Dominosteine fallen um
05.04.2023    Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun
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Eigentlich ist es gar nicht so schwierig, ein (vermutlich) betrügerisches Anlagesystem im Vorfeld zu erkennen. Das gilt insbesondere dann, wenn Initiatoren „weitgehend risikofreie“ Traumrenditen versprechen, wie etwa der legendäre Bernie Madoff oder die im November 2022 implodierte Kryptobörse FTX.

Abzocke, Scams, Ponzi-Schemes, Schneeballsysteme: Ein Taschenrechner kann helfen

Von offensichtlicher Abzocke über die wildesten Investmentgeschichten bis zum klassischen Schneeballsystem: Mit dem Zeug, was immer wieder auf unserem Schreibtisch landet, könnten wir unseren Garten düngen. Oft reicht schon ein Taschenrechner oder ein Zinsrechner aus dem Internet, um überdeutlich zu erkennen, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann.Kolumne Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Genauer: Oft würde ein Taschenrechner reichen. Denn: Kaum eine Sache schaltet den gesunden Menschenversand so schnell aus wie Gier. Na gut, vielleicht noch der Fortpflanzungstrieb.

Um Ihnen das zu verdeutlichen, möchte ich – Nikolaus Braun – Ihnen etwas erzählen, was mir vor ein paar Jahren im Urlaub passiert ist und was ich in meinem ersten Finanzbuch „Über Geld nachdenken“ aufgeschrieben haben.

Der Krypto-King vom Lala Beach

Im Herbst 2019 saß ich mit Freunden in einer Strandbar. Ich hatte es geschafft, mich richtig zu erholen und war diszipliniert genug, (fast) keine Mails zu lesen, als mich völlig überraschend der Fluch meiner Arbeit einholte – in seiner schlimmsten Form.

Wir kamen irgendwie mit dem Ober ins Gespräch, der uns eröffnete, dass er nicht nur zwölf Stunden am Tag in der Gastronomie arbeite. Nach Feierabend beschäftige er sich weitere drei bis vier Stunden mit einem sensationellen Finanzprodukt, irgendwas mit Bitcoin und so. Wenn es uns interessiere, könne er es uns nachher kurz erklären.

Und – zack – war er schon wieder weg. Keine schlechte Technik: neugierig machen und dann den Wurstzipfel erst mal wieder wegziehen. Das lernen die im Strukturvertrieb auch in der ersten Woche.

Nach dem Anfüttern wird der Köder präsentiert

15 Minuten später war er wieder da und gewährte uns auf seinem Handy einen Einblick in die wunderbare Welt der Blockchain, zeigte uns sein sogenanntes Wallet mit einer ganzen Handvoll Kryptowährungen: Bitcoin, Bitcoin Cash, Litecoin, Ripple, EOS, Tether, Ethereum. Und, Sie ahnen es, zack – war er wieder weg, bevor ich ein Bier bestellen konnte, um den sich anbahnenden Unsinn besser zu ertragen.

Illustration Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Dr. Nikolaus Braun und Stefan Heringer sind die Gründer der Neunundvierzig Honorarberatung. Ihre Kernkompetenz ist die langfristige Begleitung Ihrer Mandanten rund um die Frage wie Vermögen Lebensqualität schaffen kann. Als Vermögensverwalter der Deutschen Wertpapiertreuhand stehen sie für finanzwissenschaftlich informierte Anlagestrategien. Braun ist zudem Autor des Finanzratgebers „Über Geld nachdenken“

Wenig später ging es weiter. Auf den Einwand, dass Kryptowährungen ja nicht immer nur steigen, wurde uns das eigentliche Geheimnis enthüllt: Um das elende Auf und Ab in den Griff zu kriegen, gäbe es einen künstlich intelligenten Algorithmus, sodass man nicht nur von steigenden, sondern auch von fallenden Kursen profitiere.

Damit könne man zwar nicht mehr sein Kapital innerhalb weniger Wochen verdoppeln, aber das Risiko sei weitgehend unter Kontrolle. Sechs bis zwölf Prozent seien allemal noch drin – pro Monat. Und noch besser: Wenn man Freunde und Bekannte mit in diese exklusive Community bringe, bekäme man von deren Gewinnen auch was ab.

Der Fisch schnuppert am Haken, aber er beißt nicht an

Meine Freunde sind – was soll ich jetzt anderes sagen – intelligente und aufgeweckte Menschen. Am Tisch saßen keine Neandertaler, sondern ein Mediziner, ein Ingenieur und ein Rechtsanwalt. Und so war es nicht erstaunlich, dass sich das Interesse in Grenzen hielt, erstaunlicherweise aber auch nicht völlig bei null war.

