ein Graph zeigt Ab- und Aufwärtsbewegungen an einem Markt
14.05.2023
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Die Start-up-Wirtschaft erlebte in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung: Europäische Jungunternehmen sammelten alleine 2021 mehr als 100 Milliarden US-Dollar Investorengelder ein, legten einen erfolgreichen Börsengang nach dem anderen hin oder überholten die großen, etablierten Platzhirsche ihrer Branchen und wurden die neuen Branchenprimusse. Es herrschte Goldgräberstimmung.

Bei all den Erfolgsgeschichten stach die FinTech-Branche besonders hervor. Unternehmen wie Checkout.com, Adyen oder Klarna rüttelten an den tradierten Strukturen der Finanzbranche – und wurden zu den Lieblingen der Investierenden. Kein Start-up-Sektor sammelte in den vergangenen Jahren mehr Wagniskapital ein als die FinTech-Szene.

2022 – ein Jahr mit Höhen und Tiefen

Selbst als sich in der ersten Jahreshälfte 2022 die finanzielle Unsicherheit bemerkbar machte, sich ein wirtschaftlicher Abschwung anbahnte, die Inflation an Tempo aufnahm und Investierende dementsprechend vorsichtiger wurden, blieben FinTechs der am meisten unterstützte Sektor. Laut Zahlen des Risikokapitalgebers Atomico erhielten Finanz-Start-ups in Europa noch immer rund 28 Prozent des investierten Kapitals.

Dies änderte sich erst in der zweiten Jahreshälfte. Investierende wurden nicht nur vorsichtiger, sie stiegen mit dem Fuß auf die Bremse. Die Investments von Wagniskapitalgebern sackten im vierten Quartal 2022 ein – von 5,5 Milliarden Euro im vierten Quartal 2021 auf 1,8 Milliarden Euro im gleichen Zeitraum 2022. Das zeigen Auswertungen des französischen Wagniskapitalgebers BlackFin Tech.

Viele Beobachterinnen und Beobachter schauen – mit diesen Entwicklungen im Hinterkopf – also auf das aktuelle Jahr. Sie sehen die fragile Weltwirtschaft, in welcher sich Aufschwungshoffnung und Rezessionssorgen regelmäßig abwechseln. Sie lesen vom Crash der Silicon Valley Bank, einer Institution der Start-up-Welt. Und sie fragen sich: Wie geht es weiter mit der FinTech-Szene?

Die Ära der schwarzen Null

Zunächst einmal: Investierende bleiben weiterhin vorsichtig. Während der vergangenen Jahre herrschte eine große „fear of missing out“ – also die Angst, den nächsten großen Star zu verpassen. Es flossen immense Kapitalsummen in den Markt; Start-ups pumpten dieses Geld in großangelegte Wachstumskampagnen. Es entwickelte sich ein Verdrängungswettbewerb zwischen den Konkurrenten: Wer skaliert am schnellsten?

Viele FinTechs verfolgten dieses „Wachstum um jeden Preis“-Konzept; sie stellten Wachstum vor Profitabilität – in dem beruhigenden Wissen, dass sie relativ einfach an frisches Investorenkapital gelangen würden.

Aufgrund der neuen Vorsicht der Investierenden endete dieser laxe Umgang mit Kapital 2022. Stattdessen steht nun Kapitaleffizienz im Fokus. Unterstützt werden Start-ups, die schnell stabile Umsätze erwirtschaften und profitabel arbeiten. Somit hat gewissermaßen die Ära der schwarzen Null in der Start-up-Welt begonnen.

Kapitalreserven sind vorhanden

Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Zu der gehört nämlich auch: Wagniskapitalgeber sitzen auf großen Kapitalreserven.

Dieses sogenannte Dry Powder sind Gelder, welche die Venture Capitalists bereits in ihren Fonds gesammelt, aber noch nicht investiert haben. Damit die Risikokapitalfirmen für ihre Investierenden wiederum Gewinne erwirtschaften können, muss dieses Dry Powder innerhalb der Fonds-Laufzeit investiert werden.

Laut Atomico sitzen europäische Start-up-Finanzierer derzeit noch auf rund 80 Milliarden US-Dollar Kapital. Und dieses wird weiterhin in die Start-up-Branche fließen. Davon profitieren gerade FinTechs in Segmenten, die schnell und konstant Umsätze erwirtschaften können – beispielsweise der Bereich Software-as-a-Service – sowie, laut Bain Capital Ventures, B2B-FinTechs. Unternehmen, die lange mit einem großen Minus arbeiten – etwa forschungsintensive DeepTech-Start-ups – werden hingegen um Finanzierung kämpfen müssen.

Frühphasen-Start-ups profitieren

Allerdings: Profitieren werden wahrscheinlich vornehmlich Early-Stage-Start-ups – also relativ junge Unternehmen, die noch am Anfang ihres Lebenszyklus stehen. In diesen frühen Phasen sind die Investmentsummen einerseits kleiner, andererseits investieren Finanziers Start-ups zu dieser Zeit mit einem Investment-Horizont von bis zu zehn Jahren. Kurzfristige Krisen sind daher weniger relevant. In der Folge erreichten Early-Stage-Investments in europäische FinTechs 2022 einen Rekordanteil von 72 Prozent, wie der „State of FinTech 2022 Report“ von CB Insights zeigt.

