Illustration von zwei Menschen die am Strand sitzen und von einer Glaskugel umhüllt sind
18.05.2021    Miriam Rönnau
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Zur Person

Porträt von Christine Chalupa

Christine Chalupa

ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei Wittig Ünalp.

Zu ihren Schwerpunkten im Arbeitsrecht gehören Kündigungsschutzverfahren, Massenentlassungen, das Personalvertretungsrecht, Erarbeiten von Betriebs- und Dienstvereinbarungen, Führen von Verhandlungsgespräche sowie die Erstellung von Arbeitsverträgen.

Rund 2,85 Millionen Menschen in Deutschland beziehen aktuell Kurzarbeitergeld, etliche Beschäftigte sind bei „Kurzarbeit Null“. Welche Auswirkungen hat die Zwangspause auf Urlaubstage?

Christine Chalupa: Urlaub in vollem Umfang steht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland nur zu, wenn diese durchgängig beschäftigt werden. Eine durchgängige Beschäftigung liegt nach der derzeitigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte nicht vor, wenn sich Beschäftigte in der passiven Phase der Altersteilzeit, in einem Sabbatical oder eben in Kurzarbeit befinden. Grund: Beschäftigte benötigen nur dann eine Erholung, wenn die Tätigkeit auch erbracht wird. Eine Ausnahme ist die Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit, weil man sich dann eben nicht erholen kann. Im Vordergrund steht also nicht das Geld, was man für die „Freizeit“ erhält, sondern die Erholung, die aus Arbeitsschutzgründen notwendig ist. Daher haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entschädigung in Geld für gekürzten Urlaub. Vereinbart ist daher nicht, dass für einen gewissen Zeitraum Entgelt erhalten wird, ohne Arbeit leisten zu müssen. Vereinbart ist, dass Beschäftigten ein Freizeitanspruch zusteht, der zu vergüten ist; sie also nicht die geschuldete Arbeit erbringen müssen, aber dennoch Entgelt erhalten. Dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während der Kurzarbeit weniger Geld erhalten als bei voller Beschäftigung stellt auch keinen Nachteil dar, denn die Urlaubskürzung erfolgt nicht im selben Umfang wie Kurzarbeit gewährt wurde, sondern nur anteilig. Zudem werden während der Kurzarbeit weiter Sozialversicherungsabgaben gezahlt, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen also nicht arbeiten und sind trotzdem weiterhin krankenversichert und zahlen in die Rente ein.

Bei „Kurzarbeit Null“ wird häufig erwartet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter flexibel bleiben und bei Bedarf jederzeit wieder in den Arbeitsalltag einsteigen. Erholungsurlaub oder Kurztrips zu Eltern oder Freunden gestalten sich somit schwierig. Was legitimiert also die Diskussion um Kurzarbeit und die Reduzierung von Urlaubsanspruch, wenn Beschäftigte dennoch eingeschränkt sind?

Chalupa: Zutreffend ist, dass Unternehmen Beschäftigte auch kurzfristig zur Arbeit heranziehen können, wenn der Arbeitsbedarf wieder vorhanden ist. Sie sind sogar gesetzlich dazu verpflichtet, da ansonsten die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld nicht mehr gegeben sind. Der Grund für die Kürzung von Urlaub während der Kurzarbeit ist aber nicht, dass man während der Kurzarbeit theoretisch schon Urlaub nimmt oder sich im Urlaub befindet.

Sondern?

Chalupa: Der Grund für die Kürzung ist vielmehr, dass man dann, wenn man sich in Kurzarbeit befindet, gar keine Arbeitsleistung erbringt und daher auch keine Erholung von der Arbeit braucht. An dem Tag, an dem Kurzarbeit besteht, können Angestellte ihre Freizeit gestalten, wie sie es möchten. Sie müssen sich nicht am selben Tag zur Arbeit bereithalten. Oft wissen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allerdings auch, ob sie am nächsten Tag zur Arbeit erscheinen müssen oder nicht. Dies ist etwa im Einzelhandel in der aktuellen Pandemie der Fall. Die Entscheidungen der Politik werden zwar recht kurzfristig getroffen, meist aber mit einer Vorlaufzeit von ein paar Tagen bis hin zu einer Woche.

