Illustration: Compliance wichtiger denn je in Zeiten des digitalen Wandels
18.01.2021    Thomas Soltau
  • Drucken

Globalisierung und Digitalisierung sind nicht nur Treiber des wirtschaftlichen Wachstums, sie verändern das Marktgeschehen auch in erheblichen Umfang. Behörden stellen neue Geschäftsmodelle und Vertriebswege – besonders online – vor große Herausforderungen. Die sogenannte Compliance, ob Produkte von Unternehmen den Einhaltungen von Gesetzen und Richtlinien entsprechen, lässt sich bislang nur unzureichend überprüfen. Die neue Marktüberwachungsverordnung, die ab dem 16. Juli 2021 gilt, soll den Schutz von Verbrauchern stärken – etwa vor mangelhaften Spielzeug oder Elektrogeräten. Online-Händler dagegen müssen bei Produkt-Fehlern mit drakonischen Strafen rechnen, die bis zum Ruin führen können. Doch welche Branchen müssen sich durch die Marktüberwachungsverordnung auf besonders umfassende Neuerungen bzw. Veränderungen einstellen? Und vor allem: sind sie gerüstet für die neuen Regeln?

Am DUB Digital Business Talk nahmen teil:

  • Philipp Reusch, Rechtsanwalt, Founding Partner und Teamleader Regulatory Affairs & Marktmaßnahmen bei reuschlaw Legal Consultants
  • Stefan Hessel, Rechtsanwalt und Associate im Cybersecurity & Datenschutz-Team von reuschlaw Legal Consultants

Moderator: Arne Gottschalck, Redakteur von DUB UNTERNEHMER

Welche Unternehmen haben Compliance in ihrer digitalen DNA?

So wie Philipp Reusch, Rechtsanwalt und Founding Partner bei reuschlaw Legal Consultants, die Lage beurteilt, hat das Thema zwar fast jedes Haus auf dem Schirm – aber eben nur als Teilaspekt. „In den meisten Fällen gibt es keine komplette Systematik, die das abbildet – höchstens verstreute Einzelmaßnahmen im Unternehmen. Ein systematischer Ansatz zur Umsetzung von regulatorischer Compliance in Gänze, mit Anforderungen wie Monitoring und Nachverfolgung, fehlt.“ Das sei es aber genau das, was die Behörden sehen wollen.

Gefahr hoher Bußgelder

Mit hoher Wahrscheinlichkeit, so Reusch, komme das Verbandssanktionengesetz und das bestrafe Unternehmen, denen solche Fehler unterlaufen, mit hohen Bußgeldern. Das würde wiederum einen besonderen Druck auf die Unternehmen erzeugen.

Auf der anderen Seite wird die neue Verordnung zur Marktüberwachung um alles erweitert, was im Online-Bereich stattfindet. „Sobald ein Unternehmen etwas online vertreibt, anbietet, handelt oder bewirbt, wird es jetzt explizit in den Anwendungsbereich der Marktüberwachungsverordnung aufgenommen – und die Befugnisse der Behörden werden erweitert“, sagt Philipp Reusch. Vor vier Jahren gab es mit der Puppe Cayla einen Vorfall, der nach neuer Gesetzeslage für das Unternehmen ein finanzielles Fiasko bedeutet hätte. Die Puppe verfügte über ein Mikrofon und eine Funkverbindung. Damit war sie laut Gesetz eine getarnte Abhöranlage, dessen Einfuhr, Herstellung und Vertrieb illegal sind. Damit sich so ein Vorfall nicht wiederhole, benötige man Systeme, die alle regulatorischen Anforderungen bewerten.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

„Alle Unternehmen, die mit vielen unterschiedlichen Produkten und Produkteigenschaften und Nutzerkreisen arbeiten, sollten handeln“, erklärt Philipp Reusch. Das Firmen bis zum Beginn der neuen Verordnung dafür gerüstet sind, hält der Jurist für illusorisch. „Kein Unternehmen kann das im Projektmanagement abbilden, oder besitzt die Ressourcen.“ Daher gehe es hier vor allem um Risikogewichtung. Ein Balanceakt zwischen Ordnungswidrigkeit und Strafrecht. Wenn Unternehmen auf Nummer Sicher gehen wollen, lautet die Empfehlung, jetzt schon einmal einen Fall anhand eines Produktes durchzuspielen. Etwa, ob es allen rechtlichen Anforderungen entspricht.

Wer macht sich bei einem Vergehen strafbar?

Bislang ist es so: Wenn Unternehmen einen Fehler begehen, dann ist die Ordnungswidrigkeit daraus im Regelfall gegen eine Person gerichtet. Das soll sich nun ändern. Die Idee: Ich bestrafe nicht nur die Einzeltat, sondern ich bestrafe auch die Organisation, die es zugelassen oder eben nicht verhindert hat, dass sowas passiert.

Was das konkret heißt, weiß Philipp Reusch: „Das würde für die mangelhafte Puppe Cayla folgendes bedeuten: Angenommen sie hat sich 170.000 Mal verkauf. Dann stoppt die Bundesnetzagentur den Verkauf und veranlasst den Rückruf der Puppen. Dazu kommt ein Bußgeld der Bundesnetzagentur von bis zu 50 000 Euro pro Fall. Das ist aber nicht alles: Zusätzlich wird das Verbandssanktionengesetz obendrauf geschraubt. Es legt eine Geldbuße von bis zu fünf Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des Vorjahres fest. Damit wären dann sämtliche Geschäftsgrundlagen vernichtet.“ Die zunehmende Digitalisierung von Produkten stellt deshalb fast alle Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen. IT- und Cyber-Sicherheit können bei der Compliance helfen. „Aber nur dann, wenn man das Compliance-Management komplett digitalisiert“, so der Rechtsanwalt. Und das am besten mit bestehenden Systemen, die jeder bedienen kann.

Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

Europa ist ein zentraler Markt für viele Unternehmen. Nicht nur für deutsche. Bei der Sanktionierung von Unternehmen, die etwa in Asien sitzen, aber herrscht ein Ungleichgewicht. Das kann Stefan Hessel, Rechtsanwalt und Datenschutz-Experte, nur bestätigen. „Chinesische Unternehmen halten sich nicht unbedingt an die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung, weil die Firmen für die Aufsichtsbehörden nicht zu greifen sind. Europäische Unternehmen erleiden dadurch eher einen Wettbewerbsnachteil.“

18.01.2021    Thomas Soltau
  • Drucken
Zur Startseite