Beim Investieren in Krisenzeiten bloß keine Panik haben
03.04.2022    Martin Hintze
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Schon Wochen dauert der Krieg in der Ukraine, als das Doppelinterview mit Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, und Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank, stattfindet. Die Börsen reagieren mit erheblichen Kursausschlägen. Wie sollten sich Anlegerinnen und Anleger in dieser Situation verhalten?

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Zur Person

Robert Halver von der Baader Bank

Robert Halver

ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank

Zur Person

Dr. Ulrich Stephan von der Deutschen Bank

Dr. Ulrich Stephan

ist Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank

Gilt auch für den grausamen Konflikt in der Ukraine der Spruch „Politische Börsen haben kurze Beine“ oder sehen Sie weitreichende Konsequenzen?

Robert Halver: Keine Frage: Das Unheil, für das dieser Krieg sorgt, ist extrem. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir dieses Problem längerfristig in den Griff bekommen – auch wenn noch niemand weiß, wie eine Lösung aussehen kann. Dass der russische Präsident Wladimir Putin zu Atomwaffen greift, halte ich für unwahrscheinlich. Und darauf setzt offensichtlich auch die Börse. Ja, die Kurse haben nachgegeben, aber von Chaos oder Panik kann bislang nicht die Rede sein. Die Marktteilnehmer honorieren, dass der Westen politisch wieder mehr zusammenrückt. Auch Deutschland ist bereit, für eine wehrhafte Demokratie Geld in die Hand zu nehmen, um Frieden und Freiheit zu verteidigen.

Ulrich Stephan: Den Krieg in der Ukraine kann man nur verurteilen. Er bringt unsägliches menschliches Leid, wir alle fühlen mit den Opfern. Die US-Börsen sind – Stand Ende März – wieder über dem Niveau, auf dem sie vor Ausbruch des Krieges standen. Das hängt damit zusammen, dass die Kurse an der Wall Street stärker durch die Inflation und die Geldpolitik der US-Notenbank Fed beeinflusst werden.

Weshalb ist das so? Der Krieg hat doch auch erhebliche wirtschaftliche Folgen.

Stephan: Die ökonomische Betroffenheit nimmt in konzentrischen Kreisen vom Mittelpunkt dieser Krise ab. Deswegen sind die USA weniger betroffen als wir Europäer. Im Rohstoffhandel zeichnen sich geopolitische Verschiebungen ab. Bislang war er durch den US-Dollar geprägt, Saudi-Arabien und China wollen nun in Yuan abrechnen. Insgesamt bin ich aber nicht zu pessimistisch für die Weltwirtschaft, auch wenn wir die Situation in der Ukraine im Blick behalten müssen. Das gilt übrigens auch für die Coronapandemie und die Lieferketten in China sowie nicht zuletzt für die Inflation und Zinsentscheidungen.

Rechnen Sie damit, dass der Krieg die Inflation weiter anheizen wird?

Stephan: Die Entwicklung der Energiepreise hängt stark davon ab, ob der Konflikt noch einmal eskaliert. Wenn die Europäer entscheiden, keine Energie aus Russland zu importieren, könnten wir sicher noch höhere Preise sehen. Dann würde auch die Inflation nochmals steigen. Zudem wird die Teuerungsrate auch von den Lohnabschlüssen beeinflusst. Allerdings signalisieren die Terminkontrakte für Öl und Gas momentan, dass die Preise in den nächsten Monaten wieder etwas sinken könnten. Insgesamt hoffe ich, dass langfristig auch die Inflation fällt.

Halver: Ich rechne ebenfalls damit, dass die Inflationsraten sinken, sie werden sich aber auf einem höheren Niveau einpendeln. Denn die Europäische Zentralbank, kurz EZB, ist nicht zu einer konsequenten Inflationsbekämpfung in der Lage. Viele Staaten in der Eurozone sind hoch verschuldet; sie können sich höhere Zinsen nicht leisten. Die EZB muss Militärausgaben zumindest indirekt durch Aufkäufe von Staatspapieren und günstige Zinsen finanzieren. Sie muss den Klimaschutz finanzieren, die Infrastruktur. Und ganz wichtig: Sie muss Europa zusammenhalten. Das heißt, die EZB ist eine politische Veranstaltung geworden, die nicht mehr getrennt von der Fiskalpolitik agiert. Notenbanken sind nicht mehr allmächtig, sondern ohnmächtig. Es ist wie bei der Geschichte vom Hasen und vom Igel: Der Hase ist die Notenbank, der Igel die Inflation.

