Karten ohnehin rar und teuer sind und ich auch auf meinem heimischen Sofa das Gefühl habe, live dabei zu sein? Wenn dazu noch Videokonferenzen technisch besser laufen als heute, werden auch viele Geschäftsreisen obsolet. Das nächste Betriebssystem wird nicht mehr Windows, sondern es könnte „Doors“ heißen. Denn es wird eine Art virtuelle Tür sein, durch die ich in einen Besprechungsraum trete. Über „Doors“ sitzen wir gefühlt tatsächlich zusammen, obwohl wir uns an unterschiedlichen Orten befinden.

Werden solche Reisen also bald ganz überflüssig? Wenn aber das Mobilitätsbedürfnis bleibt: Wie sieht es künftig aus?

Langer: Natürlich gibt es gute Gründe zu reisen, daher auch das wachsende Bedürfnis nach Mobilität. Die Luft am Strand von Malibu riecht eben anders als die in Frankfurt-Höchst. Auch die zwischenmenschliche Begegnung ist durch nichts ersetzbar. Ich glaube aber nicht, dass Sie in 30 Jahren noch zu jedem Interview fliegen. Fakt ist: Der Anspruch an stressfreies Reisen wird umso größer, je besser die Möglichkeiten werden, Erlebnisse oder Interaktionen bereitzustellen, ohne sich vom heimischen Sofa erheben zu müssen. Entsprechend wächst der Anspruch an uns Mobilitätsanbieter, Reisen immer reibungsloser ablaufen zu lassen. Das fängt mit der Fahrt zum Flughafen selbst an. „Von Tür zu Tür“ muss hier der Denkansatz lauten.

„Das nächste Betriebssystem wird nicht mehr Windows, sondern es könnte „Doors“ heißen. Denn es wird eine Art virtuelle Tür sein, durch die ich in einen Besprechungsraum trete.“

Mobilitätsanbieter müssen kooperieren?

Langer: Definitiv – und wir müssen auch das Erlebnis Reise durchdenken. Wenn Sie in der S-Bahn oder im Bus zum Hamburger Airport sitzen, dann haben Sie kostenloses WLAN. Aber wenn Sie unterwegs Musik oder Filme konsumieren möchten, brauchen Sie Ihren Spotify- oder Netflix-Zugang, für den Sie zahlen. In Flugzeugen ist es in der Regel andersherum: Sie zahlen für den Internetzugang, bekommen aber das Entertainment umsonst. Was ist die Marktlogik dahinter?

Zurück zur Zukunft der Mobilität. Welches Szenario ­
sehen Sie?

Langer: In einem Flugzeug ist es legal, ja sogar vorgeschrieben, einem Menschen zehn Stunden lang einen festgelegten Sitzplatz zuzuweisen, in dem er sich dann – bis auf kurze Momente – aufhalten muss. Und wenn Sie jemanden während eines Interkontinentalflugs an einem Platz festhalten, müssen Sie ihn irgendwie unterhalten. Sie müssen ihm etwas zu essen geben, die Möglichkeit bieten, zu ruhen und zu kommunizieren. Je autonomer jetzt das Autofahren wird, desto mehr gilt dasselbe künftig auch für Autobauer. Das Erlebnis wird zusammenwachsen – und so muss es ebenso die Infrastruktur dahinter. Autos mit Nasszelle: Ist das wirklich eine Utopie?

Illustration automobiles Fahren

Autonomes Fahren: Wettbewerber in Sachen Reiseerlebnis auf der Kurzstrecke

 

Ist das autonome Auto auf innerdeutschen Strecken in Zukunft demnach Ihr Wettbewerber?

Langer: Ja, es wird – wenn es denn da ist – eine Konkurrenz, so wie die Bahn auf innerdeutschen Strecken schon heute. Umso wichtiger wird für uns das Thema Multimodalität. Weil der Reisende am Ende dann doch in Frankfurt oder München seinen Interkontinentalflug rechtzeitig und bequem erreichen will. Dadurch wächst der Anspruch an die Organisation von Reiseketten.

