Eine Kollage von Wörtern run um das Thema Versicherung
02.01.2020    Markus Deselaers
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Vor knapp zwei Jahren wurde das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) eingeführt, das der betrieblichen Altersversorgung (bAV) neuen Schwung verleihen soll. Das Gesetz erlaubt für Tarifpartner neue Sozialpartnermodelle, bei denen der Arbeitgeber nicht mehr für die Rentenleistungen garantieren muss. Dadurch erhöhen sich die Chancen auf bessere Kapitalerträge und höhere Rentenzahlungen. Insbesondere aber auch kleinere und mittelständische Unternehmen sollten von der Reform profitieren. Zeit für eine Zwischenbilanz: DUB UNTERNEHMER bat fünf Experten zum Gespräch.

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Lars Golatka

ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Pensionsfonds AG, eines Joint Ventures von Deutscher Bank und Zurich Gruppe Deutschland

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Jan Rabe

ist Director
ESG Strategy & Integration im Sustainable Investment Office von Metzler Asset Management

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Fabian von Löbbecke

ist Vorstandsvorsitzender von HDI Pensionsmanagement und im Vorstand der HDI Lebensversicherung AG für bAV verantwortlich

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Dr. Johannes Georg

ist CEO bei penseo. Das Unternehmen berät Firmen und Vermittler zur bAV und entwickelt digitale Tools

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Bernhard Rapp

ist Direktor Marketing & Produktmanagement und stellvertretender Niederlassungsleiter Deutschland bei Canada Life

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Lange herrschte an der bAV-Front beim Sozialpartnermodell Funkstille, jetzt haben Talanx und Zurich einen entscheidenden Schritt gemeldet. Was hat es damit auf sich?

Fabian von Löbbecke: Der Talanx-Konzern hat als erster Arbeitgeber in Deutschland entschieden, dass er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Sozialpartnermodell zur Verfügung stellen will. Zu diesem Zweck planen wir, einen Haustarifvertrag abzuschließen. Wir merken, dass die Botschaft bei den Tarifpartnern ankommt: Sicherheit braucht keine Garantie. Man kann nachweisen, dass bei lang laufenden Kapitalmarktszenarien das Verlustrisiko auf ein Minimum sinkt, während die Wahrscheinlichkeit für eine höhere Rentenzahlung stark steigt. Wir haben berechnet, dass die Startrente beim Sozialpartnermodell mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit höher ausfällt als bei traditionellen bAV-Lösungen mit Garantie.

Lars Golatka: Hinzu kommt, dass das kollektive Sparmodell bei der Kapitalanlage für zusätzliche Sicherheit sorgt – was ebenfalls wissenschaftlich belegt ist. Unsere Gespräche mit den Gewerkschaften waren unter anderem auch deshalb so erfolgreich, weil wir bei der Konsortiallösung bei „Die Deutsche Betriebsrente“ mit HDI und Zurich nicht nur einen, sondern zwei Risikoträger vorweisen. Das sorgt für noch mehr Vertrauen. Das heißt: Der Durchbruch ist da, der Weg ist bereitet. Und jetzt plant auch der Konsortialführer Zurich – sobald die Gewerkschaft Verdi bereit ist – mit einem zweiten Sozialpartner-Vertrag nachzuziehen.

Wenn wir den Fokus auch auf die kleineren mittelständischen Unternehmen aufweiten: Welches Hauptargument spricht dafür, eine bAV einzuführen?

Johannes Georg: Ich denke, dass die Mitarbeitergewinnung und -bindung eins der stärksten Argumente für Betriebsrenten ist, deren Bedeutung in Zukunft noch zulegen wird. Das gilt gerade auch für Wachstumsbranchen wie IT oder Hochtechnologie. Dort ist der War for Talents bereits voll entbrannt. Wir sehen die Einführung des BRSG hier als Initialzündung: Seit vergangenem Jahr bekommen wir verstärkt Anfragen von Unternehmen, die ihre bAV neu aufsetzen möchten – und zwar übersichtlich und digital.

Bernhard Rapp: Das ist auch unsere Beobachtung. Der bAV-Berater braucht heute dringend digitalen Support, denn die Produkte sind komplexer und erklärungsbedürftiger als früher. Die alte Beratungswelt mit Zetteln und Excel-Sheets – das passt alles nicht mehr in die Zeit. Klar ist aber auch: Der bAV-Berater übernimmt weiter eine ganz wichtige Rolle, denn der Unternehmer und seine Mitarbeiter wären heillos überfordert, beim Thema Betriebsrente alles auf Anhieb verstehen zu wollen. Den persönlichen Ratschlag eines unabhängigen Finanzdienstleisters halte ich bei der Entscheidung für eine bAV für elementar.

