BRAIN Biotech AG Vordenker 2022
27.06.2022    Holger Reher
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Zur Person

Lukas Linnig

wurde zum 01.10.2020 als Finanzvorstand in den Vorstand der BRAIN Biotech AG bestellt. Zuvor war er Finanzberater bei der Finanzberatungsgesellschaft FAS AG. Als solcher kam er 2015 zur Beratung, zur Unterstützung des Börsengangs und zum Aufbau eines Finanzcontrollingsystems zu BRAIN. Im April 2017 wechselte Herr Linnig als Verantwortlicher für den Bereich Finance, Controlling und Legal zu BRAIN. Dort berichtete er direkt an den Finanzvorstand (CFO). Linnig ist Autor verschiedener wissenschaftlicher Publikationen im Finanzbereich mit Schwerpunkt auf der Bewertung immaterieller Vermögenswerte. Er verfügt über ein Certificate in International Accounting.

Wie haben sich Ergebnis und Umsatz in den letzten drei Jahren von 2019 bis 2021 entwickelt?

Lukas Linnig: Die Umsatzentwicklung der letzten drei Geschäftsjahre der BRAIN Biotech stagnierte und war damit auch für uns als Management eher enttäuschend. Hier haben Dekonsolidierungseffekte, das Auslaufen einiger Großprojekte sowie die Corona-Pandemie eine entscheidende Rolle gespielt. Befeuert durch verschiedene Initiativen ist das Unternehmen seit dem vierten Quartal des letzten Geschäftsjahres wieder auf einen deutlichen Wachstumskurs in unseren beiden Segmenten BioScience und BioIndustrial zurückgekehrt.

Was ist Ihr Erfolgsrezept? Was ist der Motor für Ihr Wachstum?

Linnig: Wir sind Gestalter einer biobasierten Zukunft – und das treibt uns an. Unser Business auf Basis der Biotechnologie lebt vor allem von der Kreativität und der Agilität unserer Kolleginnen und Kollegen. Dazu gehören viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen mit ihrer Leidenschaft, auf Basis der Natur und eines profunden biochemischen und molekularbiologischen Wissens biobasierte Produkte und Lösungen für die Industrie zu entwickeln. Mit Produkten wie mikrobiell hergestellten Enzymen oder naturbasierten Inhaltsstoffen oder auch mit nachhaltigen Prozessen z.B. zur Verwertung von organischen Restströmen befähigen wir unsere Kunden zu einer größeren Wertschöpfung ganz im Sinne einer nachhaltigeren Produktion. Damit bedienen wir den Trend hin zur Biologisierung der Industrie, Kernelement der Bioökonomie. Der Motor für unser Wachstum ist daher nicht nur unsere intrinsische Motivation, sondern auch der Megatrend hin zu einer nachhaltigeren, biobasierten Wirtschaft. Unsere Investitionen in F&E finanzieren wir z.T. durch das „Brot-und-Butter-Geschäft“ in der BRAIN-Gruppe: Unsere Tochterunternehmen produzieren und verkaufen marktfähige Produkte wie Enzyme und Inhaltsstoffe in verschiedene Branchen hinein.

In wenigen Worten: Wie sieht Ihre Digitalisierungsstrategie aus?

Linnig: Neben dem permanenten Update gängiger Arbeitstools fokussieren wir uns weiterhin vor allem auf die Digitalisierung unseres Wissens und auf die bioinformatische Nutzung der in unseren Laboren generierten molekularbiologischen Daten. Bioinformatik hilft uns z.B. dabei neue Enzyme zu entdecken, mikrobielle Produzentenstämme zu entwickeln oder Proteinstrukturen zu optimieren. Das ist die Basis unserer Innovationen, daher bauen wir auch unsere digitalen Sammlungen immer weiter aus. Zusätzlich haben wir den Kundenkontakt und den Austausch in vielen Fällen durch digitale Foren ergänzt – und auch unsere Social-Media-Kommunikation hat nun einen höheren Stellenwert.

Was macht Ihr Unternehmen bei Kunden besonders erfolgreich?