Welche Auswirkungen hat ein reduzierter Urlaubsanspruch auf tariflich oder arbeitsvertraglich geregeltes Urlaubsgeld?

Chalupa: Das hängt von der Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag ab. Sehr häufig wird im Arbeitsvertrag geregelt, dass ein Urlaubsgeld gezahlt wird, ohne dass dies davon abhängig ist, ob Urlaub genommen wird oder nicht, also eine sogenannte urlaubsunabhängige Sonderzahlung. Gibt es keine Regelung dazu, dass Urlaubsgeld nur für der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubstage gewährt wird, kann das Urlaubsgeld nicht gekürzt werden, wenn wegen Kurzarbeit weniger Urlaub gewährt wird. Wird das Urlaubsgeld aber von der Höhe der Bruttomonatsvergütung abhängig gemacht, kann sich die verringerte Kurzarbeitervergütung auf die Höhe des Anspruchs auf Urlaubsgeld auswirken. Sieht ein Arbeits- oder Tarifvertrag hingegen ein Urlaubsgeld nur für solche Urlaubstage vor, die tatsächlich genommen werden beziehungsweise den Angestellten tatsächlich zustehen, dann kann eine Kürzung des Urlaubes bei Kurzarbeit sich auch auf das Urlaubsgeld auswirken.

Haben Sie als Rechtsanwältin bereits einen Fall in Bezug auf Kurzarbeit und Urlaub vor Gericht vertreten und wenn ja, worum ging es?

Chalupa: Bislang haben wir nur einmal einen Fall vor Gericht wegen Urlaubskürzung aufgrund von Kurzarbeit vertreten. Dies war vor dem Arbeitsgericht München. Der Vorsitzende hat die Meinung geäußert, dass das Bundesarbeitsgericht sich zu Gunsten des Beschäftigten aussprechen und entweder direkt das Entstehen des Urlaubsanspruchs während der Kurzarbeit verneinen oder aber eine Kürzungsmöglichkeit für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vorsehen wird. Der Fall wurde nicht entschieden, da man sich aufgrund dieser Äußerung gütlich geeinigt hat.

Am 16. März 2020 erleichterte die Bundesregierung den Zugang zum Kurzarbeitergeld rückwirkend zum 1. März. Viele Unternehmen haben von dem Angebot gebraucht gemacht und ihre Mitarbeitenden um Einverständnis gebeten. Denn: Kurzarbeit kann nie einseitig durch das Unternehmen angeordnet werden. Am 16. September 2020 hat das Bundeskabinett dann eine Verlängerung der Kurzarbeit bis Ende 2021 eingeführt. Doch als die Beschäftigten ihr Einverständnis gaben, haben sie sicher nicht mit einem derart langen Zeitraum in Kurzarbeit gerechnet. Können Sie ihr Einverständnis jetzt noch zurückziehen?

Chalupa: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ein einmal erteiltes Einverständnis zu einer Kurzarbeitsvereinbarung nicht widerrufen. Allerdings sind viele Vereinbarungen über die Einführung von Kurzarbeit unwirksam, so dass es eventuell über diesen Weg möglich sein könnte, der weiteren Anordnung von Kurzarbeit widersprechen zu können. Grundsätzlich sieht das Sozialgesetzbuch vor, dass Kurzarbeitergeld nur für zwölf Kalendermonate gewährt wird. Damit ist auch die Dauer der Einführung von Kurzarbeit für Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer auf zwölf Kalendermonate begrenzt.

Gilt das auch in der aktuellen Situation?

Chalupa: Nein, die Bundesregierung hat aufgrund der aktuellen Pandemie die Regelungen zum Kurzarbeitergeld geändert und eine Verlängerung auf bis zu 24 Kalendermonate, längstens jedoch bis zum 31.12.2021 erlaubt. Hier zeigt sich, dass den Beschäftigten nicht immer bei Abschluss der Kurzarbeitsvereinbarung bewusst ist, wie lange der Bezug von Kurzarbeitergeld andauern wird. Aus diesem Grund mehren sich die Stimmen in der Fachliteratur, dass eine Kurzarbeitervereinbarung nur dann wirksam ist, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber einen bestimmten Zeitraum für die Möglichkeit der Anordnung von Kurzarbeit vorgeben. Die Rechtsprechung hat hierzu bislang noch keine einheitliche und eindeutige Entscheidung getroffen, denn vielfach waren Vereinbarungen aus anderen Gründen unwirksam. Das LAG Berlin-Brandenburg aber hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 gefordert, dass Umfang und Ausmaß der Kurzarbeit begrenzt werden muss, um eine wirksame Vereinbarung zu schaffen. Wie konkret das erfolgen muss, wurde bislang aber noch nicht entschieden.