Wie individuell lässt sich heute eine bAV an ein Unternehmensprofil anpassen?

Jan Rabe: Das ist sogar sehr individuell möglich. Wir lösen das über unterschiedliche Modellportfoliostrategien im Aktien-, Renten- oder Multi-Asset-Bereich. Dort lassen sich Aspekte der nachhaltigen Kapitalanlage modular mit konventionellen Ansätzen kombinieren. Obligatorisch ist hierbei unser Basis-Nachhaltigkeitskonzept, mit welchem wir gewährleisten, dass Unternehmen, die mit schwersten Kontroversen belastet sind, von einem Investitionsprozess ausgeschlossen werden. Dem alten Vorurteil, dass nachhaltig zu investieren Rendite kostet und keine Vorteile bringt, müssen wir entschieden begegnen. Denn das Gegenteil ist richtig: Der Nachhaltigkeitsansatz hilft uns, Renditen zu steigern, Risiken zu senken und den Umschlag im Portfolio zu reduzieren, was wiederum die Transaktionskosten minimiert.

von Löbbecke: Einerseits muss eine bAV-Lösung immer für ein Unternehmen maßgeschneidert sein – andererseits sollte sie so einheitlich strukturiert sein, dass die Vertragslandschaft übersichtlich und für das Personalwesen leicht zu verwalten bleibt. Und eins möchte ich zusätzlich unterstreichen: Traditionelle bAV-Lösungen mit Garantien haben meines Erachtens Zukunft. Sie sind für sicherheitsorientierte Arbeitnehmer und für nicht tarifgebundene Unternehmen weiter erste Wahl. Wer eine höhere Rente anstrebt und es tolerieren kann, dass sich die Rentenhöhe in gewissen Bandbreiten verändern kann, für den ist das Sozialpartnermodell eine sinnvolle Ergänzung. Als Faustregel kann gelten: Die klassische bAV steht für Sicherheit, das Sozialpartnermodell für Chance mit kalkuliertem Risiko.

Golatka: Da haben Sie recht. Aber oft gehen heute die Erwartungen an der Realität vorbei. Auch beim Abschluss einer Garantierente wollen eigentlich alle später eine Rente mit Überschüssen bekommen – und wären enttäuscht, wenn das zu gegebener Zeit auf etwas anderes hinausläuft. So würde ich mir wünschen, dass durch die Beschäftigung mit dem Sozialpartnermodell auf Ebene der Politik und der Sozialpartner ein positiver Druck in der Öffentlichkeit entsteht, sich mit den neuen bAV-Modellen ohne Garantien auseinanderzusetzen. Natürlich sollte aber kein Ausschlussprinzip herrschen: eine traditionelle fondsgebundene Direktversicherung mit einem Garantielevel kann auch optimal passen. Warum aber sollte man hier die Wahlmöglichkeiten vorenthalten?

Wären eigentlich auch Mischformen aus der alten und der neuen bAV-Welt vorstellbar?

Rapp: Wir müssen dabei bedenken, dass der Gesetzgeber bei den traditionellen bAV-Lösungen eine harte Garantieleistung vorgeschrieben hat. So haben wir heute auf der einen Seite die garantierte, traditionelle bAV und auf der anderen Seite das Sozialpartnermodell ohne jegliche Garantie. Dazwischen gibt es so richtig nichts. Hier sollte die Politik Klarheit schaffen und einen vernünftigen Mittelweg aufzeigen, damit der Kunde eben nicht nur zwischen Schwarz und Weiß wählen kann. Wobei es aber auch heute schon Möglichkeiten gibt, die garantierte Sicherheit und Rendite gut vereinbaren können: Die Canada Life hat eine bAV-Lösung mit endfälliger Garantie konzipiert, was zum Vorteil der erzielbaren Rendite ist.

Rabe: Wir sollten aber grundsätzlich auf die strukturellen Marktrisiken schauen. Solange die Zentralbanken massiv intervenieren und signifikante Strukturreformen fehlen, bleiben Überkapazitäten in vielen Industriesektoren bestehen. Eine natürliche Bereinigung findet nicht mehr statt und erschwert somit Preissteigerungen an den Märkten. Wir laufen damit Gefahr, in einem Niedrigzinsumfeld zu bleiben. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dies nicht ändert – und in Zukunft durchaus größere Ausmaße annimmt. Das hieße, dass wir uns von Garantien traditioneller Natur irgendwann komplett verabschieden müssen.