Linnig: Wir haben eine eigene CRISPR-Cas-Genom-Schere entwickelt, mit der wir, unabhängig von den patentierten bzw. im Patentstreit befindlichen CRISPR-Cas9-Gen-Scheren, in eigenen Projekten und in Kundenprojekten agieren können. Mit unseren eigenen Cas-Nukleasen, also Enzymen, die einzelne DNA-Abschnitte im lebenden Organismus punktuell einfügen, entfernen oder modifizieren können, bringen wir Kundenprojekte schneller und preisgünstiger ans Ziel. Ganz einfach formuliert können wir mit unserer Technologie per „copy“, „cut“ und „paste“ die DNA von verschiedenen Organismen bearbeiten. Wir können z.B. mikrobielle Produzentenstämme für die Produktion von Enzymen oder anderen Proteinen so optimieren, dass diese im Rahmen einer Präzisionsfermentation im Industriemaßstab hergestellt werden können. Das wird immer wichtiger, z.B. für Unternehmen, die tierfreie Proteine herstellen wollen, um tierisches Protein in der Ernährung zu ersetzen. Kürzlich konnten wir die Technologie erstmals auch an humanen Zelllinien erfolgreich einsetzen, was für uns einen wichtigen Meilenstein für die Anwendung im pharmazeutischen Bereich bedeutet und ein großes Marktpotential erschließbar macht.

Davon abgesehen schätzen unsere Kunden unser Applikationswissen und unsere Erfahrungen in der Bioprozessentwicklung – denn der Schritt aus dem Labor hin zum Industriemaßstab ist immer eine große Herausforderung.

Welche Rolle spielt Service in Ihrem Business?

Linnig: Guter Service spielt bei allen Unternehmen der BRAIN-Gruppe eine große Rolle, egal ob die Entwicklung, die Produktion oder der Vertrieb im Fokus stehen. Bei kundenspezifischen Entwicklungen, wie z.B. dem Enzyme-Engineering oder dem Optimieren von mikrobiellen Produktionsstämmen, spielt Service eine besondere Rolle, da solche Entwicklungen extrem wissensbasiert sind und nur im sehr engen Austausch mit dem Auftraggeber Sinn machen. Entsprechend ist nicht nur unser Business-Development-Team eingebunden; auch die wissenschaftlichen Projektleiterinnen und Projektleiter und – falls erforderlich – unsere Prozessingenieurinnen und -ingenieure stehen für den fachlichen Austausch mit dem Kunden zur Verfügung.

Was tun Sie, um den Service zu verbessern?

Linnig: Wir bieten innerhalb der international aufgestellten BRAIN-Gruppe die komplette Wertschöpfungskette von Enzymen ab. Dabei werden spezifische Teile der Wertschöpfung in verschieden Unternehmensteilen der BRAIN-Gruppe abgewickelt – so übernimmt z.B. BRAIN in Zwingenberg eher die Grundlagen- und Anwendungsforschung, während die Biocatalysts Ltd. in Wales im Vereinten Königreich die Produktion von Enzymen bzw. Proteinen ausführt. Um hier reibungslose Abläufe für den Kunden zu gewährleisten, benennen wir intern einen Business-Developer, der von Auftragsbeginn an bis zum Ende des letzten Work-Packages bzw. bis zur Auslieferung Ansprechpartner bleibt. Die schnelle Integration neuer Tochterunternehmen und ein agiles Zusammenarbeiten innerhalb der BRAIN-Gruppe sind daher Teil unserer Wachstumsstrategie.

Nennen Sie bitte ein Beispiel, wie Ihr Unternehmen Service lebt.

Linnig: Genau zuhören, Bedürfnisse erkennen, sich in das Business und in die Branche des Kunden hineindenken – darauf basiert der Service unseres Business-Development-Teams, das für die Industrie erster Ansprechpartner ist und die Anforderungen an eine Entwicklung oder an ein Produkt ins Unternehmen trägt. Auf dieser Basis und in enger Abstimmung mit dem Kunden formulieren wir Work-Packages und Meilensteine, so dass der Kunde größtmögliche Transparenz hinsichtlich des zeitlichen und des finanziellen Aufwands erhält. Auf diese Vorgaben kann sich der Kunde verlassen. Unverzichtbar sind dafür auf unserer Seite zielstrebige und agile Teams, aber v.a. auch die langjährigen Erfahrungen in unterschiedlichen Branchen sowie die Expertise in unterschiedlichen mikrobiologischen, analytischen und molekularbiologischen Technologien. Nur so können wir mit unseren Geschäftspartnern auf Augenhöhe diskutieren.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung beim Service?