Ich habe meinen Freunden darauf eine relativ schlichte Frage gestellt: „Was glaubt ihr, wenn der Kellner 1.000 Euro investiert und zwölf Jahre lang zwölf Prozent im Monat bekommt – was kommt da ohne eine einzige weitere Einzahlung bei raus?“ Bevor Sie nach unten schauen, machen Sie schnell mal die Augen zu und raten selbst. Die Antworten meiner Freunde waren recht unterschiedlich: Sie lagen irgendwo zwischen 250.000 und 2 Millionen Euro ‒ die letztere Schätzung ergänzt durch ein zweifelndes „Ne, vermutlich nicht so viel“.

Wie gesagt, ich habe clevere Freunde. Und ihnen war klar, dass die Zinsen recht zügig deutlich mehr ausmachen würden als das eingezahlte Kapital – 250-mal so viel, 800-mal so viel, 2.000-mal so viel!

Der Zinseszins ist das achte Weltwunder

Wissen Sie, was wirklich rauskommt? 12.229.120.630,69 Euro. Über zwölf Milliarden! Glauben Sie nicht? Auf Zinsen-berechnen.de können Sie das selbst nachrechnen: Starten Sie einfach mit 1.000 Euro und geben Sie 144 (12 x 12) Zinsperioden ein. Bang!

Es ist immer wieder so: Der Zinseszinseffekt – von Einstein angeblich als achtes Weltwunder bezeichnet – sprengt regelmäßig das menschliche Vorstellungsvermögen. Unser Hirn ist nicht in der Lage, sich Exponentialfunktionen vorzustellen.

Eine Kostprobe gefällig? Wenn der Kellner noch sechs Jahre und einen Monat länger durchhalten würde, könnte er mit 47.897.287.511.086,39 Euro rechnen – einer Zahl, bei der auch ich genau hinschauen muss, um sie richtig auszusprechen. Damit könnte er – Stand 2019 – die Staatsschulden der Eurozone, der USA und Japans auf einmal zurückzahlen, den Kampf der WHO zur weltweiten Ausrottung von Malaria finanzieren und mehrere bemannte Marsmissionen durchführen.

Wäre das nicht ein feiner Zug? Zumal er immer noch über drei Billionen, also 3.000 Milliarden, übrig hätte, um sich eine Wohnung zu kaufen und mal in den Urlaub zu fahren. Nur: Warum hetzt er dann abends in Tel Aviv am Lala Beach von Tisch zu Tisch? Welcher philanthropische Ehrgeiz treibt ihn an, wahllos Touristen an seiner Gelddruckmaschine zu beteiligen? Ich habe mir einen Schnaps bestellt und ordentlich Trinkgeld gegeben.

Bei diesen Alarmzeichen gilt: Vorsicht vor Anlagebetrug

Völlig überzogene Renditeversprechen, Belohnungen für Anleger, die neue Opfer anschleppen: Das sind die typischen Zutaten für Schneeballsysteme. Dazu kommen im Regelfall das Ausschütten vermeintlicher Gewinne zum weiteren Anfüttern und das Vorspiegeln eines angeblich stark begrenzten exklusiven Kreises von Investoren.

Natürlich ist das ein sehr durchsichtiges Beispiel, aber definitiv kein Einzelfall. Ich sehe so was, eher mit drei als sechs Prozent in Aussicht gestellter monatlicher Rendite, immer wieder – nicht nur vor der Fehlentscheidung, auch danach. Ich habe es zu oft erlebt, dass Anleger einfach glauben, was sie glauben wollen, und sich von Tatsachen oder Plausibilitätsprüfungen nicht weiter aus der Ruhe bringen lassen. Gerade wenn am Anfang – wie bei jedem Schneeballsystem üblich – höhere „Gewinne“ ausgeschüttet werden, fühlt sich der übertölpelte Anleger bestätigt und investiert immer höhere Summen.

Wie Sie sich selber schützen

Merken Sie sich einfach die folgende Grundregel: Wenn es zu schön klingt, um wahr zu sein, ist es zu schön, um wahr zu sein. Und wenn das nicht reicht, nutzen Sie ein Rechen-Tool wie Zinsen berechnen. de. So verhindern Sie mit wenig Aufwand, dass Ihre (potenzielle) Gier erst Ihr Hirn und dann Ihr Vermögen erledigt.

 

Alles Liebe,
Ihr Stefan Heringer und Nikolaus Braun

P.S.: Eine ebenso traurige wie komische Geschichte zum Thema Schneeballsysteme finden Sie auch in Nikolaus Brauns neuem Buch „Geld oder Leben. Wie Sie aufhören Unsinn mit Ihrem Geld zu treiben“.

P.P.S.: Mehr zum Thema rationale Anlagestrategien, Strategien zum Vermögensaufbau, aber auch darüber, wie Ihr Umgang mit Geld Sie glücklicher machen kann, finden Sie im Blog der Neunundvierzig Honorarberatung. Drei unserer Lieblingsblogs, die Ihnen helfen, um unseriöse Finanzberatung einen Bogen zu machen:

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05.04.2023    Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun
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