Themenwechsel: Man kann bAV mit anderen Vorsorgeinstrumenten kombinieren, etwa mit einer Berufsunfähigkeitsabsicherung. Ein wichtiger Punkt?

Golatka: Ja. Zurich hat gemeinsam mit der Universität Oxford eine Studie herausgebracht, die aufzeigt, welche Lücken weltweit bei der Absicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit bestehen. Deutschland schneidet hier vergleichsweise schlecht ab. Natürlich ist Berufsunfähigkeit kein angenehmes und ein oft verdrängtes Thema – die Integration in die Kollektivvorsorge gibt aber eine Chance an die Hand, die Vorsorgesituation deutlich zu verbessern. Das passt auch in das Konzept vieler Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter lange binden wollen. Diese zahlen nicht nur 15 Prozent Arbeitgeberzuschuss, sondern gelegent-
lich auch deutlich mehr – hier wäre auch ein Ansatz, die Berufsunfähigkeitsvorsorge zu berücksichtigen. Denn wenn man sich nicht frühzeitig gekümmert hat, wird es auf privater Ebene nahezu unmöglich, diese Absicherung zu bekommen.

Spielen diese kombinierten Produkte bei den bAV-Digitalprogrammen schon eine größere Rolle?

Georg: Nein, das ist noch nicht der Fall. Bei uns sind die betriebliche Krankenversicherung und die betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung in der Regel separate Produkte und einzelne Bausteine komplexer Versorgungssysteme. Eine kompetente Arbeitgeberberatung ist sehr individuell, die kann man vergleichsweise wenig digitalisieren. Bei der Beratung der Arbeitnehmer können digitale Tools dagegen sehr gute Dienste leisten. Ein Chatbot kann etwa erklären, wie die grundsätzliche Mechanik der bAV-Lösung funktioniert und welches Produkt dahintersteht. Wir betreuen viele Unternehmen mit Filialgeschäft, die ihre Mitarbeiter nicht einfach während der Arbeitszeit für Einzelberatungen abstellen können. Unser Chatbot wird vor allem zwischen 18 und 20 Uhr, also zu Hause, genutzt. Das ist ein Beispiel für das Potenzial digitaler Ansätze in der Arbeitnehmerberatung.

Das neue Gesetz hat unter anderem auch die Bedingungen für Riester-Renten innerhalb der bAV neu geregelt. Ein relevantes Thema?

von Löbbecke: Auf jeden Fall. Früher war eine Riester-Lösung in der bAV durch die Doppelverbeitragung nicht attraktiv: Es fielen nicht nur in der Anwartschaftsphase Sozialversicherungsbeiträge an, sondern auch in der Leistungsphase. Das BRSG hat das verändert. Seitdem ist Riester im Rahmen der bAV für viele Arbeitnehmer die lohnendste Förderart. Der große Vorteil: In Phasen längerer Krankheit, in der Elternzeit oder bei vorübergehender Arbeitslosigkeit, wenn die steuerfreie Entgeltumwandlung nicht in Betracht kommt, kann der Kunde die Riester-Förderung in Anspruch nehmen. Wenn der Sparer jederzeit Förderung kassiert, kommen im Laufe eines Lebens hohe Beträge zusammen. Oder umgekehrt formuliert: Werden Arbeitnehmer im Rahmen der bAV-Beratung nicht auf die Riester-Lösung angesprochen, können ihnen bis zur Rente bis zu 20.000 Euro Förderung entgehen. Es ist ja kein Zufall, dass Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, allen Mitarbeitern, die Anspruch auf Entgeltumwandlung haben, auch die Riester-Förderung anzubieten. Beide Pflichten lassen sich auf einen Schlag erfüllen: mit Direktversicherungen, die den flexiblen Wechsel zwischen beiden Förderarten ermöglichen.

Bei der Konzeption der Riester-Rente war seinerzeit geplant, Nachhaltigkeitskriterien zwingend mit abzudecken. Davon war man dann abgekommen, heute ist das Thema aber wieder sehr präsent. Wird Nachhaltigkeit uns jetzt nachhaltig beschäftigen?