Inwieweit muss sich also auch die Lufthansa neu begreifen?

Langer: Am Ende sind wir Mobilitätsdienstleister. Das gilt für uns genauso wie für die Automobilhersteller. Gerade deswegen stellen wir uns die Frage, aus was unsere Dienstleistung im Kern besteht. Ist es der Transport von A nach B? Ist es die Möglichkeit zur Interaktion und zu Erlebnissen? Meine Antwort: Wir müssen Mobilität „end to end“ betrachten – als quasi immerwährendes Konzept. Deshalb zeichne ich die Reisekette auch nicht mehr als linearen Ablauf. Für mich ist es eine liegende Acht – also eine unendliche Geschichte mit dem Flug als Kernelement. Das ist der zentrale Bestandteil einer Reise. Zudem hat ein Flug die große Besonderheit, dass Sie – nachdem Sie acht Stunden in einer unserer Maschinen gesessen haben – in der Regel in einem anderen Kulturkreis landen. Nach acht Stunden in der Bahn hingegen sind Sie vielleicht in Österreich.

Wo konkret arbeiten Sie am Thema Reisekette?

Langer: Beispielsweise in Berlin. Dort haben wir Yilu gegründet – mit genau einem Auftrag: das Travel-Operating-System zu bauen. Aus unserer Sicht braucht das Reisen ein Betriebssystem, das die verschiedensten Betreiber von Mobilität auf intelligente Art und Weise miteinander verknüpft. Diese langfristige Vision mache ich einmal an einem ganz konkreten Beispiel fest: Sie legen sich abends ins Bett. Am nächsten Morgen wollen Sie mit der LH03 von Hamburg nach Frankfurt fliegen. Und Sie sagen Ihrer App – die mit diesem Operating-System verbunden ist und weiß, wann der Flieger morgen abhebt –, dass Sie bitte rechtzeitig geweckt werden wollen. Das Einzige, was Sie dann noch gefragt werden, ist, wie lange Sie morgens vom Wecken bis zur Haustür brauchen. Und wenn Sie dann mit einer Stunde Verspätung aufwachen, müssen Sie nicht fürchten, Ihren Flieger verpasst zu haben. Sie können vielmehr darauf vertrauen, dass Yilu die wetterbedingte Verspätung des Fliegers kannte. Und zudem einberechnet, wie lang der Stau auf der Zufahrtsstraße ist und wie viel Zeit die Sicherheitskontrolle in Anspruch nimmt. Die App hat dementsprechend Ihr Taxi so bestellt, dass Sie stressfrei durchrauschen können. Technisch stecken intelligente Engines dahinter, die zum Beispiel Buchungen oder Verspätungen erfassen. An dieses Travel-Operating-System schließen sich nach und nach immer mehr Ground-Betreiber an.

Geht es auch noch darüber hinaus?

Langer: Ja, es gibt reichlich Anknüpfungspunkte. Ein Beispiel: Wenn Sie – sagen wir – in São Paulo ankommen, dann wissen Sie im Zweifel nicht, welchem Taxibetreiber Sie bedenkenlos vertrauen können und wie Sie idealerweise bezahlen. Gerade wenn Sie Ihren Kulturkreis verlassen, bietet sich ein klarer Mehrwert. Yilu ist eine Ausgründung aus unserem Innovation Hub mit großem Zukunftspotenzial.

Stehen Sie mit dem Travel-Operating-Ansatz am Ende nicht auch im Wettbewerb mit Giganten wie Google?

Langer: Sicher – aber wir haben den Vorteil, dass wir über den Flug als Kernelement des Systems viel mehr wissen, beispielsweise über mögliche Verspätungen. Und ganz ehrlich: Wenn Sie bei allem, was Sie tun wollen, immer darauf schielen, dass Google ein möglicher Wettbewerber sein könnte, brauchen Sie eigentlich auch gar nichts mehr anzufangen.

Zurück zur Ausgründung – funktioniert Innovation nicht hausintern?