Im Übrigen gilt aber, was aktuell wieder durch eine Arbeitsgerichtsentscheidung deutlich geworden ist, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Kurzarbeit auch über eine – im Zweifel sogar fristlose – Änderungskündigung einführen können, wenn Angestellte die Vereinbarung nicht freiwillig unterzeichnen, die Einführung von Kurzarbeit aber wegen Arbeitsausfall und Umsatzeinbußen notwendig ist. Gerade in Branchen, in denen wegen des Lockdowns seit langer Zeit keine Arbeit mehr anfällt, würde es den Beschäftigten im Zweifel nicht helfen, Kurzarbeit zu verweigern. Die Bundesregierung hat die Nachteile, die aufgrund der Verlängerung der Kurzarbeitsdauer entstehen, daher auch durch eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes versucht auszugleichen.

Haben Sie sich schon mit Fällen auseinandergesetzt, in denen Unternehmen die Kurzarbeit ausgenutzt haben?

Chalupa: Wir selbst hatten bislang noch keinen derartigen Fall. Denn entweder waren die Unternehmen wirklich von der Krise betroffen und mussten zwangsweise Kurzarbeit anordnen um die Pandemie wirtschaftlich zu überstehen oder aber waren in einer Branche, in der so viel zu tun war, dass überhaupt keine Kurzarbeit hätte angeordnet werden können. Es kam aber vor, dass die strengen Regelungen zur Kurzarbeit zu praktischen Herausforderungen führten. Das betraf etwa die Frage was passiert, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Arbeit eingeteilt waren, kurzfristig erkrankt sind oder anderweitig arbeitsunfähig wurden und andere dafür einspringen mussten. Unternehmen müssen dann für beide volles Gehalt zahlen, da für keinen Kurzarbeit angeordnet wurde. Wenn solche Probleme aber zu häufig auftreten, dann stellt das wirtschaftlich bereits sehr angeschlagene Unternehmen vor erhebliche finanzielle Bedrängnis.

Unternehmen, die wirklich die Pandemie und die vereinfachte Gewährung von Kurzarbeitergeld ausgenutzt haben, dürften spätestens bei der Nachkontrolle durch die Agentur für Arbeit mit empfindlichen Folgen rechnen. Die zu Beginn recht sporadischen Überprüfungen der Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld durch die Agentur für Arbeit werden derzeit auf den Prüfstand gestellt. Sieht die Agentur für Arbeit im Nachhinein keinen Grund für die Anordnung von Kurzarbeit oder wurden falsche Angaben gemacht, ist dies nicht nur bußgeldbewährt und die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen das Kurzarbeitergeld zurück zahlen. Auch die Beschäftigten haben dann einen Anspruch auf Erstattung der entgangenen Lohnzahlungen.

Gibt es Indizien, die auf Schummeleien hindeuten?

Chalupa: Ein Ausnutzen war an sich nur dann ersichtlich, wenn die Beschäftigten während der Kurzarbeit sogar Überstunden leisten mussten, weil sie ansonsten ihre Arbeit in der verkürzten Zeit gar nicht hätten schaffen können. Das ist bei der Arbeitnehmervertretung nicht selten aufgetreten. Hier gilt, dass sie die Leistung von Überstunden verweigern können, so dass die Arbeit nicht erledigt wird oder aber sie machen das volle Gehalt geltend, weil die Voraussetzungen für die Anordnung von Kurzarbeit gar nicht vorlagen. Hier stellt sich aber das gleiche Problem, wie auch sonst bei Missachtung der Arbeitsschutzregelungen durch Unternehmen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befürchten Sanktionen oder den Verlust des Arbeitsplatzes wenn sie ihre Rechte tatsächlich einklagen. Da hilft es auch nicht zu wissen, dass die Sanktionen oder die Kündigung unwirksam sind. In einem solch zerrütteten Arbeitsverhältnis arbeitet niemand gerne.

18.05.2021    Miriam Rönnau
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