Rabe: Ja, ganz bestimmt. Im Prinzip ging der Impuls ursprünglich von den Kirchen aus, die sich des Themas schon immer durch ihre Werte- und Normenkonzepte angenommen haben. Im Asset-Management wächst eine breitere Basis für die Nachhaltigkeitsorientierung seit den 1990er-Jahren. Die Global Sustainable Investment Alliance bringt alle zwei Jahre eine Umfrage heraus, die alle Vermögensgegenstände weltweit zusammenfasst, die unter nachhaltigen Gesichtspunkten investiert werden. Zu Anfang der 2000er-Jahre betrug dieser Anteil nur knapp über null Prozent. Aktuell liegen wir bereits bei knapp 30 Prozent. Es ist zu erwarten, dass sich dies über die kommenden zehn bis 15 Jahre auf 100 Prozent zubewegt. Wir glauben, dass dies so an den Kapitalmärkten noch nicht eingepreist ist – ein Szenario, für welches es sich also lohnen sollte sich zu positionieren.

Georg: Insbesondere bei Unternehmen mit einer jungen Belegschaft sehen wir eine hohe Affinität für das Thema Nachhaltigkeit. Dort zahlt sich ein breites Engagement für Nachhaltigkeit definitiv aus. Ich kann Arbeitgebern deshalb nur eines empfehlen: Binden Sie Ihre Belegschaft aktiv in die Wahl eines bAV-Produkts mit ein und fragen Sie, ob und wie Nachhaltigkeit für die Mitarbeiter eine wichtige Rolle spielt. Das erhöht die Akzeptanz.

Zurück auf die Ebene der Regulierung: Sehen Sie weiteren Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers, die Bedingungen der bAV hierzulande zu verbessern?

Rapp: Ein Ansatz wäre, die Vorsorge noch einfacher zu konzipieren. Der Amerikaner oder der Engländer belächelt uns sicherlich, wie kompliziert wir das alles machen. Man braucht nicht fünferlei Durchführungswege mit unterschiedlichen versteuerungs- und arbeitsrechtlichen Systemen. Das schreckt eher ab. Und wie wollen wir es ansonsten schaffen, mehr Menschen in die betriebliche Vorsorge zu bringen?

Das gilt wohl auch für die angesprochene Arbeitskraftabsicherung.

Rapp: Ja. Wenn in der betrieblichen Vorsorge alles zu kompliziert gestaltet ist, besteht die Gefahr, dass am Schluss kaum ein Kunde abschließt – obwohl eigentlich klar ist, dass fast jeder dies tun sollte. In der Dreiteilung von gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge spielt die bAV eine ganz wichtige Rolle.

von Löbbecke: Ich finde, wir sollten aber auch einmal deutlich adressieren, dass der Gesetzgeber mit dem BRSG einiges richtig gemacht hat. Zu nennen sind hier zum Beispiel der bereits erwähnte 15-prozentige obligatorische Arbeitgeberzuschuss oder die Geringverdienerförderung. Aktuell plant die Große Koalition, die bAV weiter zu stärken. Die Abgabenlast auf Betriebsrenten soll sinken, die Geringverdienerförderung soll verdoppelt werden. Das ist ein Fortschritt im Kampf gegen Altersarmut. Wichtig ist, dass diese Pläne jetzt schnell in Gesetzesform verabschiedet werden.

Ein weiteres offenes Thema ist die Portabilität, also die Mitnahmemöglichkeit der bAV bei einem Arbeitgeberwechsel. Kann hier die Digitalisierung unter anderem über Datentransparenz unterstützen?

Georg: Definitiv, das kann sie. Und das ist meines Erachtens auch dringend notwendig. Schaut man sich die heutigen Erwerbsbiografien an, muss man das Thema Portabilität völlig neu denken. Denn die Sorgen um eine eingeschränkte Portabilität hält noch zu viele Arbeitnehmer ab, eine betriebliche Altersversorgung in Anspruch zu nehmen. Außerdem können sich Arbeitgeber über gute Vorsorgeleistungen viel nachhaltiger differenzieren.

Einige politische Kreise diskutieren nach wie vor Alternativen zur bAV, zum Beispiel die „Deutschlandrente“. Was halten Sie davon?

Golatka: Ich finde die „Deutschlandrente“ hochproblematisch, die staatlich organisiert unter anderem über Aktieninvestments eine kapitalmarktorientierte Vorsorge anbieten will – und das ohne kollektiven Ausgleich. Eine solche Anlage ohne Beratung zu verkaufen wäre zudem etwas, wofür jeder Bank- oder Versicherungsberater eine Klage einheimsen würde. Viel sinnvoller wäre es, Lösungen zu finden, sodass auch kleine und mittelständische Unternehmen ein bestehendes Sozialpartnermodell nutzen können.

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