Linnig: Ein Beispiel: Wenn unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für unsere Kunden neuartige Enzyme entdecken wollen, können sie diese zunächst im digitalen „BRAIN SeqPool“ identifizieren. Dieser BRAIN SeqPool ist eine schnell wachsende Sammlung digitaler genetischer Informationen, die auf unseren Servern verarbeitet und für das Screening nach Kundenanforderung bereitgehalten werden. Unsere Mikrobiologieexpertinnen und -experten wählen dazu vielversprechende Habitate für die Sequenzierung metagenomischer DNA aus; derzeit besteht die genetische Information aus mehr als 35 verschiedenen Metagenomen und genomischer DNA von spezifischen Mikroorganismen.

Ein anderes Beispiel: Unser Potsdamer Tochterunternehmen Analyticon Discovery ist Spezialist für die Naturstoffchemie und für die Isolierung von Naturstoffen im Hochdurchsatz aus unterschiedlichen biologischen Ressourcen. Auch hier fallen immens viele digitale Daten an, aus denen dann im Kundenauftrag erfolgversprechende bioaktive Kandidaten, sogenannte Bioactives, identifiziert, näher charakterisiert und – z.B. für Anwendungen in der Pharmazie – weiter erforscht werden.

Was tun Sie, um eine Service-Kultur zu etablieren und zu verbessern?

Linnig: Kolleginnen und Kollegen, die im Business Development oder als Projektleiterinnen und Projektleiter arbeiten, benötigen ein gewisses Verständnis für Markt- und Kundenbedürfnisse. Das ist etwas, das man in einem naturwissenschaftlichen Studium nicht unbedingt lernt. Manche haben eine ökonomische Sichtweise schon im Blut und es fällt ihnen leicht, sich in den Kunden hineinzudenken. Andere wollen es gerne lernen, und da geben wir gerne Support. Davon abgesehen zeigen uns Umfragen bei unseren Kunden sehr gut, wo wir noch besser werden können – ein solches Feedback nehmen wir immer ernst und adjustieren unsere Herangehensweise.

Was ist die größte Stärke der Company? Trauen Sie sich eine Schwäche preiszugeben?

Linnig: Die größte Stärke von BRAIN Biotech ist der große Erfahrungsschatz aus unzähligen F&E-Projekten und den daraus im Markt etablierten innovativen Produkten und Lösungen. Im nächsten Jahr werden wir 30 Jahre alt – und aus BRAIN, dem ehemals visionären Biotechnologie-Pionier ist inzwischen die BRAIN-Gruppe geworden, die ihren Biotechnologie-Erfahrungsschatz um viel Anwendungs-Knowhow und außerdem um das Produktions- und Vertriebs-Knowhow der zur Gruppe hinzugekommenen Unternehmen erweitert hat. In der Weißen Biotechnologie macht man uns nicht so einfach etwas vor!

Unsere größte Schwäche war in der Vergangenheit sicherlich das mangelnde Fokussieren innerhalb unserer Innovationspipeline. Wir haben gleichzeitig an zu vielen Zukunftsprojekten mit teils nicht adäquater Ressourcenkalkulation gearbeitet. Aus den daraus resultierenden Rückschlägen haben wir leider an Vertrauen am Kapitalmarkt verloren. Das haben wir geändert und wir konzentrieren uns jetzt auf die erfolgversprechendsten Projekte. Das ermöglicht uns, einzelne Leuchtturmprojekte, wie unser CRISPR-Projekt zur Genom-Editierung, mit einem hohen finanziellen und personellen Aufwand erfolgreich weiterzuentwickeln, ohne die Gesamtressourcen von BRAIN zu überfordern. Wir sind überzeugt, dass unsere Strategieänderung letzten Endes zum Erfolg führen wird und wir unsere Aktionäre auch wieder mit steigenden Kursen überzeugen werden.

Was ist Ihr größtes Learning aus der Coronakrise für Ihr Unternehmen?

Linnig: Wie so viele Unternehmen haben auch wir gelernt, dass man auch sehr gut produktiv zusammenarbeiten und Dinge voranbringen kann, ohne sich täglich vor Ort zu sehen. Und: Unsere Mitarbeiterschaft hat sich sehr flexibel gezeigt und alle haben mit viel Rücksichtnahme und vielen Absprachen dazu beigetragen, dass wir bislang sehr gut durch die Pandemie gekommen sind. Dafür bin ich allen sehr dankbar!

Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeit? Gibt es eine Maßnahme, die Sie mit Stolz erfüllt?

Linnig: Sehr produktiv zu arbeiten und gleichzeitig ein hohes Maß an persönlicher Freiheit bezogen auf den Arbeitsort zu genießen – das motiviert nicht nur mich, sondern hilft uns auch neue, qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen.

27.06.2022    Holger Reher
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