Vogelansicht eines digitalisierten Gebäudes vor blauem Hintergrund
23.09.2021    Martin Hintze
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In Kürze:

  • Normalverdiener können sich in den Metropolen durch stark gestiegene Preise kaum noch eine Immobilie leisten.
  • Eine spekulative Übertreibung der Immobilienpreise ist dennoch nicht zu erkennen.
  • Die Speckgürtel der großen Städte gewinnen durch das Arbeiten im Home Office zusätzlich an Attraktivität.

 

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Der „SPIEGEL“ titelte unlängst: „Unbezahlbar – Warum Normalverdiener sich heute kaum noch ein Eigenheim leisten können“. Ist der Traum von den eigenen vier Wänden für die Mehrheit ausgeträumt?

Christian Grall: Nein, wir sehen das differenzierter. Es ist richtig, dass die Preise sehr stark gestiegen sind, auch in der Pandemie. Das gilt aber vor allem für die Top-Metropolen, in denen Käufer inzwischen 40 bis 45 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für Zins und Tilgung aufbringen müssen. In den Speckgürteln der Metropolregionen und in den ländlichen Kreisen ist der Wohntraum jedoch noch erschwinglich. Normalverdiener haben also durchaus noch Chancen, sich eine Immobilie zu leisten.

Karl Reinitzhuber: Die Rahmenbedingungen für junge Familien in den Metropolen sind nicht ganz einfach. Auf der anderen Seite hat Deutschland eine der niedrigsten Eigentumsquoten in ganz Europa. Die Nachfrage nach Immobilien wird durch hohe Grunderwerbssteuern und durch die steuerliche Nicht-Abzugsfähigkeit von Hypothekenzinsen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gedämpft. Außerdem sind die Mieten in Deutschland im Vergleich relativ günstig. In dieser Gemengelage fällt der Kauf von Eigentum hier schwerer als in anderen Ländern.

Am DUP Digital Business Talk nahmen teil:

Moderation: Thomas Eilrich, Chefredakteur DUP UNTERNEHMER

Günter Vornholz: Die Erschwinglichkeit von Immobilien zwischen Städten und dem ländlichen Raum weicht sehr stark voneinander ab. Im Kreis Lippe gibt es Eigenheime für 70.000 Euro. In den Metropolen dagegen ist durch den Preisanstieg mehr Eigenkapital nötig. Unter 100.000 Euro kommen sie bei einer konservativen Finanzierung nicht hin. Das haben 90 Prozent der Mieter nicht. Das kann sich ein Normalverdiener heute nicht leisten, aber auch schon früher nicht. An diesem Zustand hat sich in den letzten Jahren nichts geändert.

Die Bundesbank warnte zuletzt im Frühjahr vor „markanten Preisübertreibungen auf den städtischen Wohnungsmärkten“. Gibt es tatsächlich eine Immobilienblase in Deutschland?

Vornholz: Die Frage lautet: Steigen die Preise stärker als fundamental gerechtfertigt? Bevölkerungs- und Einkommenszuwachs in Städten und die zugleich sinkenden Zinsen haben zu steigenden Preisen geführt. Spekulative Übertreibungen sehe ich nicht. Mit der Situation in den USA vor 15 Jahren ist das nicht zu vergleichen.

Grall: Wir verfügen über ein umfassendes Research in den Metropolen, in denen wir investiert sind. Wir gehen dabei sehr ins Detail und schauen uns die Entwicklung in den jeweiligen Straßenzügen an. Es gibt lageabhängig klare Preisüberhitzungen aber eine generelle Blase ist nicht zu erkennen. Schließlich ist das Angebot immer noch viel zu gering. In den Metropolen kann gar nicht so viel gebaut werden, um die Nachfrage zu decken. Die Preise werden also weiter steigen. Hinzu kommt: Wir sind eine Erben-Generation. Viele Milliarden Euro werden jedes Jahr vererbt. Das bedeutet zusätzliche Liquidität für den Markt, die auf günstige Zinsen trifft. Der Sachwert Immobilie stellt eine der attraktivsten Anlagealternativen dar.

Reinitzhuber: Ich gehe davon aus, dass die Wohnimmobilienpreise stabil bleiben und durchaus noch steigen können. Dafür gibt es drei Gründe: Die vernünftigen Finanzierungsstrukturen mit 20 Prozent und mehr Eigenkapital. Zweitens werden die Zinsen niedrig bleiben und der dritte Aspekt ist die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Wir werden ein starkes Wachstum sehen. Das stützt die Immobilienmärkte.

Gilt das auch für das Marktsegment, in dem Carestone aktiv ist: die Pflegeimmobilien?

Reinitzhuber: Ja. Der Nachfrageüberhang ist bei Pflegeimmobilien allerdings noch deutlich größer. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung werden wir 300.000 zusätzliche Pflegeplätze in den nächsten zehn Jahren brauchen. Pro Jahr müssten 400 Pflegeimmobilien neu errichtet werden. Gebaut werden jedoch nur 200 bis 250.

Welche Folgen hat die Coronapandemie? Sind beispielsweise ländliche Gebiete durch die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten attraktiver geworden?