Langer: Doch, sehr gut sogar. Aber es gibt dennoch gute Gründe für eine Ausgründung. Sie hat einen extrem beschleunigenden Effekt auf das Projekt. Eine einzige Aufgabe steht im Fokus, es muss nicht nach links und rechts geschaut werden. Zudem ist man dort bei Weitem flexibler, gute Entwickler zu rekrutieren – und die braucht es. Eine Ausgründung schafft ein Vehikel, das eine andere Form der Erfolgsbeteiligung ermöglicht als typische Konzern-Erfolgssysteme.

Sie sind jüngst auch beim kanadischen Reise-Start-up Hopper eingestiegen ...

Langer: … und zwar als erste und einzige Airline. Es ist eine Minderheitsbeteiligung an einem der ganz spannenden Start-ups im Reise-Sektor. Bei Hopper geht es um die Vorhersage von Preisen. Als Datengrundlage wurden dafür über Jahre acht Billionen individuelle Preispunkte gesammelt und mit Predic­tive-­Analytics-Algorithmen analysiert. Wenn Sie deren App nutzen, sendet Sie Ihnen für Ihren Wunsch-Flug oder Ihr Wunsch-Hotelzimmer eine Push-Nachricht, die sagt, dass Sie jetzt buchen sollten, weil es nicht mehr günstiger wird. Der Einstieg in Hopper ist für uns hauptsächlich eine Forschungsallianz – wir profitieren von deren KI-Know-how.

Wo sehen Sie die Zukunftsmärkte für die Lufthansa?

Langer: Das ist schwer zu sagen. Auf Kurzstrecken wird sich Asset-seitig wahrscheinlich die größte Veränderung ergeben. Wenn da in Zukunft neben der Bahn auch autonome Autos oder der Hyperloop fahren, dann begrüße ich das. An autonome Flugtaxen glaube ich kurzfristig eher nicht. Technisch funktioniert das, aber im Luftraum über einer Stadt halte ich das für eher schwierig. Wenn Stabilität und Sicherheit das von uns erwartete Niveau erreicht haben, können wir uns Koopera­tionen mit anderen Unternehmen auf diesem Gebiet vorstellen. Wir konzentrieren uns aber auf das, was wir am besten können: den Linienverkehr mit größeren Flugzeugen. Dort ist genügend Wachstum und erst recht genügend Innovationspotenzial. Und das trotz der Besonderheit, dass Airlines mit ihren Flugzeugen prinzipiell eine inflexible und teure Asset-Base haben, bei gleichzeitig sehr flexibler Nachfrage.

Und wie lösen Sie dieses Dilemma?

Langer: Typischerweise mit Planungssystemen, die genau dazu da sind, beides aufeinander abzustimmen. Diese sind bislang stets für bestimmte Gruppen entwickelt, also beispielsweise Bauteiltypen oder ganze Kundensegmente, und sie arbeiten mit relativ langen Vorlaufzeiten. Das beschleunigt sich nun in Richtung Echtzeit und nimmt stärker Bezug auf Individuen, also beispielsweise auf ein spezifisches Bauteil mit der Seriennummer XY. Jeder, der Mobilität bereitstellt, benötigt Zugriff auf sichere, zuverlässige und hochverfügbare Assets mit entsprechenden Kapazitäten. Die Wartung, die man für diesen sicheren und hochverfügbaren Betrieb einer Flotte benötigt, wird daten­getrieben verfeinert, und individuelles Verhalten von Flugzeugkomponenten wird in Echtzeit prognostizierbar. Auch daran arbeiten wir, mit unserer Plattform AVIATAR. Generell passiert gerade viel Spannendes: Heute noch getrennte Industrien werden verschmelzen, und man wird Wettbewerbern begegnen, die man aktuell noch gar nicht als solche wahrnimmt. Manche Autohersteller betreiben ja heute schon Flotten, vielleicht sehen wir das auch in unserer Industrie. Gleichzeitig bieten sich damit Chancen auf Kooperationen, wie wir sie heute noch nicht kennen.

01.04.2019    Thomas Eilrich
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