Bei den Late-Stages sind die Investitionssummen hingegen für gewöhnlich deutlich höher, denn dort stehen die kapitalintensiven Wachstumsphasen an. Zudem erwarten die Investoren einen früheren Return on Investment – entweder durch einen Exit der Gründenden oder einen IPO.

Allerdings sind die Märkte für Mergers & Acquisitions und Börsengänge derzeit praktisch nicht existent. 2022 fanden in Europa gerade einmal zwei IPOs mit einer Marktkapitalisierung von über einer Milliarde US-Dollar statt; 2021 waren es 25. Leider hat sich dieser Abschwung auch 2023 bislang noch nicht umgekehrt.

Gerade die FinTech-Szene leidet unter dieser Situation. Der Wagniskapitalgeber Bain Capital Ventures analysierte die Wertentwicklung börsennotierter FinTechs und verglich diese im Report „The Fintech Formula“ mit dem S&P 500 sowie dem NASDAQ. Das Ergebnis: Die Index-Performance der FinTechs hat sich nicht nur schlechter entwickelt als die der S&P 500 und des NASDAQ, sondern liegt im Wert inzwischen darunter. Bain geht sogar so weit und sagt, dass FinTechs derzeit vom Markt „bestraft“ würden.

Kundinnen und Kunden erzwingen Umdenken beim Angebot

Doch nicht nur die Investierenden haben inzwischen andere Ansprüche an FinTechs. Auch die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden haben sich verändert. Während des Digitalisierungs-Booms der vergangenen Jahre waren Spezialisierungen en vogue. Unternehmen suchten nach Partnern, die hochspezifische Lösungen für einzelne Arbeitsschritte anbieten konnten – die quasi Meister ihres Fachs für die Buchhaltung, die Rechnungserstellung und -verwaltung, das Online-Banking und so weiter waren.

Doch 2022 wurde nicht nur die Wirtschaftslage für Start-ups angespannter, sondern auch für deren Kundinnen und Kunden. Sie müssen ihre Budget-Gürtel enger schnallen und haben ihren Tech Stack als Einsparpotenzial ausgemacht. Sie stellen sich nun die Frage, ob es wirklich zehn verschiedene Tools für die Verwaltung der Firmenfinanzen braucht. Oder könnte nicht eine All-in-one-Lösung alles abdecken?

Viele FinTechs müssen also umdenken und sich entscheiden: Soll ich das eigene Produkt in meiner Nische perfektionieren – oder mein Geld in ein breiteres Angebotsportfolio investieren?

Die Konsolidierungswelle rollt an

Entscheiden sie sich falsch, könnten sie in den Sog der anrollenden Konsolidierungswelle im FinTech-Markt geraten, welche die Szene 2024 treffen wird. Wobei festgehalten werden muss: Diese wird in der FinTech-Szene „sanfter“ ausfallen als in anderen Branchen. Denn die Finanzbranche war und ist ein relativ starres und rigides Gebilde. Große, traditionsreiche Player bewegen sich weiterhin in vielen Fällen langsam. Und das gibt schnellen, agilen FinTechs nach wie vor die Gelegenheit, mit fortschrittlichen und ausgeklügelten Lösungen ein Bedürfnis im Markt zu befriedigen.

Somit werden vor allen Dingen zwei Trends die Branche beeinflussen:

  • Kapitalstarke FinTechs werden versuchen, vom All-in-one-Bedürfnis der Kundinnen und Kunden zu profitieren oder diesem zuvorzukommen. Entsprechend werden sie finanzielle Ressourcen in die Weiterentwicklung und Diversifizierung ihres Produktportfolios stecken.
  • Weniger finanzstarke FinTechs sowie Unternehmen, die am Anfang ihres Start-up-Lebens stehen, werden mehr auf Partnerschaften mit komplementären Unternehmen setzen, die vor oder nach ihnen in der Wertschöpfungskette stehen. Das könnten etwa Unternehmen für die Rechnungserstellung und -verwaltung mit der Buchhaltungssoftware und der Warenwirtschaft sein. Diese Unternehmen werden API-Schnittstellen zwischen ihren Produkten ausbauen, sodass Daten zwischen den Plattformen fließen und Unternehmen sie einfach und ohne große Komplikationen zusammen verwenden können. Diese Partnerschaften werden natürlich dementsprechend vermarktet. So werden Unternehmen versuchen, außerhalb ihrer Nische Aufmerksamkeit zu bekommen.

Sobald sich hier die Gewinner und Verlierer abzeichnen, wird der Markt zusammenrücken: Die am besten angepassten und am besten finanzierten Unternehmen – ganz egal, ob die Reserven durch großen Umsatz bestehen oder weil sie noch rechtzeitig Investorengelder einsammeln konnten – werden bestehen bleiben während die anderen vom Markt ausgesiebt werden. Die Gewinner werden dann auf einen Markt treffen, auf dem sie sich neue Anteile sichern können.

Zur Person

Porträt von Arun Mani vom FinTech Pleonasmus

Arun Mani

ist Chief Revenue Officer bei Pleo. Er verantwortet das nachhaltige Wachstum und die Skalierung des FinTechs. Zuvor sammelte er bereits bei Appnexus und Freshworks Erfahrungen beim Aufbau von Unternehmen. Umfassende Problemlösungskompetenzen eignete er sich zudem als C-Level-Strategieberater bei McKinsey und Accenture an

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14.05.2023
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