Ein brennender Dollar-Schein als Symbol für einen Crash der Finanzmärkte
12.09.2022    Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun
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Welche Katastrophe 2008 über die Kapitalmärkte hereinbrach, wissen viele Börsianer noch selbst aus leidvoller Erfahrung: die Pleite von Lehman Brothers im September 2008, die Finanzkrise, das Weltfinanzsystem (gefühlt) am Abgrund, heftige Kurseinbrüche und weltweite Schockwellen – sowohl für die Kapitalmärkte als auch die Realwirtschaft.

Kolumne Stefan Heringer und Dr. Nikolaus BraunSie können sich vorstellen, dass die nimmermüde Gruppe der Crash-Propheten mit dem vermeintlichen unvermeidlichen Gleichlauf der Kursentwicklungen 2008 und 2022 den nächsten Beleg für den bevorstehenden Untergang herbeiredet beziehungsweise -schreibt. Was für ein gefundenes Fressen!

Chart-Analyse bringt keinerlei Mehrwert

Der Versuch, aus der Kursentwicklung der Vergangenheit etwas für die Zukunft abzuleiten, ist so alt wie die Börse selbst. Eine ganze Schar von Analysten beschäftigt sich mit der Chart- oder technischen Analyse.

Das ist eine Welt für sich – mit unzähligen „Fachbegriffen“ und so obskuren Namen wie Schulter-Kopf-Schulter-Formation, Bollinger-Band oder Widerstandslinien. Sobald Sie Formulierungen lesen, wie „Der Aufwärtstrendkanal wurde nach unten durchbrochen“, „Ein bullisches Signal für den Kurs“ oder „Der nächste Widerstand liegt bei XX Euro“ handelt es sich um Ergüsse eines Chart-Analysten. Im wahrsten Sinne des Wortes untermalt wird das Ganze noch mit bunten Grafiken voller Linien und Dreiecke. Und sie haben alle, um es kurz zu machen, eines gemeinsam: Sie sind völlig nutzlos.

Illustration Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Dr. Nikolaus Braun und Stefan Heringer sind die Gründer der Neunundvierzig Honorarberatung. Ihre Kernkompetenz ist die langfristige Begleitung Ihrer Mandanten rund um die Frage wie Vermögen Lebensqualität schaffen kann. Als Vermögensverwalter der Deutschen Wertpapiertreuhand stehen sie für finanzwissenschaftlich informierte Anlagestrategien. Braun ist zudem Autor des Finanzratgebers „Über Geld Nachdenken“

Zahlreiche wissenschaftliche Ausarbeitungen haben sich mit dem Phänomen der technischen Analyse beschäftigt und kommen unisono zum gleichen Ergebnis: Es lässt sich aus der Analyse von Charts aus der Vergangenheit absolut nichts, zumindest nichts Brauchbares, ableiten.

So gibt es etwa keinerlei Instrumentarium, mit dem ein Chart-Analyst einen „echten“ Aktienkurs von einem rein fiktiven unterscheiden könnte. Das wäre so als könne ein Mediziner ein EKG nicht von Kindergekrakel unterscheiden.

Chart-Analyse lohnt sich finanziell nur für Chart-Analysten

In vielen Fällen wird daraus Abzocke. Mit überteuerten Schulungen, Newslettern und dem Verkauf von Büchern zu Chart-Analysen wird sehr viel Geld verdient. Spätestens das sollte stutzig machen. Ein erfolgreicher Trader wäre niemals so dumm und würde seine funktionierende Strategie in Schulungen oder Büchern der breiten Masse zur Verfügung stellen. Derjenige würde all seine Energie darauf verwenden, die Gelddruckmaschine selbst zu verwenden. Sobald man sein „Wissen“ anderen zur Verfügung stellt, wäre der Vorteil nämlich dahin.

Aber scheinbar führen die verschwurbelten Formulierungen, komplexen Diagramme und Muster dazu, dass sehr viele Menschen diese Art von Analyse für legitim halten. Es handelt sich dabei schlicht um Unwissenheit und falsches Verständnis von statistischen Zusammenhängen. „Aber“, so denkt sich der technische Analyst, „wenn ich sie nicht überzeugen kann, dann kann ich sie wenigstens so verwirren, dass sie den nötigen Respekt vor mir haben.“

Eine Korrelation begründet keinen kausalen Zusammenhang

Eine hohe Korrelation bedeutet noch lange keinen kausalen Zusammenhang. Eine wunderbare Informationsquelle, die sich mit diesem Phänomen beschäftigt, ist die Webseite von Tyler Vigen. Wussten Sie, dass für den Zeitraum von 1999 bis 2009 die Ausgaben der USA für Wissenschaft und Technologie und die Anzahl der Selbstmorde durch Erhängen zu über 99 Prozent korrelierten?! Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich das folgende Chart an:

Könnte man also folglich unzählige Menschenleben retten, wenn man einfach nicht mehr in Technologie investiert?

Ebenso hoch korreliert die Scheidungsrate im Bundesstaat Maine mit dem Pro-Kopf-Verbrauch an Margarine zwischen 2000 und 2009. Wieviel mehr glückliche Ehen gäbe es in Maine, wenn die Menschen einfach wieder Butter essen würden? Aber gilt das auch für Ehen in Niederbayern oder Simbabwe? Gibt es in Simbabwe überhaupt Margarine?

Der Erkenntnisgewinn aus diesen Korrelationen ist ähnlich hoch wie beim Übereinanderlegen von Charts aus völlig unterschiedlichen Zeiträumen mit gänzlich unterschiedlichen Voraussetzungen. In den Worten eines befreundeten Vermögensverwalters: „Man muss die Daten nur lange genug foltern und dann findet man einen Zusammenhang.“

Märkte lassen sich nicht prognostizieren – schon gar nicht durch Chart-Analyse

Jede Krise ist anders. Wir wissen nicht, wie lange die aktuellen Turbulenzen noch dauern und wann sich die Kurse wieder erholt haben werden. Aber von einem sind wir fest überzeugt: Die Zukunft vorherzusagen, indem man versucht, irgendwelche vergangenen Chart-Formationen zu deuten, wird mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit scheitern.

Und auch bei einer weiteren Sache sind wir absolut sicher: Es wird immer wieder Zusammenbrüche geben, vielleicht schon übermorgen, vielleicht erst in 15 Jahren. Wann das kommt, lässt sich nicht seriös prognostizieren. Es war, ist und bleibt aber dennoch sinnvoll, breit diversifiziert und vor allem dauerhaft am Kapitalmarkt investiert zu sein.

 

Ihnen alles Liebe

Ihr Stefan Heringer und Nikolaus Braun

P.S.: Mehr zum Thema rationale Anlagestrategien, Strategien zum Vermögensaufbau, aber auch darüber, wie Ihr Umgang mit Geld Sie glücklicher machen kann, finden Sie im Blog der Neunundvierzig Honorarberatung und in Nikolaus Brauns Finanzratgeber „Über Geld Nachdenken“.

Drei weitere Beiträge zum Thema Pinocchio-Banker und Provisionsirrsinn finden sie hier:

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