Stimmen Sie dem zu?

Stephan: Was die EZB anbelangt wäre ich nicht ganz so pessimistisch. Sie dürfte das Anleihekaufprogramm im dritten Quartal auslaufen lassen. Möglicherweise wird sie gegen Jahresende zumindest die Einlagensätze etwas anheben. In den USA rechnet der Markt dagegen mit acht Zinsschritten. Die Fiskalpolitik wird definitiv an Bedeutung gewinnen, da stimme ich Herrn Halver zu. Der Recovery Fund in Europa greift erst ab diesem Jahr. Ein deutsches Entlastungspaket wegen der hohen Energiepreise ist schon beschlossen. Für die Versorgung der Geflüchteten tätigen auch privat Engagierte zusätzliche Ausgaben – die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt. Das alles sollte das Wachstum ein Stück weit anschieben.

Wie lautet Ihr Rat für die Anlegerinnen und Anleger in dieser schwierigen Situation?

Halver: Das Wichtigste ist, jetzt nicht in Panik zu verfallen. Man sollte sich aus lauter Angst nicht zurückziehen. Wer nicht auf Sachkapital setzt, kann seinem Geld dabei zuschauen, wie es jeden Tag an Wert verliert. Doch besonders am Aktienmarkt bieten sich immer Möglichkeiten. Schließlich gibt es auch Branchen, die von einer hohen Inflation profitieren. Güter des täglichen Bedarfs beispielsweise. Der US-Hightech-Sektor, der relativ kriegs- und konjunkturunabhängig ist. Nicht zu vergessen die Dividenden.

Stephan: Man kann lange diskutieren, welche Wirkungen die Inflation auf Umsätze oder Margen hat. Historisch gehören zyklische Werte zu den Profiteuren. Das sind Sektoren wie Energie, Finanzen, Grundstoffe oder Industrie. Diese Unternehmen brauchen wir für die grüne Revolution. Defensivere Werte dürften hingegen weniger gut laufen, also Telekommunikation, Versorger, Healthcare, Immobilien oder Einzelhandel. Ich rechne nicht damit, dass der Aktienmarkt insgesamt dramatisch steigen wird. Es dürfte vielmehr zu großen Bewegungen bei einzelnen Sektoren und Titeln kommen, sowohl auf der Anleihen- als auch auf der Aktienseite.

Welche Chancen sehen Sie bei Anleihen?

Halver: Zinssparen ist völlig unattraktiv – und das dürfte sich vorerst kaum ändern.

Stephan: Anleihen haben das Potenzial zu weiteren Kursverlusten, vor allem aufseiten der Staatsanleihen. Unternehmensanleihen sind einen Blick wert, wenn sich der Nebel etwas gelichtet hat – zumal die Fundamentaldaten gar nicht so schlecht aussehen.

Was taugt Gold als Inflationsschutz?

Halver: Ich denke, es ist eine sinnvolle Absicherung, bis zu zehn Prozent des liquiden Vermögens in Gold anzulegen. Auch wenn der Goldpreis zuletzt nicht so stark gestiegen ist, wie aufgrund der geopolitisch unsicheren Lage zu erwarten gewesen wäre.

Stephan: Ja, Gold als Absicherung kann sinnvoll sein. Zu den großen Performance-Treibern dürfte das Edelmetall aber nicht gehören.

Würden sie jetzt zu Kryptowährungen greifen?

Halver: Ich habe grundsätzlich nichts gegen Krypto-Assets wie Bitcoin oder Ethereum und bin ein großer Fan der zugrundeliegenden Blockchain-Technologie. Das kann man also gern mal mit ein paar Euro ausprobieren. Doch eine Alternative zu Aktien sind sie ganz sicher nicht, denn die Kursentwicklung lässt sich nicht ansatzweise vorhersagen.

03.04.2022    Martin Hintze
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