Vornholz: Unabhängig von Corona führen die hohen Preise dazu, dass die Zuwanderung in die Metropolen seit etwa 2015 abnimmt. In Berlin beispielsweise ziehen die Menschen verstärkt ins Umland. In der Wanderungsstatistik lassen sich deutliche Effekte ablesen. Für die Kaufpreise hat das bislang noch keine Konsequenzen, weil sie hauptsächlich aus dem Anlagedruck resultieren. Die Mietsteigerungen gehen jedoch seit drei Jahren ständig zurück. Auf der einen Seite werden viele Wohnungen gebaut, auf der anderen Seite steigt die Nachfrage weniger stark an. Ich erwarte, dass dieser zyklische Effekt sich weiter fortsetzen wird.

Grall: Dem kann ich nicht ganz zustimmen. Wir gehen davon aus, dass die Trends der vergangenen zwölf Jahre anhalten werden. Bis 2050 wird sich sehr viel in den Speckgürteln der Städte – also etwa in einem Umkreis von 100 Kilometern – abspielen, aber nicht auf dem Land. Eine Mischung aus Homeoffice und Büroarbeit wird das zusätzlich verstärken.

Bauen wird immer teurer: Ein Quadratmeter Bauland kostet heute doppelt so viel wie im Jahr 2010. Gleichzeitig sind die Baukosten in der vergangenen Dekade um knapp 30 Prozent gestiegen, auch weil Baumaterial teurer geworden ist. Welche Folgen hat das?

Reinitzhuber: In den vergangenen zwei Jahren sind die Immobilienpreise deutschlandweit jeweils um etwa sieben Prozent gestiegen. Wir haben derzeit 35 aktive Baustellen und können die Entwicklung der Baupreise sehr genau beobachten. Bis Mitte 2020 haben auch die Baupreise um sieben Prozent pro Jahr angezogen. Der Anstieg der Immobilienpreise ist also durch den Anstieg der Baupreise gerechtfertigt. Bei einzelnen Materialien gab es zwar deutliche Preiserhöhungen: Baustahl etwa ist doppelt so teuer wie vor einem Jahr. Der Holzpreis ist aber schon wieder deutlich zurückgegangen. Unterm Strich dürften sich die Baupreise ähnlich moderat entwickeln wie die Immobilienpreise.

Grall: Wir entwickeln aktuell rund 130 Immobilien in ganz Deutschland und können uns somit ein sehr umfassendes Bild zum aktuellen Marktgeschehen machen. Alle Lieferanten haben uns bestätigt: Die gestiegenen Materialpreise sind ein kurzfristiges Phänomen. In den nächsten sechs Monaten dürften sich die Materialkosten wieder weitgehend normalisiert haben.

In Deutschland liegt die Inflation momentan bei fast vier Prozent. Heizt die Angst vor einer Geldentwertung die Nachfrage zusätzlich an?

Grall: Ja, das ist ein starker zusätzlicher Treiber. Menschen, die ihr hart erarbeitetes Kapital anlegen wollen, suchen nach einem stabilen Hafen. Und diesen Ruf genießt vor allem die Wohnimmobilie als Sachwert seit Langem.

Für Immobilienanleger gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Welches Risiko-Rendite-Profil haben die unterschiedlichen Immobilien-Anlagen?

Vornholz: Publikumsfonds sind eine relativ sichere Anlage. Die Rendite fällt mit etwa zwei Prozent aber eher gering aus. Crowdfunding-Anbieter versprechen auf ihren Plattformen Rendite von fünf bis sechs Prozent. Sie legen aber oft nicht so klar dar, dass damit auch ein deutlich höheres Risiko verbunden ist. In diesem Bereich gab es auch schon erste Insolvenzfälle. Generell waren Wohnimmobilien durch die Preissteigerungen in den vergangenen zwölf Jahren ein äußerst vorteilhafter Bereich. Bei Büroimmobilien lassen sich seit etwa zwei Jahren leichte und bei Einzelhandelsimmobilien stärkere Preisrückgänge beobachten. Es ist keinesfalls so, dass die Preise immer nur steigen. Immobilienmärkte sind zyklische Märkte.

Welche Megatrends werden die Immobilienmärkte in Zukunft prägen?

Reinitzhuber: ESG – also neben der ökologischen auch die soziale Nachhaltigkeit und die Governance, also die verlässlichen Strukturen eines Unternehmens – wird das entscheidende Thema für die Immobilienbranche in den kommenden Jahren sein. Außerhalb von Wohngebäuden ist das Thema Zertifizierung schon weit fortgeschritten. Wir wollen einen Standard für Pflegeimmobilien setzen. Daneben muss unser Unternehmen als Ganzes seine Strukturen transparent machen. Wir lassen gerade ein ESG-Rating erstellen. Das wird in den nächsten Jahren zum Standard werden.

Grall: Das Thema ESG beschäftigt uns bereits seit 2016 sehr intensiv. Zusätzlich bietet die Digitalisierung enorme Möglichkeiten, um beispielsweise Genehmigungsverfahren und Prozesse bei Kommunen und Städten zu beschleunigen. Auch die steigende Nachfrage nach Smart Home wird den Markt der Zukunft prägen. Ein weiterer Megatrend ist die Quartiersentwicklung. Die Stadtbilder werden sich verändern: Wohnen, Arbeiten und Grünflächen werden näher zusammenrücken.

 

23.09.2021    Martin Hintze
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